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© Amnesty International/Natalia Jidovanu

Presse © Amnesty International/Natalia Jidovanu

„Sie standen Schlange, um uns zu vergewaltigen“

19. September 2018

Zusammenfassung   

Bei einer brutalen Militäroffensive im Bundesstaat Unity (Südsudan) von 21. April bis Anfang Juli 2018 wurden Zivilist*innen getötet, Frauen und Mädchen systematisch vergewaltigt und Dörfer zerstört.

Amnesty-Recherchen zeigen: Die Welle der Gewalt hätte vermieden werden können. Personen, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, hätten vor Gericht gestellt bzw. ihres Amtes enthoben werden sollen.

Ein neuer Bericht von Amnesty International verurteilt die jüngste Militäroffensive im Südsudan im Frühjahr und Sommer dieses Jahres: Dabei wurden Zivilist*innen getötet, Frauen und Mädchen systematisch vergewaltigt sowie Dörfer geplündert und zerstört. Der brutale Angriff hätte zumindest teilweise verhindert werden können. Doch die Behörden haben nichts unternommen, um Personen, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, vor Gericht zu stellen bzw. ihres Amtes zu entheben, kritisiert Amnesty.

Die Regionen Leer und Mayendit waren schon einmal von schlimmen Gewalttaten betroffen. Und trotzdem lässt die südsudanesische Regierung zu, dass die Verantwortlichen von damals weiterhin Gräueltaten begehen können. Die Folge ist eine Katastrophe für die Zivilbevölkerung.

Joan Nyanyuki, Regionaldirektorin für Ostafrika bei Amnesty International

Der Amnesty-Bericht basiert auf persönlichen Angaben von etwa 100 Zivilist*innen, die von Ende April bis Anfang Juli 2018 vor Angriffen der Regierungstruppen und alliierten Jugendmilizen im Bundesstaat Unity fliehen mussten.

Amnesty International fordert die südsudanesische Regierung auf, die schweren Menschenrechtsverletzungen zu stoppen und ein bereits 2015 beschlossenes Hybrid-Gericht endlich einzurichten. Amnesty International ruft den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf, das im Juli angenommene Waffenembargo gegen den Südsudan sofort durchzusetzen.

Vergewaltigungen und Zwangsarbeit

Überlebende berichteten Amnesty International, dass Regierungstruppen und verbündete Kräfte zahlreiche Zivilist*innen – insbesondere Frauen und Mädchen – verschleppten und manchmal wochenlang festhielten. Die Entführer wandten systematisch sexualisierte Gewalt gegen sie an. Eine Frau sagte: „Die Dinka standen Schlange, um uns zu vergewaltigen.“

Viele Frauen und Mädchen wurden von Gruppen von Männern vergewaltigt und einige von ihnen wurden dabei schwer verletzt. Wer sich wehrte, wurde getötet. Laut Angaben einer Überlebenden wurde ein achtjähriges Mädchen Opfer einer Gruppenvergewaltigung, und eine weitere Frau beobachtete die Vergewaltigung eines 15-jährigen Jungen.

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen berichtete, innerhalb von 48 Stunden in einem einzigen Dorf 21 Überlebende sexualisierter Gewalt behandelt zu haben.

Außerdem mussten viele der verschleppten Frauen und Mädchen Zwangsarbeit leisten, zum Beispiel geplünderte Gegenstände über weite Strecken transportieren und für ihre Entführer kochen und putzen. Einige der entführten Frauen und Männer wurden in Metallcontainern festgehalten, geschlagen und anderweitig misshandelt.

Unvollstellbare Brutalität

Frauen und Männer sprachen mit Amnesty International über die brutale Offensive der Streitkräfte und Milizen in den von der Opposition kontrollierten Landkreisen Mayendit und Leer. Ihren Angaben zufolge wurden Zivilist*innen erschossen, lebendig verbrannt, an Bäumen aufgehängt oder mit Panzerfahrzeugen überfahren.

Menschen, die in nahegelegene Sumpfgebiete flohen, wurden verfolgt. Überlebende beschrieben, wie Gruppen von fünf oder mehr Militärangehörigen die Sümpfe nach Menschen absuchten und dabei häufig wahllos in das Schilf schossen.

Diejenigen, die nicht fliehen konnten, wurden an Ort und Stelle getötet – vor allem ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Mehrere Überlebende beschrieben, wie ihre älteren Verwandten oder Nachbarn in ihren tukuls – traditionellen Häusern – bei lebendigem Leibe verbrannt wurden. In einem Fall wurde ein über 90-jähriger Mann mit einem Messer die Kehle durchgeschnitten.

In der Ortschaft Rukway in Leer wurde ein älteres Ehepaar und deren Enkelkinder in einem Haus bei lebendigem Leibe verbrannte. Als die Tochter des Ehepaares mit ihrem Baby nach draußen rannte, wurde sie von einem Soldaten erschossen, der dann das Baby mit Fußtritten tötete.

Spur der Verwüstung

Regierungstruppen und verbündete Milizen hinterließen nach ihren Angriffen in Leer und Mayendit eine Spur der Plünderung und Verwüstung, um die Zivilbevölkerung von der Rückkehr abzuhalten. Sie steckten die Häuser in Brand, plünderten oder verbrannten Lebensmittelvorräte und stahlen Vieh und Wertsachen.

Viele Überlebende kehrten einige Wochen oder Monate nach ihrer Flucht nach Hause zurück und fanden dort nur Zerstörung vor. Sie berichteten insbesondere über die gezielte Vernichtung von Lebensmittelvorräten – über verbrannte Ernten, gestohlenes oder getötetes Vieh und sogar entwurzelte Obstbäume.

Diese Lebensmittelvernichtung ist für die Zivilbevölkerung von Leer und Mayendit besonders verheerend, da man sich dort gerade erst von der Hungersnot im Februar 2017 erholt hatte. Diese war seit 2011 die erste neu deklarierte Hungersnot weltweit.

Hintergrund

Im Bundesstaat Unity werden seit Beginn des Konflikts im Südsudan vor fast fünf Jahren immer wieder massive Gewalttaten verübt. Die jüngste Welle der Gewalt brach am 21. April dieses Jahres aus und hielt bis Anfang Juli an – eine Woche nach Vereinbarung eines Waffenstillstands am 27. Juni.

Mitarbeiter*innen von Amnesty International haben 2016 das erste Mal im Bundesstaat Unity vor Ort recherchiert und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die während der damaligen Militäroffensive im Süden des Bundesstaates begangen wurden, so auch im Landkreis Leer.

Im Zuge dieser Recherchen identifizierte Amnesty vier Personen, die im Verdacht stehen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Damals forderte Amnesty bereits vom südsudanesischen Militärchef, entsprechende Untersuchungen einzuleiten. Amnesty International erhielt darauf keine Antwort. Neue Berichte der Vereinten Nationen deuten darauf hin, dass einige dieser Personen möglicherweise auch im Zuge der jüngsten Militäroffensive 2018 an Gräueltaten beteiligt waren.

„Man kann die grausame Realität unmöglich ignorieren: Wären die südsudanesischen Behörden 2016 auf unsere Warnung hin aktiv geworden, hätte diese neue Welle der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Leer und Mayendit möglicherweise vermieden werden können“, sagte Joanne Mariner Krisenbeauftragte von Amnesty International, die die Untersuchungen vor Ort geleitet hat.

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