Loading...
© Amnesty International
Action

LGBTI-Personen und Journalist*innen in Gefahr

UA-Nr 80/17

Diese Aktion ist abgelaufen. Vielen Dank allen, die sich eingesetzt haben.

Die Nachrichten, die uns seit einigen Wochen aus Tschetschenien erreichen, sind so erschütternd wie unvorstellbar: hunderte Männer wurden und werden gezielt aufgrund ihrer (vermeintlichen) sexuellen Orientierung entführt und gefoltert, mindestens drei Männer wurden getötet. Man zwingt sie mit grausamen Methoden, die Namen anderer bekannt zu geben und überantwortet sie dann ihren Familien, die in vielen Fällen selbst Gewalt anwenden, um die "Ehre der Familie" zu schützen.

So schockierend diese Berichte sind, so wichtig ist es, dass darüber berichtet wird - doch nun sind die Mitarbeiter*innen und Journalist*innen jener Zeitung, die diese Verbrechen aufgedeckt hat, selbst in Gefahr. Mitglieder der tschetschenischen Regierung haben offen Drohungen ausgesprochen, sie der Lüge bezichtigt und sie als "Feinde des Glaubens und unseres Heimatlandes" dargestellt. Auch der unabhängige Radiosender Ekho Moskvy, der die bedrohten Zeitungsmitarbeiter*innen unterstützt hatte, ist Zielscheibe von Drohungen geworden. 

Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen, die in Tschetschenien über Menschenrechtsverletzungen berichten, werden häufig bedroht und angegriffen. Wenn in der Vergangenheit einflussreiche Personen in Tschetschenien öffentlich Vergeltungsschläge forderten, sind daraufhin häufig Angriffe auf die betroffenen Menschen verübt und einige von ihnen getötet worden, so zum Beispiel 2009 die Journalistin Anna Politkowskaja.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Am 1. April hatte die unabhängige russische Tageszeitung Novaya Gazeta berichtet, dass Hunderte vermeintlich schwule Männer im Rahmen einer koordinierten Kampagne in den Vortagen in Tschetschenien entführt worden seien. Die Männer sollen gefoltert und in anderer Weise misshandelt und gezwungen worden sein, andere ihnen bekannte LGBTI preiszugeben. Novaya Gazeta gibt an, bestätigte Informationen über mindestens drei Männer zu haben, die von ihren Entführer*innen getötet wurden, doch ihre Quellen sagen auch, dass es viele weitere Tötungen gegeben habe, unter anderem durch Familienmitglieder der Betroffenen. Am 4. April veröffentlichte Novaya Gazeta die Aussagen mehrerer Augenzeug*innen, die nähere Informationen über geheime Hafteinrichtungen in Tschetschenien enthielten, in welchen schwule Männer festgehalten und gefoltert werden.

Berichten zufolge wurden einige der entführten Männer zu ihren Familien zurückgebracht, vermutlich weil ihre sexuelle Orientierung von ihren Entführer*innen nicht bestätigt werden konnte. Sie sind aufgrund der örtlichen Homosexuellenfeindlichkeit jedoch weiterhin in großer Gefahr. Mitglieder der NGO namens Russisches LGBTI-Netzwerk haben diese Informationen bestätigt und eine telefonische Hotline eingerichtet, um denjenigen zu helfen, die sich außerhalb der Region in Sicherheit bringen möchten. Doch online gibt es auch anonyme Warnungen, dass einige dieser Hilfsangebote im Internet von den Täter*innen dazu genutzt werden könnten, weitere LGBTI ausfindig zu machen.

Die Reaktionen der tschetschenischen Behördenvertreter*innen variieren zwischen Leugnung – so zum Beispiel durch Alvi Karimov, dem Pressesprecher des Präsidenten der Republik Tschetschenien –, das Ganze als Witz abtun und weiteren versteckten Drohungen. Am 3. April kündigte der Pressesprecher der russischen Präsidialverwaltung Dimitry Peskov an, dass das Innenministerium „Informationen über die vermeintliche Verfolgung von Männern nicht traditioneller Orientierung prüft“.

Am 3. April versammelten sich 15.000 Menschen – darunter einflussreiche Persönlichkeiten der tschetschenischen Gesellschaft, Meinungsführer*innen und muslimische Geistliche – in der zentralen Moschee der Hauptstadt Grosny. Bei der Versammlung bezichtigte Adam Shakhidov, ein Berater des tschetschenischen Präsidenten, die Zeitung der Lüge und beschimpfte die Mitarbeiter*innen der Zeitung als „Feinde des Glaubens und unseres Heimatlandes“. In einer auf der Versammlung verabschiedeten Stellungnahme hieß es: „Da die jahrhundertealten Grundfesten der tschetschenischen Gesellschaft beleidigt worden sind sowie die Würde der tschetschenischen Männer und unser Glauben, versprechen wir, dass die wahren Anstifter sich der Vergeltung stellen müssen, ungeachtet, wo oder wer sie sind und wie lange es auch dauern wird.“

Eine Aufnahme der Rede von Adam Shakhidov und der gesamten Versammlung wurde im lokalen staatlichen Fernsehen gezeigt und über soziale Medien verbreitet. Nach den Drohungen gegen Novaya Gazeta wurde der unabhängige Radiosender Ekho Moskvy, der die bedrohten Zeitungsmitarbeiter*innen unterstützt hatte, selbst Zielscheibe von Drohungen durch den Mufti von Tschetschenien, Salakh Mezhiev.

Wenn in der Vergangenheit einflussreiche Personen in Tschetschenien öffentlich Vergeltungsschläge forderten, sind daraufhin häufig Angriffe auf die betroffenen Menschen verübt und einige von ihnen getötet worden. Diejenigen, die Drohungen aussprechen, gehen in der Regel straffrei aus, und die Tötungen und andere Angriffe sind bislang weder umfassend noch wirksam untersucht worden. Zu den Opfern derartiger Anschläge gehören die Novaya Gazeta-Journalistin Anna Politkowskaja, die wegen ihrer Berichterstattung über Tschetschenien bekannt war und 2006 ermordet wurde, und die Menschenrechtlerin Natalia Estemirowa, die häufig Beiträge für Novaya Gazeta schrieb und 2009 ermordet wurde.

Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen, die in Tschetschenien über Menschenrechtsverletzungen berichten, werden häufig bedroht und angegriffen. Diese Vorfälle werden nur sehr selten wirksam untersucht.

„Morde im Namen der Ehre“ werden im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien, bis heute verübt. Männer, die angeblich die „Familienehre beschmutzen“, weil sie tatsächlich oder vermeintlich schwul sind, laufen Gefahr, von Angehörigen der eigenen Familie getötet zu werden. Wer einen sogenannten „Ehrenmord“ verübt, geht häufig straffrei aus. In jüngster Zeit sind eine Reihe von Gewaltvideos im Internet veröffentlicht worden, in denen homosexuelle Aktivist*innen bedroht werden.

Die tschetschenischen Behörden, angeführt von Ramzan Kadyrov, kontrollieren praktisch jeden Lebensbereich in dieser nordkaukasischen Republik der Russischen Föderation. Jede abweichende Ansicht wird brutal unterdrückt und Menschenrechtsverteidiger*innen, Medienschaffende und politische Aktivist*innen, darunter auch Menschen von außerhalb Tschetscheniens, ebenso wie in seltenen Fällen Bürger*innen, die irgendeine Kritik an der tschetschenischen Führung und ihrer Politik äußern, sehen sich Drohungen, Drangsalierungen und häufig körperlicher Gewalt gegenüber.

Actions - jetzt mitmachen!