Um wirksam zu sein, müssen die Warnungen klare Anweisungen für die Zivilbevölkerung enthalten, sich von militärischen Zielen zu entfernen, die angegriffen werden sollen. Zwar können Warnungen unter bestimmten Umständen allgemeiner Natur sein, doch schließt dies keine zu weit gefassten Warnungen ein, die die Zivilbevölkerung auffordern, ganze Gebiete zu evakuieren.
Die jüngsten Angriffe und die hohe Zahl der Vertriebenen und Todesopfer im Libanon werfen ernsthafte Fragen auf, ob Israel seinen Verpflichtungen nachkommt, alle machbaren Vorkehrungen zu treffen, um zivile Opfer zu vermeiden.
Hohe Zahl von Vertriebenen und Toten
Die israelische Militäroperation “Northern Arrows” begann am 23. September mit intensiven Luftangriffen auf mehrere Gebiete im Libanon, darunter den Süden, das Bekaa-Tal und Dahieh. Laut der libanesischen Regierung ist die Zahl der Menschen, die vor den israelischen Luftangriffen fliehen, auf über 1,2 Millionen gestiegen – die meisten davon in den letzten drei Wochen.
Am ersten Tag der israelischen Militäroperation führten die israelischen Streitkräfte mindestens 1.600 Angriffe auf Gebiete im gesamten Libanon durch, wobei mehr als 500 Menschen getötet und über 1.800 verletzt wurden. Gleichzeitig feuerte die Hisbollah mehr als 200 Raketen auf Israel ab, wobei rund 10 Menschen durch Splitter oder Trümmer verletzt wurden.
Amnesty International überprüfte mehr als ein Dutzend Evakuierungswarnungen des israelischen Militärs und führte Interviews mit 12 Bewohner*innen, die nach den Evakuierungswarnungen vom 27./28. September 2024 aus Dahieh flohen. Die Organisation sprach zudem mit drei Bewohnerinnen von Dörfern im Südlibanon.
In ihrer Analyse konzentriert sich Amnesty International nicht darauf, festzustellen, ob Israel militärische Ziele angegriffen hat, sondern untersucht, ob die ausgegebenen Warnungen wirksam waren, um Zivilpersonen zu schützen und ob sie dem internationalen Recht entsprachen.
Nach internationalem Recht sind bewaffnete Gruppen wie die Hisbollah verpflichtet, militärische Ziele – darunter Kämpfer, Munition, Waffen und militärische Infrastruktur – nach Möglichkeit nicht in dicht besiedelten Gebieten zu platzieren. Die Anwesenheit solcher militärischen Ziele entbindet jedoch die israelischen Streitkräfte nicht von ihrer Verpflichtung, wahllose oder unverhältnismäßige Angriffe zu vermeiden und alle machbaren Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um Zivilpersonen zu verschonen – auch diejenigen, die das Gebiet nach einer Evakuierungswarnung nicht verlassen.