Amnesty International kritisiert den Gesetzesentwurf in drei Punkten:
- Der Personenkreis der Whistleblower*innen ist zu eng definiert. Laut Gesetzesentwurf sollen nur Personen geschützt werden, die im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit von einer Rechtsverletzung Kenntnis erlangen und diese durch einen Hinweis aufdecken. Um einen umfassenden Schutz zu gewährleisten, sollten auch Personen, die einer anderen als beruflichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, miteinbezogen werden – denn auch diese können bei Aufdeckung von Informationen mit Konsequenzen wie z.B. einer zivilrechtlichen Klage konfrontiert werden.
- Der Gesetzesentwurf schützt keine Hinweise über Menschenrechtsverletzungen, Straftatbestände außerhalb des Korruptionsstrafrechts, die öffentliche Sicherheit oder Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht. Die Einschränkung des Schutzes auf wenige Rechtsbereiche verhindert die effektive Aufdeckung grober Missstände und Rechtsverstöße. Dies stellt für viele Hinweisgeber*innen eine Hürde dar, da es die Einschätzung, ob ein Hinweis nun durch das neue Gesetz geschützt wird oder nicht, enorm erschwert.
- Hinweisgeber*innen können bei Falschinformation bestraft werden. Der Entwurf sieht vor, dass Hinweisgeber*innen bei Abgabe eines Hinweises davon ausgehen müssen, dass dieser wahr ist, und, dass er einen Rechtsbereich betrifft, der durch das neue Gesetz geregelt wird. Sonst gibt es keinen Schutz. Bei einer wissentlichen Falschmeldung drohen sogar hohe Verwaltungsstrafen bis zu 20.000 Euro, im Wiederholungsfall sogar 40.000 Euro. Die Höhe dieser Strafen ist unverhältnismäßig und kann eine abschreckende Wirkung entfalten, bei Unsicherheit überhaupt einen Hinweis abzugeben.
Hintergrund
Am 3. Juni stellte Arbeitsminister Martin Kocher den österreichischen Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Whistleblower*innen-Richtlinie vor. Der Gesetzesentwurf kam über fünf Monate nach Ende der von der EU-Kommission vorgegebenen Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblower*innen-Richtlinie (17. Dezember 2021) und einem eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU.
Die EU-Whistleblower*innen-Richtlinie besagt, dass Personen Missstände und Gesetzesverstöße innerhalb des Unternehmens oder der öffentlichen Institution, zu dem/der sie in einer beruflichen Verbindung stehen, melden können, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen.
Whistleblowing, also das Melden von Fehlverhalten, ist Teil des Rechts auf freie Meinungsäußerung und damit durch Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt. Es ist oftmals die einzige Möglichkeit, Menschenrechtsverletzungen ans Licht zu bringen, die der Öffentlichkeit sonst verborgen bleiben würden.
Erst kürzlich hat ein österreichischer Whistleblower, Gökhan S., eine Sicherheitslücke auf österreich-testet.at aufgedeckt. Über diese Lücke war es möglich, persönliche Daten von potenziell hunderttausenden Personen in Österreich aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS) abzurufen, was eine massive Verletzung ihres Rechts auf Privatsphäre darstellen würde. Nach seinen Enthüllungen wurde Gökhan S. von seinem Arbeitgeber entlassen.
In vielen Fällen werden jedoch nicht diejenigen verfolgt, die Menschenrechte verletzt haben, sondern jene, die diese menschenrechtswidrigen Handlungen enthüllten. Dies macht den Schutz von Whistleblower*innen für die Wahrung der Menschenrechte umso wichtiger.