„Der Einsatz dieser von Natur aus ungenauen Waffen in oder in der Nähe von bewohnten zivilen Gebieten stellt an sich ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht dar. Zivilpersonen und zivile Objekte dürfen keine Ziele sein und sind geschützt. Direkte Angriffe auf Zivilist*innen und zivile Objekte sowie wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen getötet und verletzt werden, müssen als Kriegsverbrechen untersucht werden.“
Auswirkungen des Konflikts auf Zivilbevölkerung
Die Hisbollah begann am 8. Oktober 2023 „aus Solidarität“ mit der Hamas und anderen bewaffneten palästinensischen Gruppen nach deren Angriff auf Israel und den Gräueltaten vom 7. Oktober 2023 mit dem Beschuss des besetzten Gebiets der Shebaa-Farmen. Als Reaktion darauf startete Israel Angriffe auf den Südlibanon. Seitdem sind Israel und die Hisbollah in grenzüberschreitende Angriffe verwickelt.
Allein am ersten Tag der Operation Northern Arrows führten israelische Streitkräfte mindestens 1600 Angriffe durch, die Dörfer und Städte im gesamten Libanon trafen und mehr als 500 Menschen töteten. Mehrere israelische Luftangriffe, die hohe zivile Opfer zur Folge hatten, müssen als Kriegsverbrechen untersucht werden.
Der Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel hat erhebliche Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, insbesondere im Libanon. Bei israelischen Angriffen im gesamten Libanon wurden schätzungsweise 4047 Menschen getötet, darunter ganze Familien, 16.000 weitere verletzt und schätzungsweise 1,2 Millionen vertrieben, unter anderem durch den Einsatz irreführender und unzureichender „Evakuierungswarnungen“.
Amnesty International hat dokumentiert, wie israelische Streitkräfte in den letzten Monaten vier rechtswidrige Luftangriffe auf Wohngebäude im Südlibanon, im Bekaa-Tal und im Nordlibanon durchgeführt haben, bei denen insgesamt 49 Zivilist*innen getötet wurden. Diese Vorfälle müssen als Kriegsverbrechen untersucht werden.
Israel hat auch Zweigstellen von Qard al-Hassan, einer mit der Hisbollah verbundenen Finanzinstitution mit mehr als 30 Zweigstellen im ganzen Land, ins Visier genommen. Diese befanden sich in dicht besiedelten Wohngebieten. Die Angriffe stellen einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht dar, auch weil die Institution kein legitimes militärisches Ziel ist.
Bei Angriffen der Hisbollah in Israel wurden mehr als 100 Menschen getötet. Schätzungsweise 63.000 Einwohner*innen im Norden Israels wurden vertrieben. Die Hisbollah hat Tausende von Raketen mit geringer Treffgenauigkeit auf Israel und die besetzten syrischen Golanhöhen abgefeuert. Laut Schätzungen des Forschungsinstituts CSIS sind mehr als 95 Prozent der etwa 100.000 bis 200.000 Raketen im Bestand der Hisbollah ungelenkte Waffen. Israel verfügt über ein Iron-Dome-Luftverteidigungssystem, das Raketen abfangen und zerstören kann.
Zivilist*innen bei Angriffen getötet
Obwohl einige der nördlichen Grenzgebiete, die von wahllosem Raketenfeuer der Hisbollah getroffen wurden, weitgehend evakuiert worden waren, dokumentierte Amnesty International drei Raketenangriffe der Hisbollah auf israelische Städte und Gemeinden, bei denen nach der Eskalation des Konflikts Ende September 2024 acht Zivilist*innen getötet und mindestens 16 weitere verletzt wurden. Das Evidence Lab von Amnesty International überprüfte insgesamt 13 Videos und sechs Fotos im Zusammenhang mit diesen Angriffen.
Am 29. Oktober 2024, gegen 10.40 Uhr, feuerte die Hisbollah eine Raketensalve auf den Norden Israels ab und tötete Mohammed Naim, einen 23-jährigen palästinensischen Staatsbürger Israels, als eine der Raketen sein Haus in Tarshiha traf. Das israelische Außenministerium gab an, dass bei dem Angriff 13 weitere Menschen verletzt wurden.
Zunächst gab die Hisbollah auf ihrem Telegram-Kanal bekannt, dass das Ziel das Dorf Kfar Vradim sei. Nachdem jedoch einige Stunden später bekannt wurde, dass ein palästinensischer Staatsbürger Israels getötet worden war, revidierte die Hisbollah ihre Ankündigung und veröffentlichte ein Video, in dem sie behauptete, israelische Soldat*innen in Ma'alot-Tarshiha ins Visier genommen zu haben.
Am 31. Oktober 2024 feuerte die Hisbollah 18 Raketensalven auf Städte auf beiden Seiten der Grenze ab, darunter die Städte Karmiel und Akko in Israel und die Haifa-Vororte von Krayot, wie aus ihrer auf Telegram veröffentlichten Erklärung hervorgeht. Das israelische Militär gab an, dass insgesamt 90 Raketen aus diesen Angriffen in Israel einschlugen. Bei zwei der Angriffe wurden insgesamt sieben Zivilist*innen getötet. Die Hisbollah gab an, dass die beabsichtigten Ziele dieser Angriffe israelische Streitkräfte südlich von Khiam im Libanon und das Gebiet von Krayot in Israel waren.
Die Hisbollah veröffentlichte ein Video, das angeblich den Abschuss der Raketen zeigt und angibt, dass das Ziel die zivilen Vororte von Krayot entlang der israelischen Küste waren. Der Angriff wurde mit ungelenkten 220-mm-Fadi-1-Raketen durchgeführt. Die inhärente Ungenauigkeit dieser Raketen und die Unrechtmäßigkeit ihres Einsatzes selbst gegen militärische Ziele in zivilen Gebieten wird durch die Tatsache belegt, dass der tatsächlich getroffene Ort etwa sieben Kilometer vom angekündigten Ziel entfernt war.
Humanitäres Völkerrecht verbietet wahllose Angriffe
Gemäß dem humanitären Völkerrecht müssen die Konfliktparteien jederzeit zwischen Zivilpersonen oder zivilen Objekten und Kombattant*innen oder militärischen Zielen unterscheiden. Angriffe dürfen nur gegen Kombattant*innen und militärische Ziele gerichtet werden und niemals gegen die Zivilbevölkerung.
Sowohl direkte Angriffe auf Zivilist*innen und zivile Objekte, als auch wahllose Angriffe auf zivile Gebiete, verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht. Auch wenn Israel in manchen Fällen militärische Kräfte in oder in der Nähe von zivilen Gebieten stationiert, entbindet dies die Hisbollah nicht von der Verantwortung, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um zivile Opfer zu vermeiden oder zumindest zu minimieren. Die Zivilbevölkerung oder zivile Objekte zum Ziel von Angriffen zu machen und wahllose Angriffe zu starten, die zum Tod oder zur Verletzung von Zivilist*innen führen, sind Kriegsverbrechen.