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© © Amnesty International (Photo: Fabio Basone)

Menschenrechte Indien 2019 © © Amnesty International (Photo: Fabio Basone)

Indien

Amtliche Bezeichnung:
Republik Indien

Staatsoberhaupt:
Ram Nath Kovind

Regierungschef:
Narendra Modi

Amnesty-Bericht
Human Rights in Asia-Pacific: A review of 2019

Der Amnesty-Bericht Human Rights in Asia-Pacific: A review of 2019 dokumentiert die Menschenrechtslage 2019 in 25 Ländern Asiens und der Pazifikregion. Den gesamten Bericht findest du hier auf Englisch.

Menschenrechtslage in Indien im Jahr 2019

Die indische Regierung widerrief 2019 den Sonderstatus des Bundesstaates Jammu und Kaschmir und leitete umfassende Repressionsmaßnahmen ein, indem sie Oppositionsführer*innen und Aktivist*innen festnahm, ihnen verfahrensrechtliche Garantien verweigerte sowie den Zugang zu Kommunikationsmöglichkeiten und Versorgungsleistungen verhinderte. Fast zwei Millionen Menschen waren in Indien angesichts willkürlicher und diskriminierender Verfahren von der Staatenlosigkeit bedroht. Menschenrechtsverteidiger*innen waren mit willkürlicher Festnahme, Inhaftierung und Strafverfolgung konfrontiert, um sie zum Schweigen zu bringen, und die Meinungsfreiheit wurde durch drakonische Gesetze eingeschränkt. Millionen indigener, in bewaldeten Gebieten lebender Familien waren von rechtswidrigen Zwangsräumungen bedroht. Frauen waren nicht ausreichend vor sexualisierter und häuslicher Gewalt, Schikane und Diskriminierung geschützt. Es gab gravierende Versäumnisse bei der Strafverfolgung von Morden und anderen Angriffen, die aufgebrachte Menschenmengen und Bürgerwehren gegen Hunderte von Menschen wegen ihrer religiösen, ethnischen, Kasten- oder Geschlechtsidentität begingen.

Jammu und Kaschmir

Im August hob die Regierung den in Artikel 370 der indischen Verfassung garantierten Sonderstatus von Jammu und Kaschmir auf und spaltete den Bundesstaat in zwei Unionsterritorien. Davor und danach kam es in der gesamten Region zu einem scharfen Vorgehen gegen die bürgerlichen Freiheiten, einer verstärkten Militarisierung, einem Ausfall der Kommunikation und zur Inhaftierung wichtiger Politiker*innen wie Farooq Abdullah, Omar Abdullah und Mehbooba Mufti. Um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, wurden Hunderte weitere Politiker*innen und Aktivist*innen ebenfalls unter verschiedenen Gesetzen in Verwaltungshaft genommen. Es gab keine offiziellen Informationen über die Anzahl der inhaftierten Personen, ob diese Zugang zu einem Rechtsbeistand und Familienmitgliedern hatten oder wo und im Rahmen welcher Anklage sie festgehalten wurden.

Von der Regierung verhängte Beschränkungen hinderten Journalist*innen und Aktivist*innen daran, die Situation unabhängig zu dokumentieren und über die Lage zu berichten, darunter auch über mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen. Der Zugang zu Notfalldiensten, Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen Versorgungsleistungen war stark eingeschränkt. Die Menschenrechtsexpert*innen der Vereinten Nationen, darunter der Sonderberichterstatter über die Förderung und den Schutz des Rechts auf Meinungsfreiheit, der Sonderberichterstatter für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern, die Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens von Personen, der Sonderberichterstatter zum Recht auf Versammlungs- und Organisationsfreiheit und die Sonderberichterstatterin für außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen beschrieben das Vorgehen als „eine Form der kollektiven Bestrafung“.

Während zahlreiche Kommunikationsdienste wie Telefon, Mobilfunk, SMS wiederhergestellt wurden, blieb das Internet weiterhin abgeschaltet. Das Kaschmir-Tal verzeichnete die Hälfte aller Internet-Abschaltungen in Indien, dem Land, das für die höchste Anzahl von Abschaltungen weltweit steht.

