Trotz Verbotsversuch und Eingriff in die Versammlungsfreiheit: Die Budapest Pride 2025 hat stattgefunden. © Szabolcs Nagy
Trotz Verbotsversuch und Eingriff in die Versammlungsfreiheit: Die Budapest Pride 2025 hat stattgefunden. © Szabolcs Nagy
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Dein Recht auf Protest: Versammlungsfreiheit in Österreich und weltweit

Die Versammlungsfreiheit ist ein Menschenrecht – sie ermöglicht es Menschen, ihre Meinung öffentlich zu äußern, politische Anliegen sichtbar zu machen und gesellschaftliche Veränderungen einzufordern.

Doch in Österreich steht dieses Recht zunehmend unter Druck. Amnesty International Österreich zeigt in einem aktuellen Advocacy-Briefing zum Recht auf friedliche Versammlung: Menschen, die demonstrieren wollen, sehen sich immer öfter mit Hürden konfrontiert – von polizeilichen Eingriffen über Überwachung bis hin zu Verboten ganzer Protestaktionen.

Auf dieser Seite erfährst du, warum das Recht auf friedliche Versammlung ein Menschenrecht ist – und welche drei Probleme dieses Recht in Österreich derzeit bedrohen.

Die Analyse stützt sich auf den Amnesty International-Bericht „Under Protected and Over Restricted“ (2024).

 

Was versteht man unter einer Versammlung?

Unter einer Versammlung versteht man eine organisierte oder spontane Zusammenkunft mehrerer Menschen mit dem Ziel, politische Entscheidungsträger*innen zum Handeln zu bewegen und Veränderungen anzustoßen. Zu solchen Versammlungen gehören unter anderem politische Demonstrationen, Proteste, (Sitz-)Streiks, Kundgebungen, Straßensperrungen oder Mahnwachen.

Die Versammlungsfreiheit ermöglicht uns, öffentlich auf Anliegen aufmerksam zu machen und unsere Überzeugungen zu vertreten. Somit ist sie nicht nur von grundlegender Bedeutung für die freie Meinungsäußerung, sondern auch essenziell für den Schutz und die Verteidigung der Menschenrechte. 

In Österreich ist die Versammlungsfreiheit grundlegend geschützt – auch spontane Proteste fallen darunter. Das bedeutet: Menschen dürfen sich kurzfristig versammeln, um ihre Meinung öffentlich zu äußern.

Gleichzeitig schreibt das Versammlungsgesetz vor, dass Veranstaltungen mindestens 48 Stunden vorher angezeigt werden müssen. Für spontane Versammlungen gibt es zwar Ausnahmen, doch in der Praxis können Organisator*innen oder Personen, die von der Polizei als verantwortlich gelten, Verwaltungsstrafen erhalten, wenn die Anzeigepflicht nicht eingehalten wird. Das führt zu Konflikten, weil Teilnehmer*innen sich auf die Versammlungsfreiheit berufen, Behörden aber die Anmeldungspflicht durchsetzen.

Findet die Veranstaltung auf öffentlichen Straßen statt, so ist sie drei Tage vor der Durchführung schriftlich anzuzeigen. Solange Versammlungen und Demonstrationen friedlich verlaufen, sind sie durch Grund- und Menschenrechte geschützt. Dies gilt auch für unbewilligte und spontane Demonstrationen.

Eingriffe in die Versammlungsfreiheit: Was darf die Polizei bei DemonstRationen?

Die Versammlungsfreiheit darf nur in Ausnahmefällen eingeschränkt werden – etwa wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist oder die Gesundheit vieler Menschen geschützt werden muss. Jede Einschränkung muss gesetzlich gedeckt, erforderlich und angemessen sein. 

Verhältnismäßig sind diese Einschränkungen in vielen Fällen nicht! 

Strafrechtliche Sanktionen gegen Menschen, die sich friedlich versammeln, schrecken andere ab, an zukünftigen Protesten teilzunehmen und ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen.

Zum Beispiel hat im Dezember 2023 die Wiener Staatsanwaltschaft gegen Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation“ ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Organisation gestartet. Seit Anfang 2023 (Stand 3. März 2024) gab es bei Klimaprotesten insgesamt fast 900 Festnahmen und rund 3.700 Anzeigen, davon etwa 150, die an die Strafjustiz weitergegeben wurden. Inzwischen verfolgt die Staatsanwaltschaft den Tatbestand der kriminellen Organisation nicht mehr weiter.

