
Regierung 200 Tage im Amt – Asylpolitik wird immer mehr zum Angriff auf Menschenrechte
15. September 2025Am Donnerstag ist die Regierung bestehend aus ÖVP, SPÖ und NEOS seit 200 Tagen im Amt. In einem Bereich kann bereits klar Bilanz gezogen werden: Die Regierung verschärft die Asylpolitik immer weiter, die Menschenrechte von Schutzsuchenden geraten zunehmend unter Druck. Statt auf Schutz und Integration setzt die Regierung auf Abschottung und Kürzungen, was die Glaubwürdigkeit der Koalition in Menschenrechtsfragen stark infrage stellt. Amnesty International verdeutlicht das anhand der Beispiele Familienzusammenführung, Abschiebungen und dem Regierungsvorhaben zur Sozialhilfe.
Familienzusammenführung
Als eine der ersten Maßnahmen der Koalition präsentierte ÖVP-Kanzler Christian Stocker bereits im März 2025 den Stopp der Familienzusammenführung für Menschen mit einem positiven Asylbescheid, die ihre engsten Familienangehörigen nachholen wollten. Eine Maßnahme, die in der Form noch nie umgesetzt wurde. Ausgesetzt wurde die Familienzusammenführung schließlich von Juli 2025 bis Ende September 2026. Doch bereits für nach dem Stopp kündigte Innenminister Gerhard Karner an, die Familienzusammenführung dauerhaft auf einem möglichst niedrigen Niveau halten zu wollen. In Anbetracht dessen, dass die Familienzusammenführung der einzig sichere Fluchtweg in Österreich war, ist das fatal und stellt eine klare Verletzung von Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dar. Dieser garantiert das Recht auf Schutz des Familienlebens.
Für viele Menschen bedeutet die Aussetzung eine langanhaltende und schmerzhafte Trennung von ihren Partner*innen, Eltern und Kindern. Dadurch sind Familienangehörige, die Schutz suchen, gezwungen, gefährliche und oft tödliche Fluchtrouten auf sich zu nehmen, um ihre Liebsten wiedersehen zu können und sich in Sicherheit zu bringen. Diese Situation führt nicht nur zu enormen psychischen und emotionalen Belastungen, sondern erschwert auch die Integration erheblich.
Aimée Stuflesser, Expertin für Asyl und Migration bei Amnesty International Österreich
Abschiebungen
Menschenrechtswidrig handhabt die Regierung mittlerweile auch das Thema Abschiebungen. So schob Österreich im Juli 2025 zum ersten Mal seit 15 Jahren einen Mann nach Syrien ab – trotz der weiterhin gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die nach dem Sturz des Regimes umfassend dokumentiert wurden. Der Fall sorgte international für Empörung: Von dem Mann fehlt mittlerweile nämlich jede Spur, weshalb das UN-Komitee gegen das Verschwindenlassen die österreichische Regierung offiziell dazu aufforderte, Ermittlungen zum Verbleib des Mannes einzuleiten. Trotzdem plante die Regierung eine weitere Abschiebung nach Syrien, die wiederum vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zwischenzeitlich gestoppt wurde.
„Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan stellen einen klaren Bruch des Prinzips des Non-Refoulement dar. Dieses verbietet die Abschiebung in Länder, in denen Folter, Verfolgung, das Verschwindenlassen einer Person oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Wird das Non-Refoulement-Prinzip verletzt, sind Menschen schutzlos solchen Gefahren ausgeliefert. Zugleich verstößt der betreffende Staat gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen“, sagt Stuflesser weiter.
Sozialhilfe
Auch im Sozialbereich verschärft die Regierung den Druck auf Geflüchtete: Mit der angekündigten Reform des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes sollen vor allem anerkannte Geflüchtete künftig erst nach einer sogenannten „Integrationsphase“ vollen Zugang zur Sozialhilfe erhalten. In der Zwischenzeit bekommen sie nur eine eingeschränkte Unterstützung - nämlich sogenannte Integrationsbeihilfen, die geringer als die Sozialhilfe sind. Doch schon die Sozialhilfe liegt aktuell unter der Armutsgefährdungsschwelle und dem Referenzbudget, welches die monatlich notwendigen Ausgaben für Grundbedürfnisse in Österreich zusammenfasst. Leistungen unterhalb der aktuellen Sozialhilfe verschärfen den Druck auf armutsbetroffene Menschen noch mehr.
Die neue Regierung gibt vor, Menschenrechte zu achten und zu schützen, doch was sie in den letzten 200 Tagen gezeigt hat, ist eine systematische Aushöhlung der Menschenrechte von schutzsuchenden und geflüchteten Menschen. Es ist höchste Zeit, den Kurs zu ändern – hin zu einer Politik, die alle Menschen in Österreich schützt, statt ihnen Sicherheit und Zukunft zu verweigern.
Aimée Stuflesser, Expertin für Asyl und Migration bei Amnesty International Österreich
Amnesty International Österreich fordert die sofortige Rücknahme der genannten Verschärfungen und ein klares Bekenntnis der Regierung zu Menschenrechten, humanitärem Schutz und einer menschenwürdigen Asylpolitik.