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China: Monatelang Haft ohne Kontakt zur Außenwelt

Merdan Ghappar wurde im Januar 2020 in Gewahrsam genommen. Seit März hat man nichts mehr von ihm gehört.

Fordere jetzt, dass Merdan Ghappar umgehend freigelassen wird, sofern er nicht unverzüglich einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt und in einem fairen Verfahren vor Gericht gestellt wird.

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Merdan Ghappar wurde in der chinesischen Provinz Guangdong in Gewahrsam genommen. Im März wurden seine Berichte und Bilder seiner schlechten Haftbedingungen in den Sozialen Medien geteilt, und seither hat man nichts mehr von ihm gehört. Erst vor Kurzem haben die Behörden verlauten lassen, dass er wegen des Verdachts auf Körperverletzung gegen Gesundheitspersonal „Zwangsmaßnahmen“ unterliege. Es herrscht große Sorge um sein Wohlergehen, da er möglicherweise in Gefahr ist, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.

Merdan Ghappar ist Uigure und arbeitet als Model für Taobao, eines der größten Online-Shopping-Portale in China. Amnesty International ist kein Grund bekannt, warum er im Jänner in Gewahrsam genommen wurde.

In einer schriftlichen Stellungnahme haben die Behörden angegeben, dass Merdan Ghappar in seinen Heimatort Kuqa gebracht worden sei und dort „Zwangsmaßnahmen“ unterliege. Berichten zufolge wurde er in der Hafteinrichtung mit Handschellen an sein Bett gefesselt, um ihn daran zu hindern, sich selbst oder Polizist*innen zu verletzen.

Nachrichten und Bilder von Merdan Ghappar, die in den Sozialen Medien Verbreitung fanden, beschreiben haarsträubende Haftbedingungen. So berichtet er beispielsweise von Überbelegung, schlechter Hygiene, unzureichenden Schutzmaßnahmen vor COVID-19 und Schreien, die aus einem Vernehmungsraum zu hören sind. In einem von ihm aufgenommenen Video vom März 2020 ist er an ein Bett gefesselt zu sehen.

Am 4. August berichtete die BBC über die von ihm dokumentierten Haftbedingungen. Der Bericht verbreitete sich rasch und lenkte die Aufmerksamkeit auf Masseninhaftierungen und andere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang. Das chinesische Außenministerium wies den Report der BBC eingangs als „typische Falschmeldung“ zurück. Später erhielt die BBC von der Presseabteilung der Behörden in Xinjiang eine schriftliche Stellungnahme mit weiteren Details.

Amnesty International betrachtet mit Sorge, dass Merdan Ghappar nur deshalb weiterhin inhaftiert zu sein scheint, weil er diese Videos und Nachrichten öffentlich gemacht hat. Da er weder Kontakt zu seiner Familie noch zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl hat, besteht Sorge um seinen Gesundheitszustand und sein Wohlbefinden. Es wird befürchtet, dass ihm Folter und andere Misshandlungen drohen.

Hintergrundinformationen

Merdan Ghappar verließ die Uigurische Autonome Region Xinjiang im Jahr 2009, um sich im Osten von China eine bessere Zukunft aufzubauen. Er fand Arbeit in Foshan in der Provinz Guangdong. Dort wurde er 2018 wegen des Verkaufs von Cannabis zu 16 Monaten Haft verurteilt. Als er Ende November 2019 wieder freikam, nahm er seine Arbeit als Model wieder auf.

Laut der chinesischen Strafprozessordnung fallen unter „Zwangsmaßnahmen“ eine Reihe von Maßnahmen, mit denen die Sicherheitskräfte oder Justizbehörden die persönliche Freiheit von Straftatverdächtigen bzw. Angeklagten auf verschiedenste Weise einschränken können: von restriktiven Maßnahmen wie Festnahme und Inhaftierung in einer offiziellen Hafteinrichtung bis hin zu weniger restriktiven Maßnahmen wie häusliche Überwachung und vorübergehende Freilassung gegen Kaution. Auch „Überwachung an einem dafür vorgesehenen Ort“ zählt als derartige Zwangsmaßnahme. Im März 2020 kritisierten die Menschenrechtsexpert*innen der Vereinten Nationen den Einsatz der „Überwachung an einem dafür vorgesehenen Ort“ in China – eine Maßnahme, mit der strafrechtliche Ermittler*innen Personen unter bestimmten Umständen für bis zu sechs Monate außerhalb des formellen Haftsystems festhalten können. Dies kann unter bestimmten Umständen einer Form der geheimen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt gleichkommen. Diese Art der Haft wird benutzt, um die Aktivitäten von Menschenrechtsverteidiger*innen, darunter Rechtsbeistände, Aktivist*innen und Religionsausübende, einzuschränken.

Im März 2017 erließ die Autonome Region Xinjiang eine Verordnung zur „Entradikalisierung“, die zahlreiche Handlungen als „extremistisch“ verbietet. Dazu zählen unter anderem „Verbreitung von extremistischem Gedankengut“, die Verunglimpfung von staatlichen Radio- oder Fernsehsendern und die Weigerung diese zu konsumieren, sowie das Tragen von Burkas oder „ungewöhnlichen“ Bärten. Darüber hinaus zählen Widerstand gegen nationale Politik sowie das Publizieren, Herunterladen, Aufbewahren und Lesen von Artikeln oder Publikationen und audiovisuellen Beiträgen mit „extremistischem Inhalt“ zur Liste dieser „extremistischen“ Handlungen. Aufgrund der Verordnung wurde zudem ein „Zuständigkeitssystem“ eingerichtet, mit dem die „Antiextremismus-Arbeit“ der Regierung in verschiedene Bereiche eingeteilt und jährlich überprüft wird.

Es werden schätzungsweise eine Million Uigur*innen, Kasach*innen und Angehörige anderer mehrheitlich muslimischer Bevölkerungsgruppen in sogenannten Einrichtungen für „Transformation durch Erziehung“ festgehalten. Die chinesischen Behörden bestritten bis Oktober 2018 die Existenz dieser „Umerziehungseinrichtungen“. Danach erklärten sie, die Menschen seien freiwillig in diesen Lagern und würden eine Berufsausbildung erhalten. Ziel dieser Einrichtungen sei es, den Menschen eine technische und berufliche Ausbildung zu bieten und ihnen zu ermöglichen, eine Arbeit zu finden und sich zu „nützlichen“ Bürger*innen zu entwickeln. Im Widerspruch zu diesen Erläuterungen stehen allerdings die Berichte von ehemaligen Insass*innen dieser Lager, die Schläge, Nahrungsentzug und Isolationshaft beschreiben.

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