In dieser zunehmend besorgniserregenden Lage ist das Urteil des EuGH ein großer Fortschritt für den Schutz afghanischer Frauen, die vor Unterdrückung fliehen. Der EuGH urteilte, dass Zwangsverheiratung, die eine Form der absolut verbotenen Sklaverei darstellt, und der fehlende Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, die Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung darstellen, schon für sich genommen als Verfolgung einzustufen seien. Auch die Pflicht, sich vollständig zu verhüllen, die Einschränkung des Zugangs zu Bildung, Beruf und ärztlicher Versorgung und der Ausschluss vom politischen Leben sind aufgrund ihrer kumulativen Wirkung und der bewussten und systematischen Anwendung als Verfolgungshandlung anzusehen.
„Frauen und Mädchen in Afghanistan sind tagtäglich unvorstellbaren Beschneidungen ihrer Rechte ausgesetzt. Diese Frauen und Mädchen, die durch das Taliban-Regime ihrer Zukunft beraubt wurden, brauchen dringend Schutz. Das Urteil des EuGH ist dafür ein wichtiger Schritt und eine motivierende Nachricht für uns und alle, die sich für die Rechte von Frauen und von Schutzsuchenden einsetzen, weiter mit aller Kraft für Veränderung zu kämpfen. Wir dürfen die Frauen in Afghanistan nicht im Stich lassen“, sagt Aimée Stuflesser, Expertin für Asyl und Migration bei Amnesty International Österreich.
Das Urteil des EuGH basiert auf zwei Fällen aus Österreich, bei denen die rechtliche Vertretung durch zwei Rechtsanwältinnen des Netzwerks Asylanwält*innen erfolgt. Das Netzwerk Asylanwält*innen ermöglicht mittellosen schutzsuchenden Menschen in Österreich in schwierigen Einzelfällen qualifizierte Vertretung. Ziel ist es auch, Grundsatzentscheidungen herbeizuführen, die für viele Menschen anwendbar sind – das aktuelle Urteil ist dafür ein besonders weitreichendes Beispiel. Projektträger des 1993 gegründeten Netzwerks sind Caritas und Diakonie. Das Netzwerk besteht aus 11 im Fremden- und Asylrecht spezialisierten Rechtsanwält*innen aus Österreich und der Koordinationsstelle der Caritas Österreich in Wien. Auch Amnesty International, die asylkoordination Österreich, die Volkshilfe und viele weitere Organisationen unterstützen das Netzwerk. Das UNHCR ist strategischer Partner.
„Mit dieser wichtigen und richtigen Entscheidung des EuGH steht fest, dass Frauen aus Afghanistan aufgrund der sie dort völlig entrechtenden Maßnahmen allein aufgrund ihres Geschlechts Anspruch auf bestmöglichen Schutz haben. Wenn man sich den Menschenrechten verpflichtet sieht oder zumindest bereit ist, Entscheidungen des europäischen Höchstgerichts zu respektieren, wird man nun auch in Österreich Frauen aus Afghanistan ihren Anspruch auf Asyl nicht verwehren,“ so Sarah Moschitz-Kumar, Rechtsanwältin beim Netzwerk Asylanwält*innen, die einen der beiden Fälle vor dem EuGH vertritt.