Die Befragten berichteten, wie TPLF-Kämpfer am Nachmittag des 9. September 2021 ihre Verwandten und Nachbar*innen vor deren Häusern getötet hatten. Später hätten sie die Toten auf dem Gelände der St. George's Church und der St. Michael's Church begraben. Mit diesen Angaben stimmt auch eine spätere Analyse von Satellitenbildern der besagten Orte durch das Crisis Evidence Lab von Amnesty International überein, auf denen Spuren von neu angelegten Grabstätten zu erkennen sind.
Die vorsätzliche Tötung von Zivilpersonen – oder von gefangenen, sich ergebenden oder verwundeten Kämpfer*innen – stellt ein Kriegsverbrechen und möglicherweise ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
Sexualisierte Gewalt
Das Dorf Chenna liegt nördlich von Bahir Dar, der Hauptstadt der Amhara-Region. Dort vergewaltigten TPLF-Kämpfer ab Juli 2021 Dutzende Frauen und Mädchen, einige von ihnen erst 14 Jahre alt. Häufig drangen sie in die Häuser ihrer Opfer ein und zwangen diese vor der Tat, für sie zu kochen.
Die sexualisierten Übergriffe wurden mit schockierender Brutalität verübt. Die Betroffenen wurden geschlagen, mit dem Tode bedroht und rassistisch beleidigt. Vierzehn der 30 von Amnesty International befragten Überlebenden gaben an, von mehreren tigrayischen Kämpfern vergewaltigt worden zu sein, einige sogar vor den Augen ihrer Kinder. Sieben der Überlebenden waren Mädchen unter 18 Jahren.
Viele der Überlebenden erlitten schwere und langfristige körperliche und psychische Schäden. Zehn von ihnen lagen noch drei Monate nach der Vergewaltigung im Krankenhaus. Einige der behandelnden Ärzt*innen berichteten Amnesty International, dass zwei Überlebende wegen Risswunden behandelt werden mussten, die offensichtlich von Bajonetten stammten, die ihnen in die Genitalien eingeführt worden waren.
Amnesty International hat bereits ähnliche Muster von Vergewaltigungen an Amhara-Frauen und -Mädchen durch tigrayische Kämpfer in Nifas Mewcha dokumentiert. Auch aus anderen Gebieten der Amhara-Region erhielt die Menschenrechtsorganisation glaubwürdige Berichte über Vergewaltigungen. Solche Gräueltaten stellen Kriegsverbrechen und möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
Plünderungen ziviler Einrichtungen
Sowohl in Kobo als auch in der Region Chenna berichteten die Bewohner*innen Amnesty International, dass die TPFK Hab und Gut aus ihren Häusern und Geschäften gestohlen haben. Auch öffentliches Eigentum, einschließlich medizinischer Einrichtungen und Schulen, hätten sie geplündert und verwüstet.
Der Konflikt in Tigray begann im November 2020. Seit Juli 2021 breitet er sich auch in anderen Regionen in Nordäthiopien aus. Amnesty International hat zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch alle Konfliktparteien dokumentiert. Dazu gehören Massaker, außergerichtliche Hinrichtungen und andere rechtswidrige Tötungen, sexualisierte und andere geschlechtsspezifische Gewalt sowie willkürliche Inhaftierungen durch äthiopische Regierungstruppen und verbündete Milizen sowie durch eritreische Streitkräfte, die an ihrer Seite agieren.