Vor August 2019 sahen sich kaschmirische Frauen und Männer im ganzen Land mit gezielten Angriffen, Schikanen und willkürlichen Festnahmen konfrontiert, nachdem im Februar des Jahres 42 Angehörige der Sicherheitskräfte in Pulwama in Jammu und Kaschmir bei einem Selbstmordanschlag getötet wurden. In den nördlichen Staaten, insbesondere in Uttarakhand, Haryana und Bihar, wurden kaschmirische Studierende und Händler*innen von hindu-nationalistischen Gruppen geschlagen, bedroht und eingeschüchtert, so dass zahlreiche Studierende sich gezwungen sahen, die Universität zu verlassen.

Im Juni 2019 verweigerten die Behörden Amnesty International Indien die Erlaubnis, eine Informationsveranstaltung über den Missbrauch des drakonischen Gesetzes für Öffentliche Sicherheit von Jammu und Kaschmir (Jammu and Kashmir Public Safety Act) in Srinagar, der Hauptstadt der Region, abzuhalten, wobei sie die „herrschende Rechts- und Ordnungslage“ als Grund anführten.

Diskriminierung

Im August 2019 veröffentlichten die Behörden von Assam ein nationales Bürgerregister. Fast zwei Millionen Menschen, die nicht in das Register aufgenommen wurden, droht die Staatenlosigkeit. Ihnen standen als einziger Rechtsbehelf die Sondertribunale für Ausländer*innen zur Verfügung. Dabei handelt es sich um quasi-gerichtliche Gremien, häufig mit willkürlichen Verfahren und einer voreingenommenen und diskriminierenden Entscheidungsfindung, insbesondere für Frauen, die seltener Zugang zu Ausweisdokumenten als Nachweis ihres Status‘ haben. Die Tribunale, die von Mitgliedern mit begrenzter richterlicher Erfahrung geleitet werden, erklärten Personen häufig aufgrund von Schreibfehlern wie geringfügigen Unterschieden in der Schreibweise eines Namens oder Geburtsdatums in den Wählerlisten zu „irregulären Ausländer*innen“. Über 1.000 zu Ausländer*innen erklärte Personen wurden in einem von sechs Internierungslagern in Assam festgehalten, die sich durch Überbelegung und eine fehlende Trennung zwischen Untersuchungshäftlingen, verurteilten Straftäter*innen und Häftlingen auszeichnen. Amnesty International Indien hat auch die Verschlechterung der geistigen und körperlichen Gesundheit der Häftlinge dokumentiert. In Goalpara in Assam wurde mit dem Bau der „größten indischen Haftanstalt“ begonnen, in der schätzungsweise etwa 3.000 als Ausländer*innen deklarierte Personen untergebracht werden sollen.

Repressive Gesetze

Es gab zahlreiche repressive Änderungen an Gesetzen wie dem Staatsbürgerschaftsgesetz, am Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (Unlawful Activities [Prevention] Act – UAPA), am Gesetz zum Schutz der Rechte von Transgender (Transgender Persons [Protection of Rights] Act), am Gesetz über das Recht auf Information (Right to Information Act – RTI Act) und anderen Gesetzen.

Während der Monsunsitzungsperiode des Parlaments wurde das UAPA, Indiens wichtigstes Gesetz zur Terrorismusbekämpfung, geändert, um der Regierung die Möglichkeit zu geben, Personen zu Terrorist*innen zu erklären. Das Gesetz enthält eine sehr weit gefasste, zweideutige Definition für einen „Terrorakt“ und verschafft der Regierung die uneingeschränkte Befugnis, normale Bürger*innen oder Aktivist*innen als Terrorist*innen zu brandmarken. Es steht dafür, kritisches Denken zu verbieten, abweichende Meinungen zu kriminalisieren und Personen anzuklagen, weil sie proaktive Mitglieder der Gesellschaft sind, indem man sie als Terrorist*innen bezeichnet. Im gleichen Zeitraum wurde auch das Gesetz über das Recht auf Information verwässert. Die Gesetzesänderungen schwächten die Unabhängigkeit der Informationsausschüsse, da die Befugnis zur Festlegung ihrer Amtszeit, ihres Gehalts und ihrer Arbeitsbedingungen an die Zentralregierung übertragen wurde.

Während der Wintersitzungsperiode des Parlaments im Dezember 2019 wurde das Gesetz zum Schutz der Rechte von Transgendern verabschiedet. Das Gesetz untergräbt die Rechte von Transgendern und Intergeschlechtlichen und verstößt gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Indiens sowie gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2014 im Fall NALSA gegen die Indische Union. So sieht das Gesetz u. a. ein vages bürokratisches Verfahren für die rechtliche Anerkennung des Geschlechts von Transgendern vor.