Demonstrierende müssen sich nicht nur strafrechtlichen Konsequenzen stellen, sondern erleben auch Gewalt – Aktivist*innen berichten regelmäßig von brutalen Übergriffen bei Protesten. Ein Beispiel dafür sind sogenannte Schmerzgriffe, ergänzt durch Schläge mit Quarzhandschuhen, Würgegriffe oder Tritte gegen am Boden liegende Demonstrierende.

Unverhältnismäßige Gewalt gegen friedliche Demonstrierende ist rechtswidrig und muss strafrechtlich verfolgt werden.

Weltweit werden Proteste niedergeschlagen

Ein neues Gesetz bedrohte die Budapest Pride 2025. Es verbot Versammlungen zur Unterstützung der Rechte queerer Menschen und stellte einen direkten Angriff auf die LGBTQIA+ Community, ihre Verbündeten und das Recht auf Versammlungsfreiheit dar. Behörden durften dadurch Demonstrationen untersagen, Teilnehmer*innen bestrafen und Überwachung einsetzen. 

Am Ende konnte die Pride stattfinden. Internationaler Druck – darunter von der Europäischen Union, Europaabgeordneten sowie durch die weltweite Solidarität all jener von euch, die aktiv geworden sind und unsere Petition "Let Pride March" unterzeichnet haben, konnten diesen Erfolg erzielen.

Die Petition unterstützte das Ziel die internationale Aufmerksamkeit auf die rechtlichen und politischen Herausforderungen der Pride zu lenken und gleichzeitig zur Teilnahme an der Demonstration zu ermutigen und sich bei der Polizei dafür einzusetzen, dass die Pride trotz der rechtlichen Herausforderungen stattfinden kann.

Drei große Probleme beim Recht auf Protest in Österreich

Es wird deutlich: Menschen, die ihre Stimme im öffentlichen Raum erheben wollen, geraten unter Druck.

Auch in Österreich muss unsere Versammlungsfreiheit besser geschützt werden. In drei Bereichen gibt es dringenden Handlungsbedarf: die weiterhin fehlende individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen, unzureichende Garantien für Spontanversammlungen und der problematische Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie.

Fehlende individuelle Kennzeichnungspflicht 

Derzeit besteht in Österreich keine individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen – etwa durch das Tragen von anonymisierten, aber individualisierbaren Dienstnummern auf der Uniform.

Eine solche wäre aber eine Grundvoraussetzung für wirksame Ermittlungen im Falle polizeilichen Fehlverhaltens. Denn ohne eine Kennzeichnungspflicht können Beamt*innen vor allem bei unübersichtlichen Einsätzen nicht identifiziert werden.

Wenn Einsatzkräfte in geschlossenen Einheiten agieren, ist nicht nachvollziehbar, wer gehandelt hat – wer unverhältnismäßige Gewalt eingesetzt oder Grenzen überschritten hat. 

In den meisten europäischen Staaten besteht eine Kennzeichnungspflicht. Diese kann dabei zum einen durch Namensschilder, zum anderen aber auch durch anonymisierte Identifikationscodes umgesetzt werden. Neben Italien, Luxemburg, Niederlande und Serbien zählt Österreich zu nur fünf der insgesamt 21 von Amnesty International untersuchten europäischen Staaten, in denen keine Kennzeichnungspflicht besteht.

Welche Schritte können Menschen ergreifen, die Polizeigewalt erleben?

Eine Kennzeichnungspflicht ist Grundvoraussetzung für wirksame Ermittlungen, im Falle polizeilichen Fehlverhaltens.

Für Personen, die Polizeigewalt erlebt haben, ist es sehr schwer Täter*innen zu identifizieren. Zwar verpflichtet das Sicherheitspolizeigesetz die einschreitenden Beamt*innen dazu, auf Nachfrage ihre Dienstnummer bekanntzugeben. Dennoch berichten Betroffene immer wieder, dass ihnen diese Information während einer Amtshandlung trotz ausdrücklicher Bitte verweigert wird. Bei Übergriffen ist lediglich Anzeige gegen Unbekannt möglich.

Eine Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES) wies bereits 2018 darauf hin, dass in Österreich fast alle Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamt*innen eingestellt werden. 

