Am 30. September 2019 verurteilte das erstinstanzliche Gericht in Rabat die Journalistin Hajar Raissouni wegen eines Schwangerschaftsabbruchs und außerehelichem Geschlechtsverkehr zu einem Jahr Gefängnis. Ihr Verlobter Amin Rifaat erhielt wegen außerehelichem Geschlechtsverkehr und Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch ebenfalls eine einjährige Freiheitsstrafe. Das medizinische Personal, das den Abbruch durchgeführt bzw. begleitet haben soll, wurde ebenfalls zu Haftstrafen verurteilt. Dr. Mohammed Jamal Belkeziz erhielt zwei Jahre Gefängnis und darf zwei Jahre nicht praktizieren, und zwei weitere Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen wurden zu Bewährungsstrafen in Höhe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Hajar Raissouni und Amin Rifaat weisen die Anschuldigungen zurück. Einer ihrer Rechtsbeistände, Muhammad Sadkou, hat angekündigt, Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen zu wollen.
Am 31. August waren die Journalistin Hajar Raissouni und ihr Verlobter beim Verlassen einer Klinik in der Hauptstadt Rabat festgenommen worden. Am 4. September schickte Hajar Raissouni aus dem Gefängnis einen Brief an ihren Arbeitgeber, die Zeitung Akhbar al-Yaoum. Sie erwähnt darin, dass sie im Gewahrsam zu den politischen Äußerungen in ihren Veröffentlichungen und zu einem Kollegen bei Akhbar al-Yaoum verhört worden sei. Darüber hinaus wurde sie zu ihrer Familie und darunter auch ihrem Onkel Ahmed Raissouni befragt, ein bekannter Theologe und ehemaliger Präsident einer der größten islamischen Bewegungen in Marokko, dem Mouvement de l'Unicité et de la Réforme (MUR). Diese Informationen lassen vermuten, dass die Festnahme von Hajar Raissouni politische Gründe hat und mit ihrer journalistischen Arbeit in Zusammenhang stehen könnte. Im Mai 2019 hatte Hajar Raissouni eine Reihe von Interviews mit Ahmed Zefzafi, dem Vater von Nasser Zefzafi, der führenden Persönlichkeit der Protestbewegung Hirak El-Rif, geführt. Sie hat zudem Artikel veröffentlicht, in denen sie sich kritisch über die marokkanischen Behörden äußert.
Nach dem Völkerrecht haben Frauen Autonomie über ihren Körper und ihre Person, und dies schließt die freie Entscheidung zu sexuellen und reproduktiven Fragen ein. Die Kriminalisierung von Gesundheitsdienstleistungen, die, wie ein Schwangerschaftsabbruch, ausschließlich Frauen betreffen, kommt einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung gleich.