Sie sagte, sie sei in einem Fahrzeug mit einer anderen Person aus dem Kibbuz transportiert worden, sei aber bei der Ankunft in Gaza von dieser Person getrennt worden. Sie erzählte Amnesty International, dass die Wärter, die sie festhielten, ihr sagten, dass sie Mitglieder der Hamas seien, und berichtete, dass sie während ihrer Gefangenschaft von anderen Hamas-Mitgliedern aufgesucht wurde, die sie für ranghöher hielt und die „ihre Runden zwischen den Wohnungen“ drehten, in denen die Geiseln festgehalten wurden.
Unter den am 7. Oktober 2023 Entführten befanden sich auch Personen, die offenkundig sehr schwer verletzt waren, wie von Amnesty International überprüfte Videos zeigen. Darunter war auch der 22-jährige Hersh Goldberg-Polin, der von der Straße 232 in der Nähe des Nova-Festivals entführt wurde, nachdem er vor dem Angriff auf das Festival geflohen war und in einem Raketenbunker Zuflucht gesucht hatte.
Amnesty International hat auch dokumentiert, dass palästinensische Kämpfer, darunter wahrscheinlich auch Kämpfer der Al-Qassam-Brigaden und der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, die Leichen von bei Angriffen im Süden Israels getöteten oder tödlich verwundeten Menschen nach Gaza gebracht haben. Durch diese Praxis wurde den Familien die Möglichkeit verwehrt, ihre Angehörigen zu bestatten, und in vielen Fällen wussten sie monatelang oder länger nicht, ob ihre Angehörigen noch lebten oder getötet worden waren.
Mindestens 48 Geiseln, die lebend gefangen genommen wurden, sind Berichten zufolge im Gazastreifen gestorben. Andere wurden im Rahmen von Verhandlungen freigelassen oder bei israelischen Militäraktionen gerettet, von denen eine zur Tötung von Hunderten von Palästinenser*innen führte.
Tötung von Geiseln
Die Al-Qassam-Brigaden, der militärische Flügel der Hamas, und die Al-Quds-Brigaden, der militärische Flügel des Palästinensischen Islamischen Dschihad, haben in öffentlichen Erklärungen damit gedroht, die von ihnen festgehaltenen israelischen Geiseln als Vergeltung für israelische Aktionen zu töten oder Rettungsaktionen des israelischen Militärs zu verhindern.
Am 1. September 2024 gab das israelische Militär bekannt, dass es am Vortag die Leichen von sechs israelischen Geiseln aus einem unterirdischen Tunnel in Rafah geborgen hatte, und zwar in der Nähe der Stelle, an der die israelischen Streitkräfte im August 2024 eine andere Geisel, den 52-jährigen Qaid Farhan Alkadi, allein, aber lebendig, in einem Tunnel gefunden hatten.
Der Sprecher der Al-Qassam-Brigaden, Abu Obaida, veröffentlichte am 2. September 2024 in den sozialen Medien drei Erklärungen. Diese stellen offenbar eine Reaktion auf die Ankündigung des israelischen Militärs dar. Die Erklärungen deuten darauf hin, dass die Al-Quassam-Brigaden die sechs Geiseln getötet haben, um ihre Rettung zu verhindern.
Im Jahr 2025 verstärkten die Al-Qassam-Brigaden ihre Drohungen, die verbleibenden israelischen Geiseln zu töten. In einem von Amnesty International analysierten Video vom 15. Februar 2025, zwangen sie eine der drei israelischen Geiseln, die im Rahmen eines Geiselaustauschs freigelassen werden sollten, dazu, eine Sanduhr über ein Foto von Matan Zangauker, einer noch in Gaza festgehaltenen Geisel, zu halten. Damit sollte gedroht werden, dass die Zeit für die verbleibenden Geiseln ablaufe. Am 24. März 2025 veröffentlichten die Al-Qassam-Brigaden ein weiteres Video, auf dem zwei Geiseln zu sehen sind, die für einen Austausch von Geiseln und Gefangenen plädieren, da dies ihre einzige Überlebenschance sei.
