Eine Frau trägt eine Tasche mit der Aufschrift „Bring them home“, bei einer Kunstinstallation für die in Gaza festgehaltenen Geiseln. © Jonathan Nackstrand / APA / picturedesk.com
Eine Frau trägt eine Tasche mit der Aufschrift „Bring them home“, bei einer Kunstinstallation für die in Gaza festgehaltenen Geiseln. © Jonathan Nackstrand / APA / picturedesk.com
presse

Das Schicksal der Geiseln vom 7. Oktober: Amnesty International Recherche dokumentiert das Ausmaß des menschlichen Leids

30. September 2025

Zusammenfassung

Die Recherche von Amnesty International zeichnet ein umfassendes Bild des Schicksals der Geiseln nach dem brutalen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel.

Anhand von Videoaufzeichnungen, Augenzeug*innenberichten und weiteren Datensätzen dokumentiert Amnesty International detailliert völkerrechtswidrige Verbrechen, die als Kriegsverbrechen einzuordnen sind.

Die chronologische Aufarbeitung zeigt klar, dass der Angriff am 7. Oktober gezielt und systematisch verübt wurde. Im Mittelpunkt der Recherche steht die Situation der Geiseln, die noch immer in der Gewalt der Hamas sind. Betroffene und medizinisches Fachpersonal berichten von physischem, sexualisiertem und psychischem Missbrauch.

Die Recherche verbindet faktenreiche Aufarbeitung der schweren Verbrechen mit persönlichen Schilderungen, die die menschliche Dimension des Geschehens eindringlich sichtbar machen. Amnesty International bekräftigt ihre Forderung nach der unverzüglichen und bedingungslosen Freilassung der Geiseln.

Die bewaffneten palästinensischen Gruppen müssen alle Zivilist*innen, die im besetzten Gazastreifen als Geiseln gehalten werden, unverzüglich und bedingungslos freilassen. Das bekräftigt Amnesty International fast zwei Jahre nach ihrer Entführung durch die Hamas und anderen bewaffneten Gruppen am 7. Oktober 2023. Die Menschenrechtsorganisation fordert außerdem erneut einen sofortigen Waffenstillstand und die Beendigung des Völkermords an den Palästinenser*innen im Gazastreifen durch Israel.

Bei den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 im Süden Israels wurden rund 1.200 Menschen getötet. Mehr als 800 von ihnen waren Zivilist*innen, darunter mindestens 36 Kinder. Bei den Opfern handelte es sich in erster Linie um jüdische Israel*innen, aber auch um beduinische Bürger*innen Israels sowie um zahlreiche ausländische Arbeitsmigrant*innen, Student*innen und Asylsuchende. Mehr als 4.000 Menschen wurden verletzt, und Hunderte von Häusern und zivilen Einrichtungen wurden zerstört oder unbewohnbar gemacht. Amnesty International ist zu dem Schluss gekommen, dass die bewaffneten palästinensischen Gruppen während der Angriffe Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und Kriegsverbrechen begangen haben und weiterhin Verbrechen nach dem Völkerrecht begehen, indem sie immer noch Geiseln festhalten und misshandeln und die beschlagnahmten Leichen zurückhalten. Erklärungen und Aktionen der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad haben deutlich gemacht, dass sie sowohl Zivilist*innen als auch Soldat*innen als Druckmittel einsetzen, um die israelischen Behörden zu zwingen, ihre militärischen Angriffe einzustellen, alle willkürlich inhaftierten palästinensischen Gefangenen freizulassen und die Blockade des Gazastreifens sowie die rechtswidrige Besetzung des palästinensischen Gebiets zu beenden. Dieses Vorgehen entspricht der Definition von Geiselnahme im Völkerrecht.

Von den 47 Personen, die weiterhin unrechtmäßig festgehalten werden, sollen noch etwa 20 Männer am Leben sein. Sie sind in Gefahr, gefoltert, anderweitig misshandelt und getötet zu werden. Sie sind die letzten Überlebenden der 251 Menschen – die meisten von ihnen Zivilist*innen –, die während der brutalen, von der Hamas geführten Angriffe am 7. Oktober 2023 gefangen genommen und nach Gaza verschleppt wurden. Die meisten von ihnen wurden lebend entführt, aber in 36 Fällen sollen palästinensische Angreifer die Leichen von bei den Angriffen getöteten Menschen mitgenommen haben. Geiselnahme ist eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts und ein Kriegsverbrechen.

