Etliche der von Amnesty befragten Flüchtlinge berichteten, dass sie vor ihrer Flucht zwischen zehn und 15 Jahren im «Nationaldienst» verbracht haben. Andere haben Väter oder Ehemänner, die seit mehr als 20 Jahren «Nationaldienst» verrichten. Die Angaben eritreischer Regierungsvertreter, wonach der «Nationaldienst» nach 18 Monaten endet, entspricht demnach nicht den Tatsachen.
Der Dienst beschränkt sich nicht auf militärische Aufgaben, sondern umfasst Arbeiten in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder im öffentlichen Dienst. Das Monatssalär beläuft sich auf 450 Nafka, was gemäss offiziellem Wechselkurs 43US$ entspricht, in Realität aber eher 10$ nahekommt. Der Unterhalt einer Familie ist mit diesem «Lohn» nicht möglich. Viele der Interviewten berichteten, dass sie ihre Ehefrauen, Eltern oder Kinder nur einmal im Jahr besuchen können. Oft werden auch mehrere Familienmitglieder gleichzeitig eingezogen. Viele der vom «Nationaldienst» Betroffenen haben daher keine Möglichkeit, ein Familienleben zu führen und sich eine eigene wirtschaftliche Existenz zu schaffen.
Willkürliche Verhaftungen und Folter
Der eritreische «Nationaldienst» verstösst damit gegen das internationale Verbot von Zwangsarbeit, das eine klare (zeitliche) Begrenzung verlangt und den Zweck der wirtschaftlichen Entwicklung explizit ausschliesst. „Die Realität des eritreischen „Nationaldienstes“ straft die Behauptungen in einigen europäischen Ländern Lügen, wonach es sich bei den meisten eritreischen Flüchtlingen um WirtschaftsmigrantInnen handelt“, so Michelle Kagari.
Die Rekrutierung für den „Nationaldienst“ erfolgt einerseits über willkürliche Auswahl, andererseits müssen alle Schüler das letzte Sekundarschuljahr in einem militärischen „Nationalen Trainingszentrum“ in Sawa verbringen. Personen, die der Dienstverweigerung verdächtigt und / oder beim Verlassen des Landes aufgegriffen werden, müssen vor dem Transfer in ein Ausbildungslager regelmässig mehrere Monate in Haft verbringen – an geheimen Orten, ohne richterliches Urteil und ohne Kontakt zur Aussenwelt. Die Haftbedingungen in den oft unterirdischen Verliesen oder in Schiffscontainern sind desaströs, Folter und Misshandlung an der Tagesordnung.
Die willkürliche Inhaftierung und anschliessende Zwangsrekrutierung derjenigen, die aus dem Land fliehen wollten, muss als Massstab dafür gelten, was abgewiesenen eritreischen Asylsuchenden droht, wenn sie zwangsweise nach Eritrea zurückgeschafft würden.