Sozialhilfe-Grundgesetz führt am Ziel vorbei
Neben dem immer brisanter werdenden Mangel an leistbarem Wohnraum ist es vor allem das vor drei Jahren verabschiedete Sozialhilfe-Grundgesetz, das laut Amnesty die Situation von Betroffenen verschärft: „Insbesondere der restriktive Geltungsbereich und der Höchstbetrag der Sozialhilfe sowie die gesetzlich festgelegten Prozentsätze für wohnungsbezogene Kosten erschweren den Zugang zu leistbarem, angemessenem Wohnraum für Menschen, die in Armut leben.“ Das Urteil von Amnesty fällt vernichtend aus: „Das Sozialhilfe-Grundgesetz ist weder dazu geeignet, Armut zu verhindern noch allen Menschen in Österreich ein Leben in Würde sicherzustellen, womit es kein legitimes Ziel verfolgt“, erklärt Hatzl nüchtern. Dazu kommt, dass die Beträge im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz nicht angemessen sind und die Menschen damit vor eine Wahl stellen: entweder sie finanzieren ihre Lebenserhaltungs- oder ihre Wohnkosten. Daher fordert auch die Armutskonferenz – ein Netzwerk von über 40 sozialen Organisationen, dem auch Amnesty International angehört – eine grundlegende Reform der Sozialhilfe.
Strukturelle Risikofaktoren: Frauen besonders gefährdet
Auch geschlechtsspezifische Ungleichheiten zählen zu den relevanten strukturellen Problemen, für die Österreich verantwortlich ist. So etwa das starke geschlechterspezifische Lohngefälle, das in Österreich nach wie vor bei 19 Prozent liegt und damit zu den höchsten im EU-Vergleich zählt, aber auch Teilzeitarbeit, unbezahlte Sorgearbeit und Altersarmut von Frauen. Auch gibt es einen starken Zusammenhang zwischen Wohnungs- und Obdachlosigkeit von Frauen und geschlechtsspezifischer Gewalt, weil Frauen – wenn sie aus Gewaltbeziehungen ausbrechen – stärker gefährdet sind, wohnungs- und obdachlos zu werden – wobei sie dann zuerst oft versuchen, bei Angehörigen oder Freund*innen unterzukommen. „Wir sprechen dann von einer sogenannten verdeckten Wohnungslosigkeit. Die betroffenen Frauen scheinen in keinen Statistiken auf und haben dadurch auch keinen Anspruch auf Wohnungslosenhilfe“, skizziert Teresa Hatzl das Problem, das auch dadurch verstärkt wird, dass es nicht ausreichend Plätze in Frauenhäusern gibt, wie Amnesty ebenfalls in dem Bericht festhält.
Neben Frauen sind es laut Amnesty-Bericht vor allem junge Erwachsene, die aufgrund struktureller Risikofaktoren von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen sind. „Der Staat versagt hier in seiner Verpflichtung, für all diese Risikogruppen spezifische Betreuungs- und Unterstützungsangebote zu schaffen“, kritisiert die Menschenrechtsorganisation.
Housing First: Internationales Erfolgskonzept
Analysiert wurden in dem Bericht auch die verschiedenen Modelle und Möglichkeiten der Wohnungslosenhilfe, eine davon ist – als menschenrechtsbasierter Ansatz – Housing First: “Zuerst die eigene Wohnung” – so simpel ist der Ansatz von Housing First, den neunerhaus gemeinsam mit dem Fonds Soziales Wien bereits 2012 nach Wien gebracht hat und der ehemals wohnungslose Menschen wieder in die eigenen vier Wände und damit zurück in die Mitte der Gesellschaft bringen soll. „Wir bei neunerhaus sind der Meinung, dass man nur mit einer eigenen Wohnung Wohnungslosigkeit nachhaltig und dauerhaft beenden – und Menschen einen Neuanfang und ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen kann“, so Daniela Unterholzner, neunerhaus Geschäftsführerin. „Wohnen als Menschenrecht – Housing First ist für uns die stärkste, konsequenteste und nachhaltigste Strategie, um Wohnungslosigkeit österreichweit dauerhaft zu beenden und wird dem neunerhaus-Zugang ‚Hilfe auf Augenhöhe‘ absolut gerecht.“
Paradigmenwechsel: Menschen sind keine Bittsteller*innen, Wohnungslosenhilfe kein Almosen
Der Bericht von Amnesty International endet mit einer Reihe von Empfehlungen und Forderungen an den Gesetzgeber, um das Recht auf Wohnen in Österreich sicher zu stellen und den völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Die Menschenrechtsorganisation fordert unter anderem die verfassungsrechtliche Verankerung des Rechts auf Wohnen, um damit auch das Bewusstsein zu schärfen, dass es sich hier um keine staatlichen Almosen handelt, sondern um eine menschenrechtliche Verpflichtung Österreichs. Weiters muss eine nationale Housing-Strategie verabschiedet werden, und zwar unbedingt unter Einbindung von Menschen mit Erfahrung in der Wohnungs- und Obdachlosigkeit, außerdem müssen künftig systematisch relevante Daten erhoben werden, damit die zuständigen Entscheidungsträger*innen ein vollständiges Bild der Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Österreich haben und Maßnahmen entsprechend ausgestalten. Last but not least fordert Amnesty die Bereitstellung einer Vielfalt an Angeboten in der Wohnungslosenhilfe in ganz Österreich - speziell auch für Frauen und junge Erwachsene.
Rund um die Veröffentlichung des Berichts lanciert Amnesty International eine Informations- und Mobilisierungskampagne, um das Thema einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Über nEunerhaus
neunerhaus wurde 1999 gegründet und ist eine Sozialorganisation in Wien. neunerhaus ermöglicht obdachlosen und armutsgefährdeten Menschen ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben mit medizinischer Versorgung, Wohnen und Beratung. Ziel ist es, Betroffenen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, um ihre Lebenssituation nachhaltig zu verbessern. In drei neunerhaus Wohnhäusern sowie mit Housing First und mobiler Sozialarbeit werden jährlich mehr als 900 ehemals obdach- und wohnungslose Menschen betreut und beraten.