Die derzeitige militärische Eskalation Israels im Gazastreifen, insbesondere in Gaza-Stadt, hat nicht nur katastrophale Folgen für die Palästinenser*innen, die einer herbeigeführten Hungersnot und Vertreibung ausgesetzt sind. Die Eskalation gefährdet auch das Leben der Israel*innen und anderer Menschen, die von bewaffneten palästinensischen Gruppen als Geiseln gehalten werden. Am 20. September 2025 veröffentlichten die Al-Qassam-Brigaden, der militärische Flügel der Hamas, ein so genanntes „Abschiedsbild“ mit Fotos von Menschen, die noch immer als Geiseln gehalten werden, und schürten damit die Angst vor ihrem Schicksal.

Jede Sekunde der Untätigkeit kostet mehr Menschenleben und verschlimmert das Grauen, dem die Zivilbevölkerung ausgesetzt ist. Ein sofortiger Waffenstillstand ist nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern eine globale Verantwortung. Israel muss seinen Völkermord an den Palästinenser*innen im Gazastreifen sofort beenden, einschließlich seiner vorsätzlichen Politik des Aushungerns und der Massenvertreibung. Die bewaffneten palästinensischen Gruppen müssen unverzüglich alle zivilen Geiseln freilassen.

Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International

„Bis zu ihrer Freilassung muss die Hamas sicherstellen, dass alle Geiseln menschlich behandelt werden, Zugang zu internationalen Beobachter*innen erhalten und regelmäßigen, geschützten Kontakt zu ihren Familien und Angehörigen haben. Die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen müssen außerdem die Leichen aller am 7. Oktober 2023 getöteten Menschen unverzüglich und bedingungslos an die Behörden bzw. die Familien aushändigen. Alles andere stellt ein schweres Völkerrechtsverbrechen dar und bringt mehr Leid für die Familien, die verzweifelt auf die sichere Rückkehr oder zumindest auf Nachrichten über ihre Angehörigen warten.“

Physischer, sexualisierter und psychischer Missbrauch von Geiseln in Gefangenschaft

Israel*innen und andere Staatsangehörige, die als Geiseln genommen wurden, sind seit dem 7. Oktober 2023 einer qualvollen Tortur ausgesetzt. Alle Geiseln wurden in Isolationshaft gehalten, so dass sie bis zu ihrer Freilassung keinen Kontakt zu ihrer Familie und keinen Zugang zum Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hatten. Viele Familien haben monatelang oder noch länger kein Lebenszeichen erhalten, keinen Hinweis, ob ihre Angehörigen noch leben oder schon tot sind, was ihr Leid noch vergrößert.

In Aussagen an Amnesty International, an die Medien oder an medizinisches Fachpersonal haben freigelassene Geiseln berichtet, dass sie während ihrer Gefangenschaft misshandelt wurden. Eine freigelassene Geisel berichtete Amnesty International, dass er und vier weitere Männer nach ihrer Entführung mehrere Tage lang geschlagen wurden. Er beschrieb, dass sie in einem Tunnel festgehalten wurden und ihnen angemessene Nahrung und Wasser verweigert wurde. Mindestens fünf weitere Männer und eine Frau haben öffentlich berichtet, dass sie geschlagen und anderweitig körperlich misshandelt wurden. Vier Frauen, zwei Mädchen und zwei Männer haben öffentlich berichtet, dass sie sexualisierten Misshandlungen, erzwungener Nacktheit oder Drohungen mit Zwangsheirat ausgesetzt waren. Dabei handelt es sich um Formen körperlicher und sexualisierter Gewalt, die nach dem Völkerrecht als Folter oder andere Misshandlung gelten.

Eine medizinische Fachkraft, die an der Behandlung von im November 2023 freigelassenen Geiseln beteiligt war, sagte Amnesty International, dass einige Geiseln berichteten, dass sie geschlagen wurden, gezwungen wurden, Gewalttaten mitanzusehen oder daran teilzunehmen, dass sie in Isolation oder völliger Dunkelheit gehalten wurden und dass ihnen die Grundbedürfnisse vorenthalten wurden. Das führte zu schwerwiegenden und langfristigen Auswirkungen auf ihre psychische und physische Gesundheit. Die Fachkraft berichtete auch, dass einige zurückgekehrte Geiseln sexualisierte Gewalt, einschließlich erzwungener Nacktheit und sexueller Übergriffe, erlitten haben.

Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für das besetzte palästinensische Gebiet, einschließlich Ost-Jerusalem, und Israel (UN-Untersuchungskommission) erklärte im September 2024, sie habe „glaubwürdige Informationen darüber erhalten, dass einige Geiseln während ihrer Gefangenschaft sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt waren“. Darunter war eine weibliche Geisel, die berichtete, dass sie vergewaltigt worden sei. Das Büro des UN-Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für sexuelle Gewalt in Konflikten und das Büro des Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofs berichteten ebenfalls, dass sie Beweise für sexualisierte Gewalt, einschließlich Vergewaltigung, gegen Geiseln gefunden haben. Die Vorverfahrenskammer des IStGH nahm den Antrag des Anklägers auf Erlass eines Haftbefehls gegen Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri (bekannt als Mohammed Deif), den Befehlshaber des militärischen Flügels der Hamas, an. Dabei stellte sie fest, dass „einige Geiseln, vor allem Frauen, während ihrer Gefangenschaft im Gazastreifen sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt waren, einschließlich erzwungener Penetration, erzwungener Nacktheit und demütigender und erniedrigender Behandlung“.

Die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad setzten alle Geiseln, die sie festhielten, sowie deren Familienangehörige psychischen Misshandlungen aus. Sie hielten alle Geiseln ohne Kontakt zur Außenwelt gefangen. Sie verweigerten allen Geiseln den Kontakt zu ihren Familien und den Zugang zum IKRK bis zu ihrer Freilassung. Sie legten weder eine Liste der Geiseln vor, die sie festhielten, noch teilten sie Einzelheiten und aktuelle Informationen über den Verbleib oder den Zustand der Geiseln mit und verweigerten damit den Familien Informationen über ihre Angehörigen. Familienangehörige von Geiseln, mit denen Amnesty International gesprochen hat, berichteten, dass sie monatelang oder länger kein Lebenszeichen erhalten haben, sowie von dem unerträglichen Schmerz und der Angst, nicht zu wissen, wo oder wie es ihren Angehörigen geht, oder ob und wann sie zurückkehren werden.

Bewaffnete palästinensische Gruppen trennten Familienmitglieder, die als Geiseln gehalten wurden, voneinander und hielten einige Kinder völlig allein, so die Aussagen von freigelassenen Geiseln gegenüber medizinischen Fachkräften. Erez Calderon, der zum Zeitpunkt seiner Entführung aus Nir Oz 11 Jahre alt war und dessen Entführung auf einem von Amnesty International verifizierten Video festgehalten wurde, sagte gegenüber israelischen Medien, dass er getrennt von seinem Vater und seiner Schwester festgehalten wurde. Dies wurde von Familienmitgliedern des entführen Jungen in verschiedenen Medienberichten bestätigt.

Die Hamas und bewaffnete palästinensische Gruppen haben Fotos und Videos veröffentlicht, auf denen Geiseln zu sehen sind, die verletzt sind, Schmerzen haben, Angst haben oder um ihr Leben oder ihre Freilassung flehen. Außerdem haben sie Geiseln während ihrer Entführung und bei demütigenden „Freilassungszeremonien“ öffentlich vorgeführt. Die Unterwerfung von Geiseln unter eine derart erniedrigende und entwürdigende Behandlung stellt eine Verletzung der persönlichen Würde dar. Diese Verletzung der persönlichen Würde ist nach dem humanitären Völkerrecht verboten und stellt ein Kriegsverbrechen dar.

Ende Juli und Anfang August 2025 stellten bewaffnete palästinensische Gruppen Videos von zwei Geiseln ins Internet, aus denen hervorging, dass sie schwer misshandelt wurden. Eine der Geiseln, Rom Braslavski, ist in einem Video mit dem Logo der Al-Quds-Brigaden, dem militärischen Flügel des palästinensischen Islamischen Dschihad, auf dem Boden eines Tunnels zu sehen, abgemagert und weinend. Er sagt, er sei zu schwach, um zu stehen, und stehe kurz vor dem Tod. Zum Leidwesen seiner Familie behauptete der Palästinensische Islamische Dschihad, dass sie seit der Aufnahme des Videos den Kontakt zu Roms Entführern verloren hätten. Ein am 2. August 2025 von den Al-Qassam-Brigaden veröffentlichtes Video von Evyatar David zeigt, wie er abgemagert in einem Tunnel liegt und gezwungen wird, ein Grab zu schaufeln, von dem er sagt, es sei sein eigenes. Er beschreibt detailliert und mit Verweis auf einen Kalender, dass er mehrere Tage hintereinander keine Nahrung erhielt. Unter diesen Umständen gezwungen zu werden, sein eigenes Grab zu schaufeln, kommt ebenso einer Folter gleich wie die absichtliche Verweigerung von Nahrung über längere Zeiträume in Gefangenschaft und psychische Misshandlung.

