Aus dem Amnesty Magazin, Ausgabe Mai 2025
Theaterregisseur und Intendant der Wiener Festwochen Milo Rau im Interview über die verändernde Kraft des Theaters, die Notwendigkeit offener Räume und die inspirierende Wirkung des Widerstands gegen Autoritäten.
Von Julia Trampitsch
Amnesty: In Ihren Arbeiten beschäftigen Sie sich häufig mit Machtstrukturen und Autorität. Woher kommt Ihr Interesse daran?
Milo Rau: Als Soziologe betrachte ich die Dinge immer strukturell. Unser Verhalten, der Umgang miteinander, unsere Gefühle und letztlich auch die Frage, wer wir sind, wird maßgeblich davon beeinflusst, wie wir leben, wie wir erzogen wurden und in welchen Strukturen wir eingebettet sind. Deshalb frage ich mich immer: Warum ist passiert, was passiert ist? Warum ist dieses Verbrechen geschehen? Warum haben Menschen zum Beispiel den Völkermord in Ruanda begangen? Wie konnte eine Ideologie oder ein Staat so viel Macht, so viel Autorität über die Menschen in Deutschland und Österreich erlangen, dass es zum Faschismus kam? Das sind die Fragen, die mich viel mehr interessieren als die individuelle Zuschreibung von Schuld und Autorität. Der soziologische Blick sagt: Du kannst nichts, was wir tun, nur dem Individuum zuschreiben.
Welche Rückschlüsse lassen sich daraus ziehen, warum Gesellschaften immer wieder zu autoritären Strukturen zurückkehren – gerade auch in der heutigen Zeit?