
Pakistan: Kinder und ältere Menschen besonders von Klimakatastrophen betroffen
6. Mai 2025In Pakistan sind das Gesundheitssystem und der Katastrophenschutz inmitten extremer klimabedingter Wetterereignisse nicht in der Lage, Kinder und ältere Menschen angemessen zu schützen und zu versorgen. Laut einem neuen Bericht von Amnesty International hätten viele Todesfälle durch rechtzeitige Hilfe, bessere medizinische Versorgung und gezielte Vorbereitung verhindert werden können.
Der Bericht „Uncounted: Invisible deaths of older people and children during climate disasters in Pakistan“ dokumentiert, dass das unterfinanzierte pakistanische Gesundheitssystem die Folgen der immer häufiger auftretenden Überflutungen und Hitzewellen nicht angemessen bewältigen kann. Dies führt zu vermeidbaren Todesfällen, insbesondere von Kleinkindern und älteren Menschen.
Obwohl Pakistan weniger als 1 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht, zählt das Land zu den fünf am stärksten von Klimakatastrophen betroffenen Staaten weltweit.
In Zusammenarbeit mit dem Indus Hospital & Health Network (IHHN), das kostenlose medizinische Versorgung in Pakistan anbietet, dokumentierte Amnesty International eine Häufung von Todesfällen infolge extremer Wetterereignisse. Die Ergebnisse zeigen einen drastischen Anstieg von Todesfällen bei Kindern unter fünf Jahren sowie Personen über 50 Jahren – vor allem bei Überschwemmungen und während extremer Hitzeperioden.
Extreme Hitze und heftige Überschwemmungen führen unter ihnen zu unverhältnismäßig vielen Krankheits- und Todesfällen. Das pakistanische Gesundheitssystem ist selbst in Zeiten, in denen kein Notstand herrscht, völlig unterfinanziert und überlastet. Durch den Klimanotstand wird das System zusätzlich unter Druck gesetzt und ist nicht in der Lage, die Betroffenen angemessen zu versorgen.
Laura Mills vom Krisenreaktionsteam von Amnesty International
Besonders dramatisch zeigt sich die Lage bei der Versorgung nach Überschwemmungen, die regelmäßig zu einem Anstieg wasser- und mückenübertragener Krankheiten führen – ein enormes Risiko für Kinder und ältere Menschen. Auch extreme Hitze bringt insbesondere Kleinkinder und ältere Erwachsene – vor allem bei Vorerkrankungen – in Gefahr. Pakistan erhebt so gut wie keine Daten zu der mit diesen Wetterereignissen verbundenen Sterblichkeitsrate. Dies schränkt die Möglichkeit ein, angemessen zu reagieren und Leben zu retten.
Die NGO Indus Hospital & Health Network (IHHN) führte eine quantitative Studie zu den Auswirkungen extremer Wetterereignisse auf die menschliche Gesundheit durch und analysierte dafür im Jahr 2022 die Zahl der Todesfälle in drei IHHN-Gesundheitseinrichtungen: in Badin (in der Provinz Sindh, am stärksten von Überschwemmungen betroffen), in Muzaffargarh und in Bhong (in der Provinz Punjab, am stärksten von Hitzewellen betroffen). IHHN untersuchte die Beziehung zwischen Sterblichkeitsraten und Klimaindikatoren, einschließlich Niederschlag und Temperatur.
Auf der Grundlage der quantitativen Untersuchung von IHHN führte Amnesty International qualitative Interviews durch, um der Situation noch weiter auf den Grund zu gehen. Amnesty International besuchte zwischen April 2024 und Januar 2025 viermal die Provinzen Sindh und Punjab und führte Interviews mit Menschen aus den Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan durch. Insgesamt sprach die Organisation mit 210 Personen, darunter 90 Angehörige von Menschen, deren Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Hitzewellen oder Überschwemmungen zurückzuführen ist.
TEMPERATUREN BIS ZU 50° GRAD CELSIUS
Im Jahr 2022 erlebte Pakistan eine Rekordhitzewelle mit Temperaturen von bis zu 50 °C. Diese überdurchschnittlichen Temperaturen führten zu ungewöhnlich heftigen Regenfällen. Der Indus, der von Norden nach Süden durch das Land fließt, trat über die Ufer und überschwemmte eine Fläche von 75.000 km2. Dies hatte Auswirkungen auf mindestens 33 Mio. Menschen, und etwa 8 Mio. Menschen wurden durch die Überflutungen aus ihrer Heimat vertrieben.
Im September 2022 verzeichnete das IHHN-Krankenhaus in Badin in der südlichen Provinz Sindh an der Mündung des Indus 71 % mehr Todesfälle als im regulären Monatsdurchschnitt für das Jahr 2022. Dies lag hauptsächlich an einer erhöhten Müttersterblichkeit und neonatalen Sterblichkeit; auch Infektionskrankheiten spielten eine große Rolle. Die stärkste Zunahme der Sterblichkeitsrate war bei Kindern unter fünf Jahren zu beobachten, insbesondere bei Säuglingen und Neugeborenen, sowie bei Erwachsenen über 50 Jahren.
Amnesty International sprach mit Dutzenden Personen, die von den Überschwemmungen im Jahr 2022 betroffen waren, darunter auch Menschen, die Familienangehörige aufgrund von durch Wasser übertragenen Krankheiten verloren haben. In vielen Fällen gaben diese an, dass es hauptsächlich der Mangel an rechtzeitigen Evakuierungsmaßnahmen und die unzureichenden Lebensbedingungen gewesen seien, die zu dem Erkranken eines Kindes oder einer älteren Person beigetragen hatten.