Die Entführung von Geiseln und die Ausstrahlung von Videos, die ihr Leiden zeigen, ist nicht nur ein Verbrechen an den unmittelbaren Opfern. Auch die Ungewissheit und die Ängste, die die Angehörigen der Geiseln erleiden, stellen Folter oder andere Misshandlungen dar.

Geiselnahme und Beschlagnahmung von Leichen

Laut einer Datenbank, die von der israelischen Zeitung Haaretz mit anderen Datensätzen abgeglichen wurde, waren von den 251 Personen, die bei den von der Hamas und anderen bewaffneten Gruppen geführten Angriffen im Süden Israels verschleppt wurden, 27 Soldat*innen im aktiven Dienst. Die überwiegende Mehrheit der anderen 224 Geiseln waren Zivilist*innen. Es handelte sich um 124 Männer, 64 Frauen und 36 Kinder. Unter den aus Israel entführten Personen befanden sich 16 Kinder unter 10 Jahren und neun Personen im Alter von über 80 Jahren. Die meisten der Verschleppten waren jüdische Israel*innen, darunter auch einige mit doppelter Staatsangehörigkeit. Sieben von ihnen waren Beduin*innen aus Israel. Mindestens 35 von ihnen waren ausländische Staatsangehörige. In 36 Fällen waren die Opfer bereits tot, als sie nach Gaza gebracht wurden.

Amnesty International hat anhand von Videoaufnahmen und Zeug*innenaussagen dokumentiert, wie Einzelpersonen, Paare und Familien am 7. Oktober 2023 aus ihren Häusern in mehreren zivilen Gemeinden vertrieben und nach Gaza verschleppt wurden, unter anderem von Mitgliedern der Al-Qassam-Brigaden. Amnesty International hat auch die Entführung junger Menschen vom Gelände des Nova-Musikfestivals und den umliegenden Gebieten dokumentiert, von denen einige aus den Raketenbunkern, in denen sie sich versteckt hielten, geholt wurden.

Shoshan Haran, Gründerin und Präsidentin von Fair Planet, einer israelischen NGO für Entwicklungshilfe, und Mitglied der Friedensbewegung Women Wage Peace, wurde zusammen mit sechs weiteren Familienmitgliedern, darunter drei Kindern, entführt und von der Hamas als Geisel genommen. Shoshan lebte in Be'eri, einem Kibbuz, etwa 4 km vom Zaun um den Gazastreifen entfernt und war zu diesem Zeitpunkt 67 Jahre alt. Sie erzählte Amnesty International, dass sie und ihre Familie sich nach Erhalt einer Warnung über WhatsApp in ihren Schutzraum zurückgezogen hatten.

Shoshan berichtete Amnesty International weiter, dass bewaffnete Männer sie gezwungen hätten, aus dem Schutzraum zu kommen. Einer von ihnen rief ihnen demnach auf Englisch zu: „Frauen, Kinder kommen mit, Männer bumm bumm [werden erschossen].“ Dann wurden sie aus dem Kibbuz nach Gaza verschleppt. Als sie und fünf Mitglieder ihrer Familie aus der, wie sie es nannte, „entsetzlichen 50-tägigen Gefangenschaft" entlassen wurden, erfuhr sie, dass ihr Ehemann, Avshalom Haran, getötet worden war, nachdem die Familie aus ihrem Schutzraum gezwungen worden war. Ihr Schwiegersohn Tal Shoham, der zusammen mit ihr entführt worden war, musste über 500 Tage in Gefangenschaft ausharren, bevor er freigelassen wurde.

Shoshans Schwester Lilach Kipnis, der Ehemann ihrer Schwester, Eviatar Kipnis, und Paul Castelvi, ein philippinischer Staatsangehöriger, der als Pfleger bei der Familie arbeitete, wurden bei dem Angriff auf den Kibbuz ebenfalls getötet.

Die 49-jährige Lehrerin Liat Atzili schilderte Amnesty International ihre Geiselnahme in Nir Oz, einem anderen Kibbuz in der Nähe des Zauns um Gaza. Sie sagte, sie habe sich in ihrem Schutzraum versteckt, während der Kibbuz angegriffen wurde, und dass zunächst einige Personen in Zivilkleidung kamen und die Tür des Schutzraums öffneten, sie nach Geld fragten und wieder gingen, als sie sagte, dass sie keins habe. Sie wurden jedoch bald von bewaffneten Männern verfolgt. Sie sagte:

Zwei bewaffnete, uniformierte Personen kamen und öffneten die Tür. Sie haben mich entführt.