Mehr Transparenz stärkt Vertrauen in die Polizei

Eine individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamt*innen macht polizeiliche Arbeit transparenter und erhöht damit ihre demokratische Legitimität sowie ihr Ansehen in der Öffentlichkeit. Zudem werden korrekt arbeitende Polizist*innen in ihrer täglichen Arbeit vor falschen Anschuldigungen geschützt, da sie besser von Zeug*innen identifiziert werden können. Es gibt keine Nachweise dafür, dass es durch eine Kennzeichnungspflicht zu vermehrten (falschen) Anschuldigungen gegen Polizist*innen kommt.

Amnesty International fordert vom Bundesministerium für Inneres daher:

  • Die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen in Österreich, die die Beamt*innen klar und eindeutig identifizierbar macht.

Unzureichender Schutz von Spontanversammlungen 

Bei einer Spontanversammlung kommen Menschen aus einem aktuellen Anlass zusammen – oft aus einem unmittelbaren Bedürfnis heraus –, um auf ein gegenwärtiges Ereignis zu reagieren. Der Entschluss dazu wird kurzfristig und gemeinschaftlich gefasst.

Obwohl Spontanversammlungen vom Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt sind, können Organisator*innen von Spontanversammlungen – oder Personen, die von der Polizei als solche angesehen werden – in Österreich Verwaltungsstrafen bekommen, wenn sie die Anzeigepflicht nicht einhalten.  

Beispielsweise erhielt eine Person für eine Demonstration  2020 in Wien, die weniger als 24 Stunden nach dem Brand im EU-Flüchtlingslager Moria stattfand, eine Strafverfügung. Bei so kurzfristigen Reaktionen auf aktuelle Ereignisse ist eine rechtzeitige Anzeige aber oft unmöglich. Im anschließenden Beschwerdeverfahren konnte die Strafe erfolgreich aufgehoben werden. 

Spontanversammlungen müssen die 48-Stunden-Anmelde-Frist nicht einhalten. Eine Strafe für Spontanversammlungen auf dieser Grundlage widerspricht daher den Gesetzesmaterialien. 

Amnesty International betont, dass im Gesetz klar geregelt sein muss, dass Organisierende von Spontanversammlungen keine Strafen befürchten müssen. Andernfalls könnten Menschen aus Angst vor Sanktionen von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit keinen Gebrauch mehr machen. Auch der UN-Menschenrechtsausschuss sieht Spontanversammlungen als Teil des Rechts auf Versammlungsfreiheit und fordert ausdrücklich, dass sie von Anzeigepflichten ausgenommen werden sollten. 

Amnesty International fordert von der österreichischen Bundesregierung daher:

  • Spontanversammlungen sollten explizit von der Pflicht, eine Versammlung anzuzeigen, ausgenommen werden. Die Durchführung von Spontanversammlungen ist von der Behörde zu ermöglichen und zu schützen.
  • Die Definition einer Spontanversammlung ist breit auszulegen und sollte alle Versammlungen umfassen, bei denen eine rechtzeitige Anzeige den Versammlungszweck obsolet machen könnte.
  • Organisator*innen von Spontanversammlungen oder Personen, die von der Polizei als solche verstanden werden, dürfen nicht bestraft werden, nur weil sie die Anzeigepflichten nicht erfüllt haben.

UNGERECHTFERTIGTER EINSATZ VON GESICHTSERKENNUNGSSOFTWARE bei Demonstrationen

Der ungerechtfertigte Einsatz von Gesichtserkennungssoftware bei Demonstrationen ist eine ernsthafte Gefahr für die Versammlungsfreiheit. Wenn der Staat biometrische Daten von Teilnehmer*innen erfassen kann, entsteht ein Klima der Einschüchterung. Gesichtserkennungstechnologien können Personen identifizieren und authentifizieren und stellen einen massiven Eingriff in die Menschenrechte dar – besonders für das Recht auf Privatsphäre.

Proteste sind Raum für Sichtbarkeit und Selbstermächtigung. Videoüberwachte Demonstrationen können jedoch einen sogenannten „Chilling Effect“ auslösen: Wenn Menschen das Gefühl haben, beobachtet zu werden, verändert sich ihr Verhalten. Sie äußern sich weniger frei, sie protestieren seltener und es schreckt sie davon ab, überhaupt an Versammlungen teilzunehmen. 

