Rund 30.000 Häuser wurden zerstört und weitere 25.000 schwer beschädigt. Bisher haben die Bewohner*innen rund 2.500 Leichen geborgen - einige aus dem Schutt und andere aus Massengräbern - die Mehrheit Zivilpersonen, die durch Luft- und Artillerieangriffe der Koalition getötet wurden. Da es keine forensischen Spezialist*innen gibt, werden überlebende Angehörige in den meisten Fällen nie erfahren, was aus ihren Lieben geworden ist.
Mit ihrer harten Arbeit und Widerstandsfähigkeit haben die Bewohner Rakka langsam wieder Leben eingehaucht. Aber alle, die ich traf, sagten mir, wie bitter sie vom schockierenden Mangel an Hilfe durch die Koalition enttäuscht sind - die anscheinend die Mittel hatte, die Stadt in einem so katastrophalen Feuerwerk zu bombardieren, aber nicht, sie wiederaufzubauen.
Die Koalition hat es völlig versäumt, die Auswirkungen ihres verheerenden Militärfeldzugs in Rakka zu untersuchen. Teams von Amnesty International haben seit der Offensive Hunderte von Überlebenden, Augenzeug*innen und lokalen Beamt*innen bei mehreren Feldbesuchen befragt. Nach der Schlacht war von der Koalition niemand von ihnen angesprochen worden.
Vor dem Bericht von Amnesty International vom Juni 2018 „War of Annihilation: Devastating Toll upon Civilians in Raqqa - Syria”, hatte die Koalition zugegeben, in ihrer gesamten Rakka-Kampagne nur 23 Zivilisten getötet zu haben. Unsere engagierte, kontinuierliche Ermittlungsarbeit widerlegt diese falschen Angaben.
Nachdem Militärbeamte und Politiker zuerst vehement geleugnet hatten, gab die Koalition Ende Juli dieses Jahres kleinlaut zu, dass weitere 77 zivile Todesfälle zu beklagen waren, die in unserem Bericht dokumentiert sind. Wir glauben, dass es nur die Spitze des Eisbergs ist - unsere laufenden Untersuchungen deuten darauf hin, dass weitere hunderte Zivilpersonen von Angriffen der Koalition an Orten getötet wurden, an denen es keine IS-Kämpfer oder andere militärische Ziele gab. Jeder dieser Fälle beweist Verletzungen des Völkerrechts. Zusammengenommen ist es ein vernichtendes Bild.
Also, was ist schiefgelaufen? War es eine Fehlfunktion der Waffen, Unwissenheit, menschliches Versagen oder absolute Fahrlässigkeit? Hat die Koalition die Ziele nicht ausreichend überprüft, oder war es die schlechte Wahl der Munition? Dies sind entscheidende Details, sowohl zur Feststellung von Fakten als auch zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit. Nachdem der Feldzug der Koalition in Mosul, Irak, für die Zivilbevölkerung ähnlich verheerend war, ist es entscheidend, die notwendigen Lehren zu ziehen, um ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden. Müssten die Verantwortlichen in Rakka Rechenschaft ablegen, würde das einen willkommenen Präzedenzfall im Konflikt mit Syrien schaffen, wo zu viel unschuldiges Blut von allen Konfliktparteien vergossen wurde.
In einem Schreiben an Amnesty International im September weigerte sich das US-Verteidigungsministerium erneut, sich zu den Umständen seiner Luftangriffe, die zu zivilen Verlusten führten, zu äußern. Beunruhigenderweise scheint das Pentagon nicht einmal bereit zu sein, sich dafür zu entschuldigen, hunderte Zivilpersonen getötet zu haben. Das ist eine Beleidigung für die Opfer und Überlebenden.
Niemand bestreitet, dass IS-Kämpfer Kriegsverbrechen gegen Rakkas Zivilbevölkerung begangen haben - Amnesty International hat diese ausführlich dokumentiert. Aber IS-Verbrechen entbinden die Koalition nicht von ihrer Verpflichtung, die Kriegsgesetze einzuhalten.
Während die Koalition weiterhin ihren Kopf in den Sand steckt, werden wir weiterhin das volle Ausmaß der zivilen Opfer untersuchen - eine Aufgabe, die von der Koalition übernommen werden sollte - und die Forderung der Opfer nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung unterstützen.
Sajed verlor sieben Familienmitglieder, darunter seine Frau und drei kleine Kinder, als mehrere Angriffe der Koalition das Haus, in dem sie untergebracht waren, platt machten. Das hat er mir gesagt: „Nichts kann meine Kinder zurückbringen, aber wir müssen nach Gerechtigkeit streben, damit andere Eltern ihre Kinder nicht verlieren müssen“. Jede*r der hinterbliebenen Anghörigen, die ich in Rakka getroffen habe, will Gerechtigkeit, und ich glaube, sie verdienen sie.