49-jährige Lehrerin Liat Atzili aus dem Kibbuz Nir Oz

Sie sagte, sie sei in einem Fahrzeug mit einer anderen Person aus dem Kibbuz transportiert worden, sei aber bei der Ankunft in Gaza von dieser Person getrennt worden. Sie erzählte Amnesty International, dass die Wärter, die sie festhielten, ihr sagten, dass sie Mitglieder der Hamas seien, und berichtete, dass sie während ihrer Gefangenschaft von anderen Hamas-Mitgliedern aufgesucht wurde, die sie für ranghöher hielt und die „ihre Runden zwischen den Wohnungen“ drehten, in denen die Geiseln festgehalten wurden.

Unter den am 7. Oktober 2023 Entführten befanden sich auch Personen, die offenkundig sehr schwer verletzt waren, wie von Amnesty International überprüfte Videos zeigen. Darunter war auch der 22-jährige Hersh Goldberg-Polin, der von der Straße 232 in der Nähe des Nova-Festivals entführt wurde, nachdem er vor dem Angriff auf das Festival geflohen war und in einem Raketenbunker Zuflucht gesucht hatte.

Amnesty International hat auch dokumentiert, dass palästinensische Kämpfer, darunter wahrscheinlich auch Kämpfer der Al-Qassam-Brigaden und der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, die Leichen von bei Angriffen im Süden Israels getöteten oder tödlich verwundeten Menschen nach Gaza gebracht haben. Durch diese Praxis wurde den Familien die Möglichkeit verwehrt, ihre Angehörigen zu bestatten, und in vielen Fällen wussten sie monatelang oder länger nicht, ob ihre Angehörigen noch lebten oder getötet worden waren.

Mindestens 48 Geiseln, die lebend gefangen genommen wurden, sind Berichten zufolge im Gazastreifen gestorben. Andere wurden im Rahmen von Verhandlungen freigelassen oder bei israelischen Militäraktionen gerettet, von denen eine zur Tötung von Hunderten von Palästinenser*innen führte.

Tötung von Geiseln

Die Al-Qassam-Brigaden, der militärische Flügel der Hamas, und die Al-Quds-Brigaden, der militärische Flügel des Palästinensischen Islamischen Dschihad, haben in öffentlichen Erklärungen damit gedroht, die von ihnen festgehaltenen israelischen Geiseln als Vergeltung für israelische Aktionen zu töten oder Rettungsaktionen des israelischen Militärs zu verhindern.

Am 1. September 2024 gab das israelische Militär bekannt, dass es am Vortag die Leichen von sechs israelischen Geiseln aus einem unterirdischen Tunnel in Rafah geborgen hatte, und zwar in der Nähe der Stelle, an der die israelischen Streitkräfte im August 2024 eine andere Geisel, den 52-jährigen Qaid Farhan Alkadi, allein, aber lebendig, in einem Tunnel gefunden hatten.

Der Sprecher der Al-Qassam-Brigaden, Abu Obaida, veröffentlichte am 2. September 2024 in den sozialen Medien drei Erklärungen. Diese stellen offenbar eine Reaktion auf die Ankündigung des israelischen Militärs dar. Die Erklärungen deuten darauf hin, dass die Al-Quassam-Brigaden die sechs Geiseln getötet haben, um ihre Rettung zu verhindern.

Im Jahr 2025 verstärkten die Al-Qassam-Brigaden ihre Drohungen, die verbleibenden israelischen Geiseln zu töten. In einem von Amnesty International analysierten Video vom 15. Februar 2025, zwangen sie eine der drei israelischen Geiseln, die im Rahmen eines Geiselaustauschs freigelassen werden sollten, dazu, eine Sanduhr über ein Foto von Matan Zangauker, einer noch in Gaza festgehaltenen Geisel, zu halten. Damit sollte gedroht werden, dass die Zeit für die verbleibenden Geiseln ablaufe. Am 24. März 2025 veröffentlichten die Al-Qassam-Brigaden ein weiteres Video, auf dem zwei Geiseln zu sehen sind, die für einen Austausch von Geiseln und Gefangenen plädieren, da dies ihre einzige Überlebenschance sei.