WIEDERHOLUNG ZWEI JAHRE SPÄTER
Im Jahr 2024 trat das gleiche Muster auf: ungewöhnlich starke Hitze führte zu heftigen Regenfällen und Überschwemmungen. Mehr als 1,5 Mio. Menschen litten unter den Folgen, und viele von ihnen waren bereits zwei Jahre zuvor infolge von Überschwemmungen vertrieben worden. Zwar gab es 2024 in manchen Gegenden bessere Frühwarnsysteme, doch die Überlebenden hatten häufig weder Zugang zu Evakuierungsmaßnahmen noch zu Alternativunterkünften. Auch waren so gut wie keine vorbeugenden Gesundheitsmaßnahmen ergriffen worden, weshalb es erneut zur Ausbreitung von Krankheiten kam.
Die verheerenden Hitzewellen von 2022 und 2024 führten in weiten Teilen Pakistans zu neuen Höchsttemperaturen. Offiziell war die Zahl der Todesopfer niedrig. Doch Amnesty International sprach mit vielen Menschen, deren Gesundheit durch die Hitzewellen Schaden nahm, sowie mit 24 Angehörigen von Personen, deren Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die extremen Temperaturen 2022 und 2024 zurückzuführen war und deren Todesursache nicht als hitzebedingt registriert wurde. Sie waren alle über 50 Jahre alt und mussten in vielen Fällen auch während der gefährlichen Hitzewellen zur Arbeit gehen, da sie keine Rente oder anderen Sozialleistungen in Anspruch nehmen konnten.
In Karatschi sorgten anhaltende Stromausfälle, die zur Reduzierung der Netzlast vorgenommen wurden („Lastabwurf“), für gefährlich hohe Temperaturen in dicht besiedelten Wohnblocks. Zwar richteten die Regierung und einige NGOs Kühlzentren ein, doch diese waren für eine Stadt mit mehr als 20,3 Mio. Einwohner*innen zu spärlich gesät. Die meisten Personen, mit denen Amnesty International sprach, wussten nichts von diesen Zentren. Erstversorgungskliniken waren für die Behandlung von Menschen mit hitzebedingten Erkrankungen schlecht gerüstet. Viele Patient*innen wurden an eine Handvoll größerer Krankenhäuser verwiesen, die schnell an ihre Grenzen stießen.
UNZUREICHENDE DATENERHEBUNG
In Pakistan werden weniger als 5 % der Todesfälle in irgendeiner Form statistisch erfasst. Laut Recherchen von Amnesty International sind die offiziellen Zahlen zu den durch Überschwemmungen verursachten Todesfällen zu niedrig. So bilden die Zahlen der Katastrophenschutzbehörden in der Regel nur die Todesfälle durch Ertrinken oder Stromschlag ab und erfassen nicht die Menschen, die danach an Infektionskrankheiten sterben. Dadurch werden ältere Menschen und Kleinkinder, die nach Überflutungen am stärksten durch Krankheiten gefährdet sind, statistisch übersehen.
Die Statistiken zur Sterblichkeitsrate bei Hitzewellen sind noch unzuverlässiger. Im Jahr 2022, als die Temperaturen in vielen Teilen der Provinz Punjab, in der 120 Mio. Menschen leben, bis auf 50 °C kletterten, wurden offiziell keine hitzebedingten Todesfälle registriert.
Obwohl sich Klimakatastrophen unverhältnismäßig stark auf ältere Menschen auswirken, werden in Pakistan praktisch keine Daten über die Gesundheit dieser Altersgruppe erhoben. Die offiziellen Regierungsdaten sind derzeit nicht in der Lage, die Opfer der Klimakrise zu erfassen. Ohne besser zu verstehen, wer am stärksten betroffen ist und wie hoch die Zahl der Todesopfer ist, können weder die pakistanische Regierung noch die internationale Gemeinschaft wirksam
gegen Klimafolgen vorgehen.
Empfehlungen
Laut internationaler Menschenrechtsnormen müssen Staaten die Rechte auf Leben und Gesundheit schützen. Pakistan hat seit 2022 zwar einige bemerkenswerte Verbesserungen beim Katastrophenschutz vorgenommen, ist jedoch nach wie vor nicht umfassend in der Lage, diese Rechte für zahlreiche Menschen zu gewährleisten. Pakistan muss mehr tun, um angesichts der Klimakrise sein Gesundheitssystem und die Notversorgung zu verbessern. Und auch die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass die schutzbedürftigsten Menschen in Pakistan den nötigen Schutz erhalten. Einkommensstarke Länder mit hohen Emissionen müssen mehr Finanzmittel und andere Ressourcen bereitstellen, um allen Menschen in Pakistan bei der Anpassung an die Klimakrise zu helfen und die Bewältigung von Klimaschäden zu unterstützen.
Die tragische Realität ist, dass diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, am stärksten unter den Folgen zu leiden haben. Der Klimawandel macht nicht an internationalen Grenzen halt. Die Verantwortung für die vermeidbaren Todesfälle in Pakistan liegt nicht nur in Islamabad, sondern auch bei den Ländern, die weiterhin fossile Brennstoffe in unannehmbar hohem Maße verbrennen, produzieren und exportieren.
Laura Mills vom Krisenreaktionsteam von Amnesty International