Aus dem Schreiben geht zwar nicht klar hervor, für wie viele Gefängnisse diese Gegenstände und Geräte bestimmt sind, jedoch geben die Zahlen Anlass zu Sorge hinsichtlich sehr ernster Engpässe in den Gefängnissen im ganzen Land.
Der Brief warnt davor, dass "Sicherheitsrisiken" und "irreparable Schäden" aus Untätigkeit resultieren werden, insbesondere wenn man bedenkt, dass in iranischen Gefängnissen "Personen sitzen, die medizinische Vorerkrankungen haben, Drogen nehmen und/oder an Unterernährung, Anämie und Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis und Tuberkulose leiden". Ebenso wird darin festgestellt, dass die iranischen Gefängnisse "ältere [Menschen], schwangere Frauen, stillende Mütter und ihre Säuglinge beherbergen, die aufgrund ihres niedrigen sozioökonomischen Status und ihrer geringen Hygiene unter einem schwachen Immunsystem leiden".
In späteren Briefen werden diese Forderungen wiederholt und bestätigt, dass eine Antwort der Regierung bisher ausblieb. Im letzten Brief, den Amnesty International am 5. Juli 2020 erhielt, erklärt ein hoher Beamter der Strafvollzugsorganisation, dass sie keine Antwort vom Gesundheitsministerium erhalten hätten, und bittet um ein dringendes Treffen.
Leugnung von Seiten des Staates
Am 6. April 2020 sagte Asghar Jahangir in einem Interview, dass der Iran für seine Bemühungen um den Schutz der Gefangenen während des COVID-19-Ausbruchs international anerkannt werden müsse, und behauptete, dass die Gefangenen "bessere Standards der Gesundheitsversorgung und der sanitären Einrichtungen genießen, als sie es in der Gesellschaft tun würden". Er behauptete auch, dass medizinische Teams in Gefängnissen im ganzen Land stationiert worden seien, um die Gesundheit der Gefangenen täglich zu überwachen, und dass Gefangene, die Symptome zeigen, sofort getestet und in Krankenhäuser außerhalb des Gefängnisses verlegt werden, wenn die Ergebnisse positiv sind. Infolgedessen behauptete er, dass es in den Gefängnissen keinen einzigen Todesfall im Zusammenhang mit COVID-19 gegeben habe.
Die von Amnesty International beschafften Dokumente zeichnen jedoch zusammen mit den Informationen, die von Gefangenen und ihren Familien sowie von unabhängigen Menschenrechtsverteidigern übermittelt wurden, ein weitaus düstereres Bild.
Amnesty International hat beunruhigende Berichte über Gefangene mit COVID-19-Symptomen erhalten, die tagelang vernachlässigt wurden, selbst wenn sie bereits vorher Herz- und Lungenprobleme, Diabetes oder Asthma hatten. Wenn sich ihr Zustand verschlechtert, werden viele von ihnen lediglich in einem separaten Abschnitt des Gefängnisses unter Quarantäne gestellt oder in Einzelhaft untergebracht, ohne Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung.
Mindestens eine Gefangene mit positivem Testergebnis, Zeynab Jalalian, ist seit dem 25. Juni 2020 gewaltsam verschwunden. Da sich die Behörden weigerten, sie zur Behandlung im Zusammenhang mit COVID-19 in ein medizinisches Zentrum außerhalb des Gefängnisses Shahr-e Rey (auch als Gharchak-Gefängnis bekannt) in der Provinz Teheran zu verlegen, war sie sechs Tage zuvor in den Hungerstreik getreten.
Manchmal haben sich die Behörden geweigert, die Gefangenen über die Ergebnisse ihrer COVID-19-Tests zu informieren, wie zuletzt im Fall der kranken Menschenrechtsverteidigerin und Gewissensgefangenen Narges Mohammadi zu sehen war.
Unabhängige Menschenrechtsgruppen mit Kontakten innerhalb von Gefängnissen haben über mehr als 20 Fälle von vermuteten Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19 in Gefängnissen berichtet, darunter auch aus dem
- Gefängnis Ghezel Hesar (2) in der Provinz Alborz
- Zentralgefängnis des Großraums Teheran (6) und dem Gefängnis Shahr-e Rey (2) in der Provinz Teheran
- dem Gefängnis Urumieh (8) in der Provinz West-Aserbaidschan
- den Gefängnissen Kamyaran (1) und Saqez (1) in der Provinz Kurdistan
- und dem Gefängnis Sepidar (1) in der Provinz Khuzestan.
Ein Antrag von WHO-Beamten, das Evin-Gefängnis in Teheran zu besuchen, wurde laut Medienberichten im März 2020 abgelehnt.
Grausame und unmenschliche Bedingungen
Die iranischen Behörden gaben bekannt, dass sie zwischen Ende Februar und Ende Mai 2020 rund 128.000 Gefangene vorübergehend auf Urlaub entlassen und als Reaktion auf den Ausbruch weitere 10.000 begnadigt haben. Am 15. Juli 2020, als die Zahl der COVID-19-Fälle erneut anstieg, gab der Sprecher der Justiz bekannt, dass der Justizleiter neue Richtlinien herausgegeben habe, um eine zweite Runde von Beurlaubungen zu erleichtern.
Hunderte von politischen Gefangenen wurden jedoch von diesen willkommenen Maßnahmen ausgeschlossen, darunter Menschenrechtsverteidiger*innen, Ausländer und Doppelbürger*innen, Umweltschützer*innen, Personen, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen inhaftiert sind, und Menschen, die im Zusammenhang mit den Protesten vom November 2019 willkürlich inhaftiert wurden. Die Behörden haben auch weiterhin zu Unrecht verurteilte Demonstrant*innen, Dissident*innen, Aktivist*innen für Minderheitenrechte und Menschenrechtsverteidiger*innen festgenommen, um mit der Verbüßung von Gefängnisstrafen zu beginnen. Einige politische Gefangene wurden ebenfalls ins Gefängnis zurückgerufen, nachdem sie im März 2020 beurlaubt worden waren.