Im gleichen Sitzungszeitraum wurde eine Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes verabschiedet, um Migrant*innen ohne regulären Aufenthaltsstatus den Erwerb der indischen Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung und Registrierung zu ermöglichen. Das Gesetz beschränkt das Recht darauf allerdings auf Hindus, Sikhs, Buddhist*innen, Jains, Pars*innen und Christ*innen aus Afghanistan, Bangladesch und Pakistan, die am oder vor dem 31. Dezember 2014 nach Indien eingereist sind. Außerdem müssen diese Gemeinschaften für die Einbürgerung nicht länger elf, sondern nur noch fünf Jahre ihren Wohnsitz in Indien nachweisen können.

Neben den negativen Folgen für Flüchtlinge und Asylsuchende wirken sich die Änderungen auch auf die Menschenrechte indischer Staatsangehöriger, insbesondere Muslim*innen, aus. Während der Wintersitzungsperiode des Parlaments kündigte Innenminister Amit Shah ein nationales Bürgerregister an, das die Staatsbürgerschaft von mehr als 1,3 Milliarden Menschen im Land dokumentieren soll und Besorgnis hinsichtlich des Schicksals vom Register ausgeschlossener Muslim*innen aufkommen ließ. Nach landesweiten Protesten gegen das Gesetz zog die indische Regierung ihre Ankündigung vorübergehend zurück.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Menschenrechtsverteidiger*innen wurden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit willkürlich festgenommen, inhaftiert und strafrechtlich verfolgt, um sie zum Schweigen zu bringen.

Neun bekannte Menschenrechtsaktivist*innen, die 2018 auf der Grundlage des Gesetzes zur Verhütung von Straftaten (UAPA) festgenommen worden waren, blieben willkürlich inhaftiert, weil sie „einen Krieg gegen das Land“ geführt haben sollen. Alle neun haben mit den am stärksten marginalisierten Bevölkerungsgruppen Indiens zusammengearbeitet, darunter mit Dalits und Adivasi, und regierungskritische Ansichten geäußert. Im Februar 2019 nahm die Polizei von Maharashtra den Universitätsdozenten Anand Teltumbde fest. Ihm wurden die Beteiligung an den gewalttätigen Bhima-Koregaon-Ausschreitungen 2018 in der Nähe von Pune sowie Verbindungen zur verbotenen Kommunistischen Partei Indiens (Maoisten) vorgeworfen. Er wurde tags darauf, am 4. Februar 2019, freigelassen, nachdem ein Gericht seine Festnahme für illegal erklärt hatte.

Im Juni 2019 leitete die zentrale Ermittlungsbehörde ein Strafverfahren gegen das Lawyers Collective ein, weil das Anwaltskollektiv angeblich gegen das Gesetz über Finanzierung aus dem Ausland (Foreign Contribution [Regulation] Act) verstoßen hatte. Dieses Gesetz schränkt das Recht von Organisationen, auf ausländische Mittel zurückzugreifen, unangemessen ein. Zu den Aktivitäten des Lawyers Collective gehören die Bereitstellung von Rechtshilfe und der Einsatz für die Rechte marginalisierter Gruppen.

Der Vorwurf der Aufwiegelung wurde weiterhin eingesetzt, um abweichende Meinungen zu kriminalisieren. Pa Ranjith, ein Filmemacher und Aktivist für die Rechte der Dalits, Hard Kaur, ein Rapper, sowie Shehla Rashid, eine kaschmirische Politikerin und Aktivistin, sind nur einige, die wegen Aufwiegelung angeklagt wurden, weil sie Kritik an der Regierung geübt hatten. Am 7. Juni wurde der Journalist Prashant Kanojia in der Hauptstadt Neu-Delhi wegen Aufwiegelung festgenommen, nachdem er in den sozialen Medien Inhalte veröffentlicht hatte, in denen der Ministerpräsident von Uttar Pradesh kritisiert wurde. Am 12. Juni wurde er vom Obersten Gerichtshof gegen Kaution freigelassen, ohne dass jedoch die Anklage fallengelassen wurde.

