„In den besetzten palästinensischen Gebieten setzte Israel seine Politik der exzessiven, auch tödlichen Gewaltanwendung gegen die dortigen Demonstrierenden unterdessen unvermindert fort", Philip Luther, Recherche- und Advocacy-Direktor von Amnesty International für die Region Nahost und Nordafrika.
In Algerien, wo Massenproteste zum Sturz von Präsident Abdelaziz Bouteflika führten, der sich 20 Jahre an der Macht gehalten hatte, versuchten die Behörden, die Demonstrierenden durch willkürliche Massenfestnahmen und strafrechtliche Verfolgung zu stoppen.
Während die im Oktober 2019 einsetzenden Massenproteste im Libanon, die zum Rücktritt der Regierung führten, zunächst weitgehend friedlich verliefen, waren die Reaktionen darauf in einigen Fällen rechtswidrige und exzessive Gewalt. Zudem griffen die Sicherheitskräfte nicht wirksam ein, um friedliche Demonstrierende vor Angriffen rivalisierender politischer Gruppen zu schützen.
In Ägypten kam es im September zu einem plötzlichen Ausbruch von Protesten, der die Behörden überraschte. Daraufhin wurden willkürlich mehr als 4.000 Personen inhaftiert.
„Die Regierungen in der Region haben die Rechte der Menschen, zu protestieren und ihre Meinung zu äußern, völlig missachtet“, sagt Heba Morayef, und sagt weiter: „Anstatt mit tödlicher Gewalt vorzugehen und auf Maßnahmen wie exzessive Gewaltanwendung, Folter und willkürliche Massenfestnahmen sowie strafrechtliche Verfolgung zurückzugreifen, sollten die Behörden die Forderungen nach sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit sowie nach politischen Rechten ernst nehmen und umsetzen.“
Unterdrückung in den sozialen Medien
Die Regierungen in der gesamten Region gingen nicht nur gegen friedliche Demonstrant*innen auf der Straße vor. Sie griffen auch weiter hart gegen Menschen durch, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet ausübten: Journalist*innen, Blogger*innen und Aktivist*innen, die regierungskritische Artikel oder Videos in den sozialen Medien veröffentlichten, waren in Gefahr, festgenommen, verhört und strafrechtlich verfolgt zu werden.
Nach Recherchen von Amnesty International wurden in zwölf Ländern der Region Personen als gewaltlose politische Gefangene inhaftiert und 136 Personen allein deswegen festgenommen, weil sie in den sozialen Medien ihre Meinung geäußert hatten.
Die Behörden missbrauchten auch ihre Befugnisse, um Menschen daran zu hindern, online auf Informationen zuzugreifen oder diese weiterzugeben. Während der Proteste im Iran schalteten die Behörden das Internet fast vollständig ab, um den Austausch von Videos und Fotos zu unterbinden, auf denen zu sehen war, wie Sicherheitskräfte rechtswidrig Protestierende töteten und verletzten. In Ägypten blockierten die Behörden Online-Messaging-Dienste, um weitere Proteste zu vereiteln. Die ägyptischen und palästinensischen Behörden zensierten Websites, einschließlich Nachrichten-Portale. Im Iran blieben auch 2019 Social-Media-Plattformen wie Facebook, Telegram, Twitter und YouTube blockiert.
Einige Regierungen setzen auch ausgeklügeltere Techniken der Online-Überwachung ein, um Menschenrechtsverteidiger*innen ins Visier zu nehmen. Die Recherchen von Amnesty zeigten, dass zwei marokkanische Menschenrechtsverteidiger mit Hilfe von Spyware, die von der israelischen Firma NSO Group entwickelt wurde, ins Visier genommen wurden. Die Spyware desselben Unternehmens war zuvor gegen Aktivist*innen in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie gegen einen Mitarbeiter von Amnesty International eingesetzt worden.