Amnesty International befragte aus der Ferne 12 Personen, darunter vier Überlebende und Augenzeug*innen sowie vier Familienangehörige von Opfern. Zusätzlich prüfte die Organisation Satellitenbilder und medizinische Berichte, analysierte Fotos von Opfern und Waffenteilen und verortete Videos vom Ort der Angriffe und von türkischen Drohneneinsätzen am internationalen Flughafen von Mogadischu.
Anhand der Fotos der Munitionsreste konnte Amnesty International bestätigen, dass der Angriff mit MAM-L-Gleitbomben durchgeführt wurde, die von TB-2-Drohnen abgeworfen werden. Beide werden von der Türkei hergestellt.
Tödliche Angriffe
Die Angriffe trafen die Farm Jaffey, etwa drei Kilometer westlich des Dorfes Bagdad in der Region Lower Shabelle, zwischen 20.00 und 20.30 Uhr. Überlebende und Anwohner*innen berichteten Amnesty International, dass die Drohnenangriffe auf schwere Bodenkämpfe folgten, die zuvor an diesem Tag zwischen der bewaffneten Gruppe Al-Shabaab und somalischen Sicherheitskräften in der Nähe der Dörfer Jambaluul und Bagdad begonnen hatten.
Während der Zusammenstöße am 18. März waren Berichten zufolge Al-Shabaab-Kämpfer in Bagdad anwesend. Ein erster Drohnenangriff traf gegen 19.30 Uhr eine Moschee im Osten von Bagdad, zerstörte das Gebäude und beschädigte nahe gelegene Häuser. Amnesty International war nicht in der Lage, unabhängig zu überprüfen, wer in der Moschee getroffen wurde oder ob es dabei Verletzte oder Tote gab.
Nach diesem Angriff flüchteten Augenzeug*innen zufolge zahlreiche Zivilist*innen auf die Jaffey-Farm, um Schutz zu suchen. Bei dem ersten Angriff auf die Farm wurden mehrere Zivilist*innen getötet und verletzt. Bei einem zweiten Angriff, etwa 30 Minuten später, wurden weitere Zivilist*innen getötet und verletzt, die gekommen waren, um Überlebende des ersten Angriffs zu bergen.
Angriffe, bei denen nicht zwischen militärischen Zielen und zivilen Objekten unterschieden wird, sind willkürlich und stellen Kriegsverbrechen dar.
Mangelnde Rechenschaft
Am 19. März gab das somalische Informationsministerium bekannt, dass in Zusammenarbeit mit "internationalen Partnern" über 30 Al-Shabaab-Kämpfer in den Dörfern Bagdad und Baldooska getötet worden seien. In der Erklärung hieß es, die Operation sei eine Reaktion auf Geheimdienstberichte über einen bevorstehenden Angriff der Al-Shabaab auf Somalier*innen.
Es ist unklar, ob türkische oder somalische Streitkräfte zum Zeitpunkt der Angriffe auf die Jaffey-Farm die Kontrolle über die TB-2-Drohne hatten.
Eine Quelle in der somalischen Regierung teilte Amnesty International mit, dass Angehörige der Nationalen Nachrichten- und Sicherheitsbehörde die TB-2 bei Kampfeinsätzen gegen Al-Shabaab fliegen. Im Jahr 2022 berichtete das UN-Expert*innengremium für Somalia jedoch, dass die Türkei nach Angaben der türkischen Regierung die Drohnen nicht unter Verletzung des UN-Waffenembargos nach Somalia geliefert hat, sondern die Drohnen selbst "im Kampf gegen den Terrorismus" einsetzt.
Ebenfalls im Jahr 2022 erklärte Ahmed Malim Fiqi, der damalige Innenminister Somalias und heutige Außenminister, dass die Drohnen von türkischen Streitkräften betrieben werden, während die somalischen Kommandant*innen die Ziele bestimmen.
In den letzten Jahren hat die Türkei militärische Ausrüstung und Unterstützung für Somalia bereitgestellt. Satellitenbilder und Videos, die von Amnesty Internationals Crisis Evidence Lab geolokalisiert wurden, zeigen türkische TB-2-Drohnen auf der Startbahn des internationalen Flughafens von Mogadischu bereits am 12. September 2022.
Am 5. April schrieb Amnesty International an die Regierungen Somalias und der Türkei und bat um Informationen über den Angriff vom 18. März, einschließlich der Frage, welche militärischen Kräfte die Drohne zum Zeitpunkt des Angriffs kontrollierten. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung haben beide Regierungen nicht geantwortet.