Aufgrund ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit – die meisten Menschen aus der Region sind Muslim*innen und gehören ethnisch unter anderem zu den Tschetschen*innen, Dagestaner*innen oder Ingusch*innen – wurden ganze Gemeinschaften als „gefährliche Extremist*innen“ gebrandmarkt: Sie würden eine existenzielle Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen, was ihre Rückkehr in eine Region rechtfertigen soll, in der ihre Rechte tatsächlich gefährdet sind.
Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus ist katastrophal, ganz besonders in Tschetschenien. Personen, die sich kritisch äußern, sich für die Menschenrechte einsetzen oder als Mitglied der LGBTQIA+-Community wahrgenommen werden, laufen Gefahr, ins Visier genommen zu werden.
Rückführung nach Russland: Europa ignoriert akute Menschenrechtsgefahren
Seit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine hat sich die ohnehin schon schlechte Menschenrechtslage in Russland erheblich verschärft. Das Risiko von Folter und anderen Misshandlungen, wie sie in Haftanstalten bereits vor der Invasion weit verbreitet waren, hat zugenommen. Darüber hinaus gibt es glaubwürdige Berichte, denen zufolge ethnische Minderheiten in Russland unverhältnismäßig häufig zu den Streitkräften eingezogen werden. Wer sich weigert oder versucht, vor der Rekrutierung zu fliehen, riskiert menschenrechtswidrige Verfolgung und mehrjährige Gefängnisstrafen.
Der Ausstieg Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und das harte Vorgehen gegen unabhängige Menschenrechtsorganisationen im Land haben zu einer drastischen Erhöhung der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen geführt und Betroffenen ein wichtiges Instrument genommen, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.
Vielen Menschen aus dem Nordkaukasus, die vor der katastrophalen Lage in ihrer Heimat geflohen sind, droht nun die Ausweisung, Auslieferung oder Abschiebung aus europäischen Ländern. Dies würde einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) darstellen. Die Drohung dieser Länder, Menschen nach Russland zurückzuschicken, erfolgt vor dem Hintergrund der in Europa herrschenden Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen aus dem Nordkaukasus, bei denen es sich zum größten Teil um Muslim*innen handelt.
Das Verbot der Rückführung in Länder, in denen die Gefahr von Folter und anderen Misshandlungen droht, ist absolut und lässt keine Ausnahmen zu, auch nicht aus Gründen der nationalen Sicherheit. Die Rechtsgrundlage für Überstellungen nach Russland ist oft undurchsichtig oder fadenscheinig. So werden unter anderem geheime, von Sicherheitsdiensten gelieferte Beweise oder aber haltlose Anschuldigungen angeführt, die von Russland selbst stammen.
Russland benutzt diese Fahndungsgesuche, um politische Gegner*innen, Andersdenkende, Menschenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen und deren Angehörige und Umfeld ins Visier zu nehmen.
Einige europäische Staaten berufen sich auch auf allgemein wenig zuverlässige „diplomatische Zusicherungen“ seitens der russischen Behörden, dass keine Foltergefahr bestehe, um die Rückführung von Personen aus dem Nordkaukasus zu rechtfertigen. Derartige „Zusicherungen“ Russlands, wo Folter weit verbreitet ist und das Strafrechtssystem regelmäßig missbraucht wird, zu akzeptieren, stellt lediglich den Versuch dar, die absolute Verpflichtung eines Staates, Menschen nicht an einen Ort zu schicken, an dem sie der Gefahr ungeheuerlicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären, zu umgehen.