Am 3. Oktober wurden 49 Prominente wegen Aufwiegelung angeklagt, weil sie Premierminister Narendra Modi in einem offenen Brief aufgefordert hatten, sinnvolle Maßnahmen gegen Hassverbrechen zu ergreifen. In ihrem Brief hatten sie Statistiken der Regierung und anderer unabhängiger Quellen angeführt, um den Anstieg von Hassverbrechen und den Rückgang damit verbundener Verurteilungen zu verdeutlichen.

Die Zentralregierung und Regierungen der Bundesstaaten in ganz Indien gingen auch gegen friedliche Proteste (u. a. an verschiedenen Universitäten und Einrichtungen für Minderheiten) gegen die diskriminierende Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes vor. Die Behörden verschiedener Bundesstaaten nahmen Personen fest, die gegen das Gesetz demonstrierten, oder erließen gemäß Abschnitt 144 der Strafprozessordnung Unterlassungsgebote. Desweiteren gingen die indischen Behörden mit Machtdemonstrationen, Massenfestnahmen und weiträumigen Internetabschaltungen gegen Demonstrierende vor. Allein im Bundesstaat Uttar Pradesh wurden mehr als 18 Personen, darunter ein achtjähriges Kind, getötet und mehr als 5000 Personen inhaftiert.

Rechte indigener Bevölkerungsgruppen

Am 13. Februar 2019 ordnete der Oberste Gerichtshof auf Antrag von Tierschutzorganisationen die Zwangsräumung aller Waldbewohner*innen in Indien an, nachdem deren Forderung, auf ihrem angestammten Land bleiben zu können, von den Bundesstaaten auf Grundlage des Gesetzes über die Waldnutzung (Forest Rights Act) abgelehnt worden waren. Dem Ministerium für Stammesangelegenheiten zufolge waren davon fast zwei Millionen Familien betroffen. Nach einer Intervention der Zentralregierung setzte das Gericht die Anordnung am 28. Februar vorübergehend aus, in Erwartung von Informationen seitens der Bundesstaaten, ob bei der Ablehnung der Forderungen die verfahrensrechtlichen Garantien eingehalten wurden. Bis Ende 2019 lagen dem Obersten Gerichtshof noch keine Antworten seitens der Bundesstaaten vor.

Im Juni 2019 äußerten die UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf angemessenes Wohnen, für die Rechte indigener Völker und die Menschenrechte von Binnenvertriebenen ihre Besorgnis hinsichtlich der negativen Auswirkungen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs auf das Leben von Millionen von Indigenen.

Frauenrechte

Frauen waren nach wie vor sexualisierter und häuslicher Gewalt, auch durch Ehemänner und andere Familienmitglieder, sowie sexualisierter Belästigung am Arbeitsplatz ausgesetzt, während die Täter weiterhin Straflosigkeit genossen.

Im April erhob eine Mitarbeiterin am Obersten Gerichtshof im Zusammenhang mit einem Vorfall aus dem Jahr 2018 Vorwürfe wegen sexualisierter Belästigung gegen den Obersten Richter. Der Oberste Richter rief daraufhin ein richterliches Gremium ein, um Bedenken zu prüfen, nach denen die Vorwürfe durch den Wunsch der Beschwerdeführerin motiviert waren, die Unabhängigkeit der Justiz anzugreifen. Medienberichten zufolge habe der Oberste Richter behauptet, das Opfer sei Gegenstand „laufender strafrechtlicher Ermittlungen“. Anschließend wurde die Beschwerde an einen internen Ausschuss aus drei Richter*innen verwiesen. Darunter befanden sich auch zwei Frauen, jedoch keine externen Mitglieder, wie es das Gesetz über sexualisierte Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz (Sexual Harassment of Women at Workplace [Prevention, Prohibition and Redressal] Act) verlangt. Der Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin war bei den Sitzungen des Ausschusses nicht zugelassen und ihr Ersuchen um Informationen über das Ausschussverfahren wurde abgelehnt. Daraufhin zog sie sich aus dem Verfahren zurück. Nachdem der Ausschuss den Obersten Richter von jeglichem Fehlverhalten freigesprochen hatte, verweigerte es der Beschwerdeführerin den Zugang zu einem Bericht, in dem die Ergebnisse des Ausschusses im Einzelnen dargelegt wurden.

Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament das Gesetz zum Schutz der Rechte muslimischer Frauen in der Ehe (Muslim Women [Protection of Rights on Marriage] Act), das im September 2019 in Kraft trat. Dieses verbietet die diskriminierende und den Männern vorbehaltene Praxis der islamischen „Sofortscheidung“ (Triple Talak) und belegt sie mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren.

Gewalt gegen religiöse und ethnische Gruppen

Im ganzen Land gab es zahlreiche Hassverbrechen gegen Muslim*innen und andere religiöse Gruppen, gegen ethnische Gruppen, einschließlich Dalits und Adivasi, sowie kasten- und geschlechtsspezifische Straftaten. Diese gewalttätigen Angriffe, zu denen auch Lynchjustiz gehörte, wurden häufig von Bürgerwehren und aufgebrachten Menschenmengen begangen.

Die Gesetzgebung gegen diese Verbrechen war nach wie vor unzulänglich. Im Juli 2019 legte die Gesetzeskommission von Uttar Pradesh der Regierung des Bundesstaates einen Gesetzesentwurf vor, der darauf abzielte, die Gesetze gegen Lynchjustiz zu verschärfen. Im August verabschiedete die Regierung von Rajasthan ein Gesetz zum Schutz vor Lynchjustiz. Rajasthan ist damit nach Manipur der zweite Bundesstaat, der Lynchjustiz durch aufgebrachte Menschenmengen getrennt vom Straftatbestand des Mordes durch strengere Strafen ahndet.

Die offiziellen Daten über Lynchjustiz durch Bürgerwehren zum Schutz von Kühen waren nach wie vor unzureichend, weil die Regierung die Schwere und das diskriminierende Motiv hinter dem Verbrechen nicht erkannte und es vielmehr im Rahmen der Bestimmungen des indischen Strafgesetzbuches in Bezug auf „Ausschreitungen“, „rechtswidrige Versammlung“ oder „Mord“ behandelte. Das indische Amt für Verbrechensstatistiken veröffentlichte im dritten Jahr in Folge keine Kriminalitäts-, Gefängnis- und Selbstmordstatistiken. Die Tatsache, dass keine Daten erfasst und aufbewahrt wurden und die Polizei keine effektiven Ermittlungen durchführte, hatte zur Folge, dass Dutzende von mutmaßlich Schuldigen freigesprochen wurden.

Im Juni 2019 verbreitete sich ein Video in den sozialen Medien, das die brutale Ermordung von Tabrez Ansari, einem 24-jährigen muslimischen Arbeiter, durch eine aufgebrachte Menschenmenge in Jharkhand zeigt. Man sieht, wie Tabrez Ansari an einen Pfahl gefesselt und von Männern mit Eisenstangen und Stöcken geschlagen und gezwungen wird, „Jai Sri Ram“ (Ehre sei Lord Rama) und „Jai Hanuman“ (Ehre sei Hanuman) zu singen. Elf Männer wurden wegen seiner Ermordung angeklagt, aber die Mordanklage wurde fallengelassen und in eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung umgewandelt, weil die Polizei behauptete, dass er den rechtsmedizinischen Berichten zufolge an einem Herzinfarkt gestorben sei und folglich keine Tötungsabsicht vorgelegen habe. Nachdem die Polizei eine zweite Meinung von Fachärzt*innen eingeholt hatte, reichte sie jedoch eine zusätzliche Anklageschrift ein, in der die Mordanklage gegen elf Angeklagte auf der Grundlage eines neuen medizinischen Berichts aufrechterhalten wurde.

Im August 2019 wurden sechs von neun Männern, die des Mordes an Pehlu Khan, einem Milchbauern, angeklagt waren, von einem Gericht in Rajasthan freigesprochen. Der Bauer war wegen des Verdachts des Kuhhandels gelyncht worden. Bei den übrigen drei Angeklagten handelte es sich um Jugendliche, deren Verfahren vor einem Gericht für jugendliche Straftäter*innen verhandelt wurde. Bei der Anordnung des Freispruchs der sechs Angeklagten befand das Gericht, dass es sich bei dem Video, das den Angriff auf Pehlu Khan zeigte, um kein zulässiges Beweismittel handelte. Zeitgleich reichte die Polizei eine Klage gegen den getöteten Pehlu Khan und seine beiden Söhne wegen Kuhschmuggels ein.

Berichtszeitraum: 1. Januar – 31. Dezember 2019

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