Vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosenzahlen und weitverbreiteter Korruptionsvorwürfe brachen Anfang Oktober im Irak Massenproteste aus, die immer noch andauern. Seit Beginn der Proteste, bei denen eine Grundversorgung der Bevölkerung und ein Ende der Korruption gefordert wurden, gehen die Sicherheitskräfte mit rechtswidriger und exzessiver Gewalt, darunter Tränengas, scharfe Munition und Scharfschützen, gegen Protestierende vor. Zudem sind Aktivist*innen, Rechtsanwält*innen und Journalist*innen von Sicherheitskräften geschlagen und festgenommen worden bzw. wurden Opfer des Verschwindenlassens. Allein im Oktober wurden 220 Tote gezählt. In der ersten Novemberwoche wurden weitere Todesfälle gemeldet. Seit Beginn der Proteste hat Amnesty International außerdem mehrere Entführungen und Fälle von Verschwindenlassen dokumentiert.
In einem dieser Fälle berichteten Verwandte von Ali Jaseb al-Hattab, einem 29-jähriger Anwalt, der inhaftierte Protestteilnehmer*innen vertrat, er sei am Abend des 8. Oktober von mutmaßlichen Angehörigen einer Untergruppe der Milizengruppen Popular Mobilization Units (PMU) verschleppt worden. Diese Gruppen operieren mit staatlicher Unterstützung. Zwei Tage zuvor waren bewaffnete Angehörige der PMU bei ihm zu Hause erschienen und hatten ihn aufgefordert, sich nicht mehr zur Tötung von Protestierende zu äußern. Der Verbleib von Ali Jaseb al-Hattab ist nach wie vor unbekannt.
Ein weiterer Fall betrifft den 51-jährigen Maytham Mohammed Rahim al-Helo, einen Arzt und Aktivisten, der zuletzt am Abend des 7. Oktober gesehen worden war, als er seine Klinik in Bagdad verließ. Seine Familienangehörigen meldeten sein Verschwinden bei den örtlichen Behörden, die ihnen jedoch mitteilten, nichts über seinen Verbleib oder seine Festnahme zu wissen. Maytham Mohammed Rahim al-Helo ist inzwischen freigelassen worden. Nach Amnesty International vorliegenden Informationen sollen Angehörige der Sicherheitskräfte erklärt haben, es sei die Absicht gewesen, dem Arzt „wirklich Angst zu machen“.
Bisher hat keine Gruppe die Verantwortung für die Entführung von Saba Mahdawi übernommen. Nach Angaben der örtlichen Behörden ist eine Untersuchung eingeleitet worden, Informationen über ihren Verbleib oder die Identität der Entführer lägen allerdings nicht vor.
Amnesty International hat nicht nur in Bagdad, sondern auch in anderen Städten Fälle dokumentiert, z.B. in Basra, wo Sicherheitskräfte Protestierende verfolgt und festgenommen haben. Die Protestierenden wurden geschlagen und mehrere Stunden lang festgehalten, ohne dass man ihnen einen Grund dafür nannte. Dann zwang man sie, Erklärungen zu unterzeichnen, nicht mehr an den Protesten teilzunehmen, ansonsten würden sie inhaftiert.
Update am 18.11.2019
Die Sanitäterin und Aktivistin Saba Mahdawi wurde am 13. November freigelassen. Sie war am 2. November von einer unbekannten Gruppe verschleppt worden und niemand wusste, was mit ihr geschehen war. Ihre Familie hat Amnesty bestätigt, dass Saba Mahdawi bei guter Gesundheit ist und nicht misshandelt wurde.
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