Am 10. November verbreiteten staatliche Medien, die dem iranischen Sicherheits- und Geheimdienstapparat nahestehen, Propagandaartikel, in denen behauptet wurde, Elham Afkari sei an der iranischen Grenze festgenommen worden. Sie zeigten ein Foto, auf dem sie mit verbundenen Augen in Gewahrsam zu sehen ist. Nach Informationen von Amnesty International wurde sie am selben Tag in Shiraz, im südlichen Zentraliran, festgenommen, als sie mit ihrer Familie unterwegs war. In den Artikeln wurde außerdem fälschlicherweise behauptet, sie gehöre zu den "wichtigsten Agent*innen" im Land und arbeite für Iran International, einen persischsprachigen Nachrichtensender mit Sitz im Ausland, der vom iranischen Geheimdienstminister als "terroristische Organisation" bezeichnet wurde. Außerdem wurde Elham Afkari beschuldigt, Frauen und Mädchen zur Teilnahme an den aktuellen Unruhen zu ermutigen. Am 22. November 2022 erklärte der Sprecher der Justiz, dass Elham Afkari im Zusammenhang mit den aktuellen Unruhen der "Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit durch die Unterstützung der Aufrufe von Gegnern [des Systems der Islamischen Republik]" beschuldigt werde. Bei einer Verurteilung wegen dieser Anklage drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Elham Afkari streitet alle gegen sie erhobenen Vorwürfe ab, da sie keine Straftaten begangen hat, sondern lediglich in friedlicher Weise ihre Menschenrechte ausgeübt hat. Elham Afkaris Ehemann und ihr dreijähriges Kind wurden noch am Tag ihrer Festnahme am 10. November 2022 wieder freigelassen. Der Geheimdienst verweigerte Elham Afkari jedoch zwei Tage lang jegliche Information zu ihrem Kind. Dies war für sie eine enorme psychische Belastung, weil sie glaubte, ihr Kind befände sich noch in Haft.
Die drei Afkari-Brüder wurden wegen ihrer friedlichen Teilnahme an Protesten auf der Grundlage politisch motivierter Anklagen verurteilt. Vahid Afkari und Navid Afkari wurden zudem grundlos beschuldigt, einen Angehörigen der Sicherheitskräfte getötet zu haben. Die Behörden verurteilten Navid Afkari zum Tode und Habib Afkari und Vahdi Afkari zu Haftstrafen sowie jeweils 74 Peitschenhieben. Nach eingehender Prüfung der Gerichtsunterlagen und anderer juristischer Dokumente zu den Fällen von Vahid Afkari und Habib Afkari ist Amnesty International zu dem Schluss gekommen, dass ihre Schuldsprüche und Strafmaße juristisches Unrecht darstellen (Siehe https://www.amnesty.org/en/documents/mde13/4349/2021/en/). Im Juni 2022 stellte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen fest, "dass der Freiheitsentzug von Vahid [Afkari] und Habib Afkari jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und somit willkürlich ist ...[und] die Verletzungen der Rechte auf ein faires Gerichtsverfahren und verfahrensrechtliche Garantien ... so schwerwiegend sind, dass ihr Freiheitsentzug willkürlich ist", und forderte ihre sofortige bedingungslose Freilassung und eine Entschädigung im Einklang mit dem Völkerrecht. Vahid Afkari berichtete in schriftlichen Beschwerden und vor Gericht, dass er zwischen seiner Festnahme im September 2018 und dem Abschluss der Ermittlungen im Mai 2019 wiederholt gefoltert wurde, um ein "Geständnis" zu erzwingen. Nach seinen Angaben wurde er in verlängerter Einzelhaft gehalten, wiederholt geschlagen, getreten oder mit Stöcken und Kabeln verprügelt, wobei ihm die Augen verbunden waren. Außerdem wurde er psychologisch gefoltert, indem man ihm unter anderem drohte, ihn zu töten oder Angehörige seiner Familie, darunter seine Schwester, zu inhaftieren, zu töten, sexuell zu missbrauchen oder ihnen anderen Schaden zuzufügen. Vahid Afkari unternahm am 26. Oktober 2018 und am 2. April 2019 Suizidversuche; beide Male hielten ihm die Behörden eine angemessene medizinische Versorgung vor. Seine wiederholten Anträge, seinen Foltervorwürfen nachzugehen, wurden abgelehnt und ignoriert.
Amnesty International hat bereits zuvor dokumentiert, dass die iranischen Behörden gezielt gegen Familien vorgehen, die wegen der rechtswidrigen Tötung von Angehörigen Wahrheit und Gerechtigkeit fordern. Familienangehörige und Zeug*innen der Proteste vom November 2019, die zwischen November 2021 und Februar 2022 bei den Anhörungen des Internationalen Volkstribunals zu den Gräueltaten im Iran (Aban-Tribunal) in London aussagten, sahen sich Repressalien seitens der iranischen Behörden konfrontiert, darunter willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, Gewalt, ungerechtfertigte Strafverfolgung, Vorladungen zu Zwangsverhören, Todesdrohungen und andere Formen von Schikanierung. Amnesty International hat auch dokumentiert, dass die Behörden versucht haben, die Familie Afkari durch wiederholte Schikanierung, Drohungen und Strafverfolgung zum Schweigen zu bringen und ihr Recht auf das Abhalten von Gedenkveranstaltungen einzuschränken. Sie veranlassten auch die Schändung und Zerstörung der Grabstätte von Navid Afkari. Am 13. November 2022 wurde Hamid Afkari, ein weiterer Bruder, fast 24 Stunden willkürlich inhaftiert, als er nach seiner Schwester fragte. Zuvor, am 12. September 2021, war ein anderer Bruder, Saeed Afkari, der ebenfalls öffentlich Rechenschaft für seine Brüder gefordert hatte, in Shiraz willkürlich festgenommen und erst nach stundenlanger intensiver Befragung wieder freigelassen worden.
Der Iran wird von einem beispiellosen Aufstand gegen das System der Islamischen Republik erschüttert, seit Jina Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die iranische "Sittenpolizei" am 16. September 2022 in Haft starb. Die Sicherheitskräfte reagieren mit rechtswidriger, darunter auch tödlicher Gewalt. Sie töteten Hunderte und verletzten Tausende. Nach einem Bericht von Radio Farda, der sich auf die gehackten Daten der staatlichen Nachrichtenagentur Fars News stützt, haben die Behörden im Zusammenhang mit den Protesten bis Ende Oktober 2022 mehr als 29.000 Menschen willkürlich festgenommen. Zu den Festgenommenen gehören Demonstrierende, Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Dissident*innen, Studierende und Schüler. Viele von ihnen sind verschwunden, wurden in Isolationshaft gehalten, gefoltert und anderweitig misshandelt sowie unfairen Gerichtsverfahren unterzogen, in denen auch die Todesstrafe verhängt werden kann.
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