Versorgung von Ukrainer*innen wäre ohne Zivilgesellschaft noch prekärer
Kritik, die auch von „Train of Hope“ untermauert wird. Manuela Ertl – 2015 am Hauptbahnhof und jetzt im Ankunftszentrum für Vertriebene aus der Ukraine in Wien im Einsatz: „Während die Politik den Eindruck vermittelt, dass die Versorgung von Ukrainer*innen in Österreich bestens gelingt, zeigt sich in der Realität ein ganz anderes Bild. Die politische Entscheidung, aus der Ukraine geflüchteten Menschen nur Grundversorgung zu gewähren und den Zugang zu Sozialleistungen zu verwehren, führt zu einer immensen materiellen Not. Verzweifelte Mütter, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen und Familien, die von Hilfsorganisation zu Hilfsorganisation ziehen, um sich mit dem nötigsten zu versorgen – das ist die traurige Realität tausender ukrainischer Familien in Österreich.“
Das Resümee ist ernüchternd. „Ohne das Engagement der Zivilgesellschaft wäre die Situation der Ukrainer*innen in Österreich noch weitaus prekärer. Erneut war es die Zivilgesellschaft, die bei der Versorgung von Schutzsuchenden einsprang und dies auch nach 3,5 Monaten noch tut. Wenn es darum geht, das Versagen der zuständigen Stellen zu kompensieren, kommt zivilgesellschaftliches Engagement gerade recht. Doch weder Politik noch Verwaltung haben in den letzten sieben Jahren gelernt, die Potenziale der Zivilgesellschaft zu nutzen und deren Bedeutung anzuerkennen.“
Die Hilfe der österreichischen Bevölkerung ist beeindruckend, wird betont: 2/3 der schutzsuchenden Menschen aus der Ukraine (80% davon Frauen, Kinder und Jugendliche) sind privat untergebracht, die Zivilgesellschaft verschafft durch beherztes Anpacken dem Staat Zeit, die staatlichen Strukturen hochzufahren. Dieser kommt aber leider viel zu langsam in die Gänge. Lukas Gahleitner: „Die wahren Herausforderungen liegen noch vor uns. Dazu braucht es eine realistische und schonungslose Fehleranalyse der Verwaltung, politische Entscheidungen, die lange hinausgezögert wurden und die Unterstützung der Zivilgesellschaft.“
Pushbacks, Folter, Misshandlungen – Österreichs Schweigen ist Versagen
Den Blick über die Grenzen Österreichs hinaus weitet Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich. „Menschen in Gefahr zu schützen ist nicht nur eine menschenrechtliche, sondern auch eine menschliche Pflicht Österreichs und aller EU-Regierungen. Seit Jahren dokumentiert Amnesty International allerdings das Gegenteil: an den Land- und Seegrenzen der EU-Länder finden illegale Pushbacks, Folter und Misshandlungen statt. Vor kurzem hat die britische Regierung versucht, irregulär eingereiste Asylsuchende im Gegenzug für Zahlungen nach Ruanda auszufliegen.“ Und Schlack ortet auch Versagen von Österreich auf internationaler Ebene. „Österreich beteiligt sich seit 2017 gar nicht mehr an Resettlement Programmen. Wenn Pläne zur Auslagerung von Asylverfahren Teil der europäischen Flüchtlingspolitik werden, läuft die EU und auch Österreich Gefahr, gerade selbst das Fundament, auf dem sie gebaut sind, nämlich Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, zu untergraben.“