Die Leichen von drei der bekanntesten am 7. Oktober 2023 entführten Geiseln, der argentinisch-israelischen Shiri Bibas und ihrer beiden Söhne – des neun Monate alten Kfir Bibas und des vierjährigen Ariel Bibas – wurden schließlich am 21. Februar 2025 im Rahmen eines ausgehandelten Geiselaustauschs an ihre Familie zurückgegeben. Drei Wochen zuvor hatten die Al-Qassam-Brigaden Yarden Bibas, den Ehemann von Shiri und Vater der Kinder, freigelassen, der getrennt von seiner Frau und seinen Kindern festgehalten worden war.
Shiri und ihre beiden Söhne lebten und waren unverletzt, als sie am 7. Oktober 2023 aus Nir Oz entführt wurden. In einem Video, das auf den 20. Dezember 2024 datiert ist, erklärte ein Sprecher der Mudschaheddin-Brigaden, des militärischen Flügels der palästinensischen Mudschaheddin-Bewegung, in einem Medieninterview, dass sie zusammen mit ihren Entführern bei einem israelischen Luftangriff getötet worden seien. Die Al-Qassam-Brigaden gaben eine Erklärung in diesem Sinne ab, und die israelische Armee gab bekannt, dass sie den Vorwurf untersuchen werde. Weder die Mudschaheddin-Brigaden noch die Al-Qassam-Brigaden legten Beweise vor, um ihre Behauptungen zu belegen. Die israelischen Behörden gaben an, die Opfer seien von ihren Entführern getötet worden, legten aber ebenfalls keine Beweise vor.
Einige Geiseln wurden durch das israelische Militär getötet. Die bekanntesten Fälle sind die von Yotam Haim (28 Jahre), Samer Talalka (22 Jahre), und Alon Shamriz (26 Jahre), die alle am 15. Dezember 2023 im Stadtteil Shuja'iya in Gaza-Stadt erschossen wurden, wo die israelischen Streitkräfte auf erheblichen Widerstand der örtlichen bewaffneten palästinensischen Gruppen stießen. Das israelische Militär übernahm umgehend die Verantwortung für diese Tötungen, während es im Fall der drei anderen Geiseln – Nik Beizer, Ron Sherman und Elia Toledano – zehn Monate dauerte, bis die Armee bekannt gab, dass sie bei einem Luftangriff im November 2023 getötet worden waren.
Anklagen des Internationalen Strafgerichtshofs
Im Mai 2024 beantragte die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen die Hamas-Führer Ismail Haniyeh, Mohammed Deif und Yahya Sinwar wegen ihrer mutmaßlichen Verantwortung für die folgenden Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die ab dem 7. Oktober 2023 begangen wurden: Ausrottung, Mord, Vergewaltigung und andere sexualisierte Gewalt, Geiselnahme, Folter, andere unmenschliche Handlungen, grausame Behandlung und Verletzung der persönlichen Würde. Im November 2024 erließ die Vorverfahrenskammer des Gerichtshofs einen Haftbefehl gegen Mohammed Deif. Die Kammer stellte das Verfahren gegen jeden der drei verdächtigen Palästinenser ein, nachdem bestätigt worden war, dass sie bei israelischen Militäroperationen getötet worden waren.
