Außergerichtliche Hinrichtungen
Die weitaus größte Zahl an Biafra-Aktivist*innen wurde am 30. Mai 2016 getötet. Am Biafra-Gedenktag kamen rund 1.000 IPOB-Mitglieder und –Unterstützer*innen in Onitsha im Bundesstaat Anambra zusammen. In der Nacht vor der Versammlung stürmten die Sicherheitskräfte Häuser und eine Kirche, in denen IPOB-Mitglieder übernachteten.
Am eigentlichen Gedenktag erschossen die Sicherheitskräfte an mehreren Orten Menschen. Amnesty International geht davon aus, dass an den beiden Tagen insgesamt mindestens 60 Menschen getötet und 79 verletzt wurden. Die tatsächliche Zahl ist vermutlich höher.
Amnesty International hat Videoaufnahmen einer friedlichen Versammlung von IPOB-Mitgliedern und Unterstützer*innen an der Aba National High School am 9. Februar 2016 gesichtet. Das nigerianische Militär hatte die Gruppe eingekreist, um dann ohne Vorwarnung mit scharfer Munition auf sie zu schießen.
Augenzeug*innen und lokalen Menschenrechtsverteidiger*innen zufolge wurden zahlreiche Teilnehmer*innen der Versammlung in Aba vom Militär abgeführt. Am 13. Februar wurden 13 Leichen, darunter auch von Männern, die ursprünglich vom Militär abgeführt worden waren, in einer Grube in der Nähe des Aba-Highway gefunden.
„Es war entsetzlich anzuschauen, wie diese Soldaten friedliche IPOB-Mitglieder niederschossen. Der Videobeweis zeigt, dass es sich dabei um eine militärische Operation mit Tötungs- und Verletzungsabsicht handelte“, so Makmid Kamara.
Tödliche Unterdrückung
Augenzeugenberichte und Videomaterial von den Kundgebungen, Demonstrationen und Versammlungen zeigen, dass das nigerianische Militär vorsätzlich tödliche Gewalt einsetzte.
Die Untersuchungen von Amnesty International zeigen darüber hinaus ein beunruhigendes Muster an willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen Hunderter Menschen durch Militärangehörige während und nach IPOB-Veranstaltungen, darunter Festnahmen verwunderter Opfer im Krankenhaus sowie Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen.
Vincent Ogbodo (Name zu seinem Schutz geändert), ein 26-jähriger Händler, erzählte gegenüber Amnesty International, er sei am Biafra-Gedenktag in Nkpor angeschossen worden und habe sich in einem Erdloch versteckt. Als die Soldaten ihn fanden, schütteten sie Säure über ihn. „Ich hielt meine Hände vors Gesicht. Ich wäre jetzt sonst blind. Er schüttete mir Säure über die Hände. Meine Hände und mein ganzer Körper brannten. Das Fleisch brannte… Sie zogen mich aus dem Erdloch. Sie sagten, ich würde jetzt langsam sterben.”
Keine strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen
Trotz dieser überwältigenden Beweise, dass die nigerianischen Sicherheitskräfte schwere Menschenrechtsverletzungen wie außergerichtliche Hinrichtungen und Folter begangen haben, wurden seitens der Behörden bisher keine Ermittlungen eingeleitet.
Ähnliche Versäumnisse bei der strafrechtlichen Verfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen durch das Militär wurden auch in anderen Teilen Nigerias dokumentiert, so im Zusammenhang mit Einsätzen gegen Boko Haram im Nordosten Nigerias.
„Amnesty International hat die nigerianische Regierung wiederholt dazu aufgefordert, unabhängige Untersuchungen einzuleiten. Präsident Buhari hat wiederholt versprochen, die Berichte von Amnesty International zu sichten. Bisher sind noch keine konkreten Schritte unternommen worden“, so Makmid Kamara.