Kundgebung von Amnesty Österreich und epicenter.works gegen videoüberwachte Innenstädte im November 2025. © Amnesty International Österreich
Kundgebung von Amnesty Österreich und epicenter.works gegen videoüberwachte Innenstädte im November 2025. © Amnesty International Österreich

Gesichtserkennung verstärkt Diskriminierung: Fehlerquote abhängig von Hautfarbe, Geschlecht und Ethnie

Besonders betroffen von diesem „chilling effect“ sind Menschen aus marginalisierten Gruppen oder Menschen, die Diskriminierung erfahren. Gesichtserkennungssysteme weisen grundsätzlich eine hohe Fehlerquote auf. Besorgniserregend ist dabei insbesondere die diskriminierende Funktionsweise der Technologie, die bestehende Ungleichheiten weiter verstärkt. Untersuchungen haben ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung von Gesichtserkennungssystemen abhängig von bestimmten Merkmalen wie Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht ist.

Die Systeme erkennen Bilder von nicht-männlichen und nicht-weißen Personen erheblich schlechter, da die Trainingsdaten der KI überwiegend Bilder von weißen Männern sind.

Der Einsatz solcher Programme kann aufgrund ihrer Unzuverlässigkeit zu ungerechtfertigten strafrechtlichen Beschuldigungen führen. Das bringt mindestens zwei schwerwiegende Probleme mit sich: Erstens müssen betroffene Personen nachweisen, dass sie sich zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht am Ort des Geschehens befanden. Zweitens verstößt eine solche Praxis gegen das Diskriminierungsverbot. 

In Österreich wird derzeit über eine flächendeckende Überwachung von Innenstädten diskutiert. Die geplante Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) soll eigentlich der Verkehrsberuhigung dienen, wirft jedoch Fragen zum Schutz der Privatsphäre und der Versammlungsfreiheit auf.

Automatisierte Gesichtserkennung ist in Österreich bereits im Kontext von Protesten zum Einsatz gekommen. So wurden bei der Demonstration gegen die European Gas Conference 2023 Aktivist*innen fotografiert, und die Bilddaten wurden mittels Gesichtserkennung ausgewertet. Das daraufhin eingeleitete Strafverfahren wurde einige Monate später gegen alle Beschuldigten vollständig eingestellt.

Denn: Laut dem UN-Menschenrechtsausschuss sollte auch die anonyme Teilnahme an Versammlungen ermöglicht werden und vom Recht auf Versammlungsfreiheit umfasst sein. Auch wenn die Sammlung relevanter Informationen und Daten unter gewissen Umständen die behördliche Begleitung von Versammlungen unterstützen kann, dürfen hierdurch keinesfalls Menschenrechte verletzt und es darf nicht von der Ausübung des Rechts auf Versammlungsfreiheit abgeschreckt werden.

Kundgebung mit epicenter.works gegen videoüberwachte Innenstädte

Am 27. November 2025 versammelten sich Amnesty International Österreich gemeinsam mit den Datenschützer*innen von epicenter.works in Wien zu einer Kundgebung. Sie forderten eine menschenrechtskonforme Überarbeitung der StVO-Novelle, die das Recht auf Versammlungsfreiheit schützt und sicherstellt, dass Menschenrechte nicht unter dem Vorwand der Verkehrsüberwachung eingeschränkt werden.

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Das Recht auf Versammlungsfreiheit ist ein wichtiges Menschenrecht, das geschützt bleiben muss! 

Amnesty International fordert vom Bundesministerium für Inneres daher:.

  • Das grundsätzliche Verbot des Einsatzes von Gesichtserkennungstechnologie – sowohl im Umfeld von Versammlungen als auch darüber hinaus – ist wichtig, da der Einsatz ein hohes Risiko birgt, unrechtmäßig in die Versammlungsfreiheit, die Privatsphäre und den Schutz vor Diskriminierung einzugreifen.

Basierend auf den im Juli 2024 veröffentlichten Bericht „Under Protected and Over Restricted: The state of the right to protest in 21 European countries“, hat Amnesty International Österreich in diesem Briefing die aktuelle Lage zum Recht auf Protest in Österreich zusammengefasst.

Der Bericht wurde durch weiterführende Recherchen ergänzt, die die Entwicklungen in Österreich seit der Veröffentlichung bis Oktober 2025 abdecken.

Das vollständige Briefing kannst du dir hier herunterladen: