Menschenrechtsaktivist*innen fordern die vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei einer Kundgebung in Amsterdam. © Pierre Crom / Getty Images
Menschenrechtsaktivist*innen fordern die vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei einer Kundgebung in Amsterdam. © Pierre Crom / Getty Images
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Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Europa: Hart erkämpfte Erfolge werden auf gefährliche Weise untergraben

6. November 2025
  • Umfassender Amnesty-Bericht Wenn Rechte nicht für alle gelten: Der Kampf für den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Europa“ untersucht 40 Länder und stützt sich auf Recherchen der letzten zehn Jahren sowie auf fundierte Informationen weiterer Menschenrechts- und Gesundheitsorganisationen.
  • Weit verbreitete Hürden beim Zugang: Hohe Verweigerungsquoten bei Gesundheitspersonal, medizinisch unnötige Wartezeiten und massive Benachteiligung marginalisierter Gruppen.
  • Finanzkräftige transnationale Anti-Gender-Bewegung verbreitet Angst und Fehlinformationen und beeinflusst Politik und Justiz, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen stärker einzuschränken.
  • Schwierige Lage und Stillstand auch in Österreich: Kriminalisierung, Stigmatisierung und Versorgungslücken.

Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, unnötige Wartezeiten, hohe Kosten und gesellschaftliches Stigma – dies sind nur einige der Hürden, denen schwangere Personen in Teilen Europas ausgesetzt sind. Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen wird trotz hart erkämpfter Erfolge weiterhin auf gefährliche Art und Weise untergraben. Mindestens 20 europäische Länder verhängen strafrechtliche Sanktionen gegen Schwangere, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens einen Abbruch vornehmen.  

Die Regierungen der europäischen Länder müssen sich aktiv für den gleichberechtigten und flächendeckenden Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen, da in vielen Ländern die bestehenden Hürden zunehmend verschärft werden. Dies fordert Amnesty International in dem neuen Bericht Wenn Rechte nicht für alle gelten: Der Kampf für den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Europa.  

Auch für Österreich zeichnet der Report ein düsteres Bild: Der Zugang ist weiterhin von Hürden geprägt, die schwangere Personen in ihrer Selbstbestimmung massiv einschränken. Durch die Verankerung im Strafgesetzbuch werden Abbrüche nicht als reguläre Gesundheitsleistung anerkanntmit weitreichenden Folgen für den Zugang und die Versorgungslage. 

 

Verbreitung von Angst und Falschinformationen: Menschenrechtsfeindliche Gruppen drängen auf weitere Einschränkungen bei Schwangerschaftsabbrüchen 

 

Zunehmend finanzkräftige menschenrechtsfeindliche Gruppen setzen alles daran, die Politik und die Justiz dahingehend zu beeinflussen, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen stärker einzuschränken, oftmals durch die Verbreitung von Angst und Fehlinformationen. 

Es besteht die reale Gefahr, dass hart erkämpfte Erfolge bei reproduktiven Rechten durch eine Welle regressiver Politikmaßnahmen rückgängig gemacht werden könnten. Diese Maßnahmen werden von der Anti-Gender-Bewegung vorangetrieben und von populistischen politischen Akteur*innen propagiert, die sich autoritärer Praktiken bedienen.

Monica Costa Riba, Expertin für Frauenrechte bei Amnesty International.

„Die ernüchternde Realität ist, dass trotz bedeutender Fortschritte in ganz Europa der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch immer noch durch beunruhigend viele sichtbare und unsichtbare Hürden eingeschränkt wird“, so Monica Costa Riba, Expertin für Frauenrechte bei Amnesty International weiter. 

In vielen europäischen Ländern haben Gesetzesreformen in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen verbessert wurde. Jedoch nicht in allen. Nach wie vor bestehen – neben der fehlenden Entkriminalisierung in vielen Ländern –erhebliche Hindernisse: vorgeschriebene Wartezeiten, die Verweigerung der Versorgung aus Gewissensgründen des Gesundheitspersonals, unzureichender oder fehlender Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, hohe Kosten und gesellschaftliches Stigma erschweren schwangeren Personen die Ausübung ihrer reproduktiven Rechte. 

Hürden beim Zugang zu sicherem Schwangerschaftsabbruch belasten vor allem jene, die ohnehin benachteiligt sind 

Zu den Hürden zählen medizinisch nicht zu rechtfertigende Erfordernisse, die den Zugang verzögern, sowie die Möglichkeit für medizinisches Personal, den Eingriff aus Gewissensgründen abzulehnen. Weitere Faktoren sind das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen über eine bestimmte Schwangerschaftswoche hinaus, sowie hohe Kosten. 

Marginalisierte Gruppen wie z. B. Menschen in Armut, Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, LGBTIQIA+, Sexarbeiter*innen, Schutzsuchende und Menschen mit nicht gesichertem Migrationsstatus sind von diesen Einschränkungen unverhältnismäßig stark betroffen.

Verstöße gegen die bestehenden Regelungen sind in vielen Ländern strafbar und führen zu zusätzlicher Stigmatisierung, die den Zugang zu wichtigen medizinischen Leistungen verzögert oder sogar verhindert.  

Die Kosten für einen Abbruch sind für manche unerschwinglich, vor allem in Ländern, in denen ein von der schwangeren Person gewünschter Schwangerschaftsabbruch nicht von der Krankenversicherung oder vom nationalen Gesundheitssystem abgedeckt wird. Dies trifft auf Länder wie Österreich, Bulgarien, Kroatien, Zypern, Tschechien, Deutschland, Lettland, Montenegro, Rumänien, Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien, Kosovo und Serbien zu. 

Hohe Verweigerungsquoten, medizinisch unnötige Wartezeiten und Pflichtberatungen- die vielen Hindernisse beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchenin Europa

Neben der Begrenzung von Abbrüchen auf einen bestimmten Schwangerschaftszeitraum und der Strafbarkeit bei Nichteinhaltung der Regeln gibt es noch weitere Hürden, die den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen erschweren.  

In vielen Staaten wird der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen praktisch eingeschränkt, weil Gesundheitspersonal aus persönlichen oder religiösen Gründen Eingriffe verweigert. In Italien und Kroatien sind derartige Weigerungen aus sogenannten Gewissensgründen weit verbreitet, und auch in Rumänien nehmen sie zu. In all diesen Fällen ergreifen die Behörden nicht die nötigen und völkerrechtlich vorgeschriebenen Maßnahmen, um die Auswirkungen dieser hohen Verweigerungsquoten abzufedern und den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiterhin zu gewährleisten.

Mindestens zwölf europäische Länder schreiben nach wie vor medizinisch unnötige Wartezeiten vor, bevor ein legaler Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden kann, und 13 Länder bestehen auf einer Pflichtberatung.

In Albanien, Belgien, Deutschland, Ungarn, Lettland und Portugal sind sowohl Wartezeiten als auch Pflichtberatungen vorgesehen. In Ungarn müssen sich Personen, die einen Abbruch vornehmen lassen wollen, den Herzschlag des Fötus anhören. In der Türkei müssen verheiratete Frauen über 18 Jahren per Gesetz die Zustimmung des Ehepartners einholen, wenn sie innerhalb der 10-Wochen-Frist einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen möchten.  

Aufgrund der Hürden beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in vielen europäischen Ländern sind jedes Jahr Tausende Schwangere gezwungen, ins Ausland zu reisen, um dort die notwendige medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen.  

Kriminalisiert – und deshalb nicht versorgt: Schwangerschaftsabbrüche sind in Österreich nicht Teil der regulären Gesundheitsversorgung 

In vielen europäischen Ländern – so auch in Österreich – ist der Schwangerschaftsabbruch weiterhin im Strafgesetz verankert. Zwar bleibt ein Abbruch in Österreich innerhalb der ersten drei Monate straffrei, er ist jedoch nicht regulärer Teil der Gesundheitsversorgung. Das bedeutet: Die Kosten müssen in der Regel privat getragen werden, lediglich Wien und Tirol unterstützen schwangere Personen auf Antrag finanziell. 

In Österreich herrscht der Irrglaube, dass wir beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gut dastehen. Das stimmt leider nicht. Während andere Länder, wie Frankreich, einen Schritt vorangehen, herrscht in Österreich Stillstand. Nach wie vor sind Schwangerschaftsabbrüche als einzige Gesundheitsleistung im Strafgesetzbuch verankert. Nach wie vor müssen Schwangerschaftsabbrüche privat bezahlt werden. Und nach wie vor haben wir mit einer kargen Versorgungslage in Österreich zu kämpfen.

Ronya Alev, Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich.

Isabel Tanzer, Mitglied des ehrenamtlich geführten Vereins CHANGES for Women, berichtet Amnesty International, von der Schaffung eines Solidaritätsfonds, um Menschen zu unterstützen, die sich einen Schwangerschaftsabbruch in Österreich nicht leisten können. Sie betont, dass selbst in Wien nur zwei öffentliche Krankenhäuser Schwangerschaftsabbrüche durchführen – die Kapazitäten sind entsprechend begrenzt, und viele Betroffene müssen am Ende auch in Wien privat dafür bezahlen. 

Isabel Tanzer betont weiter, wie wichtig ein offener Umgang ist, um Stigmatisierung zu bekämpfen:  

„Es wäre großartig, wenn wir in unserem Umfeld auch die Art und Weise ändern könnten, wie wir über Schwangerschaftsabbrüche sprechen. Es ist nicht etwas, das einem passiert, weil man schlecht im Verhüten ist. Es ist etwas, das einfach passiert. Es ist normal.