Inhaftierungen von Palästinenser*innen
Seit Oktober 2023 haben die israelischen Behörden die Zahl der Inhaftierungen von Palästinenser*innen im gesamten besetzten palästinensischen Gebiet drastisch erhöht. Nach Angaben der Organisation Hamoked befanden sich mit Stand 1. September 2025 insgesamt 11.040 Palästinenser*innen im Gewahrsam der israelischen Behörden. Einige sind bereits seit Jahrzehnten inhaftiert. Mehr als die Hälfte – ca. 57% von ihnen – werden ohne Anklage oder Gerichtsverfahren entweder in Verwaltungshaft oder auf der Grundlage des Gesetzes über ungesetzliche Kombattanten, das gegen das Völkerrecht verstößt, in Israel festgehalten. Nach Angaben der Organisation Jerusalem Legal Aid and Human Rights Center (JLAC) werden die Leichen von mindestens 730 Palästinenser*innen von Israel als Verhandlungsmasse gehalten, einige davon seit Jahrzehnten.
Amnesty International fordert, dass Israel die Tausenden von Palästinenser*innen, die willkürlich festgehalten werden, unverzüglich freilässt, die Misshandlungen palästinensischer Gefangener, zu denen Folter, Hunger und sexualisierte Gewalt gehören, beendet und die seit langem bestehende illegale Praxis einstellt, palästinensische Leichen als Verhandlungsmasse festzuhalten.
„Es gibt keine Rechtfertigung für die Entführung von Menschen als Geiseln oder für eine lange willkürliche Inhaftierung von Personen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Die Welt darf sich nicht von der Menschlichkeit abwenden", sagt Agnès Callamard.
Situation im Gazastreifen
Die Militäroffensive, die Israel nach den Angriffen vom 7. Oktober 2023 startete, hat nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums im Gazastreifen mehr als 65.000 Menschen getötet, darunter über 18.000 Kinder, und mehr als 200.000 verletzt. Viele wurden bei direkten Angriffen auf die Zivilbevölkerung oder bei wahllosen Angriffen, die oft ganze Mehrgenerationenfamilien auslöschten, getötet oder verletzt. Zehntausende Palästinenser*innen im Gazastreifen sind nach wie vor unauffindbar; man vermutet ihre Leichen unter den Trümmern zerstörter Gebäude oder in Gebieten, die aufgrund israelischer Militäroperationen unzugänglich sind. Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) wurden 78 % aller Gebäude im Gazastreifen durch die israelischen Militäroperationen zerstört oder beschädigt.
Im November 2024 erließ die Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen des Kriegsverbrechens des Aushungerns von Zivilpersonen und der vorsätzlichen Leitung eines Angriffs gegen die Zivilbevölkerung sowie wegen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, des Mordes, der Verfolgung und anderer unmenschlicher Handlungen.
Im Dezember 2024 kam Amnesty International zu dem Schluss, dass Israel Völkermord an den Palästinenser*innen im Gazastreifen begeht, indem es sie tötet, ihnen schwere körperliche oder seelische Schäden zufügt und ihnen vorsätzlich Lebensbedingungen auferlegt, die auf ihre physische Zerstörung abzielen. Tausende von Palästinenserinnen aus dem Gazastreifen, zumeist Zivilpersonen, wurden während der israelischen Militäroperationen festgenommen und in Gefangenenlager und Gefängnisse innerhalb Israels gebracht.
Während ihrer Inhaftierung haben die israelischen Behörden sie systematisch gefoltert oder anderweitig misshandelt und ihnen den Zugang zu unabhängigen Beobachtern*innen und humanitären Organisationen verwehrt. Seit dem 7. Oktober 2023 sind nach Angaben der palästinensischen Gefangenenkommission mindestens 76 Palästinenser*innen in israelischem Gewahrsam gestorben. Man geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl der palästinensischen Todesopfer in Gewahrsam höher ist.
Die Anschläge vom 7. Oktober 2023 fanden vor dem Hintergrund der anhaltenden israelischen Besatzung der besetzten Gebiete und der weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen statt, die von den israelischen Streitkräften gegen die Palästinenser*innen begangen werden, einschließlich der Auferlegung eines Apartheidsystems gegen die Palästinenser*innen und der seit 2007 bestehenden illegalen Blockade des Gazastreifens.