Wenn ich mit Menschen spreche, sage ich ihnen immer, dass es ihr Recht ist, dass es ihr Körper ist. Und ich ermutige die Menschen, darüber zu sprechen. Denn wenn wir nicht mit unseren Freund*innen und in unserem Umfeld darüber sprechen, tragen wir nicht dazu bei, das Stigma zu verringern.

Isabel Tanzer, Mitglied des ehrenamtlich geführten Vereins CHANGES for Women

Schwangerschaftsabbrüche im Visier der transnationalen Anti-Gender-Bewegung

Die derzeitigen Bemühungen in Europa zur Beschneidung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch werden von einer finanziell gut ausgestatteten, transnationalen Anti-Gender-Bewegung angeführt. Diese setzt sich aus konservativen und religiösen Gruppen und Institutionen, Thinktanks, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Social-Media-Influencer*innen zusammen. 

So hat beispielsweise in Kroatien der Einfluss menschenrechtsfeindlicher Regierungspolitiker*innen in Verbindung mit einer erstarkenden Allianz zwischen Abtreibungsgegner*innen und der katholischen Kirche zu wiederholten Versuchen geführt, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu erschweren. In der Slowakei gab es mehrfach Versuche im Parlament, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einzuschränken oder zu verbieten. Im September 2025 wurden Verfassungsänderungen verabschiedet, die die reproduktiven Rechte signifikant aushöhlen werden. 

Ungarn hat in den vergangenen Jahren den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, Verhütung und Familienplanung erschwert. In Italien hat die Regierungspartei Gesetzesinitiativen initiiert, um Abtreibungsgegner*innen und allen, die „für die Mutterschaft sind“, den Zugang zu obligatorischen Beratungsstellen für Schwangere, die einen legalen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen, zu ermöglichen. In beiden Fällen begründeten die Behörden die Maßnahmen mit Argumenten wie niedrigen Geburtenraten und einer falschen und rassistischen Rhetorik. 

Europäische Regierungen und Institutionen müssen entschlossen handeln, um die Bereitstellung von Schwangerschaftsabbrüchen mit internationalen Standards in Einklang zu bringen, und zwar indem sie Abbrüche entkriminalisieren, bestehende Hürden beseitigen und sich entschlossen allen Bestrebungen von menschenrechtsfeindlichen Gruppen widersetzen, auf gefährliche Weise den Zugang zu sicheren und rechtzeitigen Schwangerschaftsabbrüchen zu blockieren, was das Leben und die Gesundheit von Menschen aufs Spiel setzen würde.

Monica Costa Riba, Expertin für Frauenrechte bei Amnesty International

Gegner*innen von Schwangerschaftsabbrüchen bedrohen Gesundheitspersonal mit Drohbriefen und Protesten vor Kliniken

Zunehmend sind es aggressive und gelegentlich auch gewalttätige Proteste sowie Streikposten vor Kliniken für sexuelle und reproduktive Gesundheit, die den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen behindern. 

In Polen werden Aktivist*innen, die ein neues Beratungszentrum für Schwangerschaftsabbrüche in Warschau betreiben, regelmäßig von Gegner*innen von Schwangerschaftabbrüchen , die vor dem Gebäude protestieren, schikaniert und eingeschüchtert. In Österreich wird Gesundheitspersonal, das an Schwangerschaftsabbrüchen mitwirkt, eingeschüchtert, unter anderem durch Proteste direkt vor ihren Kliniken oder gezielten Drohbriefen und –emails. 

„Ein Schwangerschaftsabbruch ist eine wichtige Gesundheitsleistung und ein Menschenrecht“, sagt Monica Costa Riba, Expertin für Frauenrechte bei Amnesty International.

Methodologie der Untersuchung von Amnesty International 

Der Amnesty-Bericht untersucht 40 Länder und stützt sich auf Recherchen von Amnesty International aus den letzten zehn Jahren sowie auf verlässliche Informationen von anderen Organisationen, die zu Menschenrechten und öffentlicher Gesundheit arbeiten. Hierzu zählen die Veröffentlichung Europe Abortion Laws 2025 des Center for Reproductive Rights (CRR) sowie der European Abortion policy Atlas das Forums für sexuelle und reproduktive Rechte im Europäischen Parlament (EPF) und die Global Abortion Policies Database der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Darüber hinaus basiert der Bericht auf elf Gesprächen mit Aktivist*innen, die sich für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch einsetzen, und Vertreter*innen von Organisationen für sexuelle und reproduktive Rechte, die Amnesty zwischen Mai und September 2025 geführt hat.