Die Leichen von drei der bekanntesten am 7. Oktober 2023 entführten Geiseln, der argentinisch-israelischen Shiri Bibas und ihrer beiden Söhne – des neun Monate alten Kfir Bibas und des vierjährigen Ariel Bibas – wurden schließlich am 21. Februar 2025 im Rahmen eines ausgehandelten Geiselaustauschs an ihre Familie zurückgegeben. Drei Wochen zuvor hatten die Al-Qassam-Brigaden Yarden Bibas, den Ehemann von Shiri und Vater der Kinder, freigelassen, der getrennt von seiner Frau und seinen Kindern festgehalten worden war.

Shiri und ihre beiden Söhne lebten und waren unverletzt, als sie am 7. Oktober 2023 aus Nir Oz entführt wurden. In einem Video, das auf den 20. Dezember 2024 datiert ist, erklärte ein Sprecher der Mudschaheddin-Brigaden, des militärischen Flügels der palästinensischen Mudschaheddin-Bewegung, in einem Medieninterview, dass sie zusammen mit ihren Entführern bei einem israelischen Luftangriff getötet worden seien. Die Al-Qassam-Brigaden gaben eine Erklärung in diesem Sinne ab, und die israelische Armee gab bekannt, dass sie den Vorwurf untersuchen werde. Weder die Mudschaheddin-Brigaden noch die Al-Qassam-Brigaden legten Beweise vor, um ihre Behauptungen zu belegen. Die israelischen Behörden gaben an, die Opfer seien von ihren Entführern getötet worden, legten aber ebenfalls keine Beweise vor.

Einige Geiseln wurden durch das israelische Militär getötet. Die bekanntesten Fälle sind die von Yotam Haim (28 Jahre), Samer Talalka (22 Jahre), und Alon Shamriz (26 Jahre), die alle am 15. Dezember 2023 im Stadtteil Shuja'iya in Gaza-Stadt erschossen wurden, wo die israelischen Streitkräfte auf erheblichen Widerstand der örtlichen bewaffneten palästinensischen Gruppen stießen. Das israelische Militär übernahm umgehend die Verantwortung für diese Tötungen, während es im Fall der drei anderen Geiseln – Nik Beizer, Ron Sherman und Elia Toledano – zehn Monate dauerte, bis die Armee bekannt gab, dass sie bei einem Luftangriff im November 2023 getötet worden waren.

Anklagen des Internationalen Strafgerichtshofs

Im Mai 2024 beantragte die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen die Hamas-Führer Ismail Haniyeh, Mohammed Deif und Yahya Sinwar wegen ihrer mutmaßlichen Verantwortung für die folgenden Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die ab dem 7. Oktober 2023 begangen wurden: Ausrottung, Mord, Vergewaltigung und andere sexualisierte Gewalt, Geiselnahme, Folter, andere unmenschliche Handlungen, grausame Behandlung und Verletzung der persönlichen Würde. Im November 2024 erließ die Vorverfahrenskammer des Gerichtshofs einen Haftbefehl gegen Mohammed Deif. Die Kammer stellte das Verfahren gegen jeden der drei verdächtigen Palästinenser ein, nachdem bestätigt worden war, dass sie bei israelischen Militäroperationen getötet worden waren.

Inhaftierungen von Palästinenser*innen 

Seit Oktober 2023 haben die israelischen Behörden die Zahl der Inhaftierungen von Palästinenser*innen im gesamten besetzten palästinensischen Gebiet drastisch erhöht. Nach Angaben der Organisation Hamoked befanden sich mit Stand 1. September 2025 insgesamt 11.040 Palästinenser*innen im Gewahrsam der israelischen Behörden. Einige sind bereits seit Jahrzehnten inhaftiert. Mehr als die Hälfte – ca. 57% von ihnen – werden ohne Anklage oder Gerichtsverfahren entweder in Verwaltungshaft oder auf der Grundlage des Gesetzes über ungesetzliche Kombattanten, das gegen das Völkerrecht verstößt, in Israel festgehalten. Nach Angaben der Organisation Jerusalem Legal Aid and Human Rights Center (JLAC) werden die Leichen von mindestens 730 Palästinenser*innen von Israel als Verhandlungsmasse gehalten, einige davon seit Jahrzehnten.

Amnesty International fordert, dass Israel die Tausenden von Palästinenser*innen, die willkürlich festgehalten werden, unverzüglich freilässt, die Misshandlungen palästinensischer Gefangener, zu denen Folter, Hunger und sexualisierte Gewalt gehören, beendet und die seit langem bestehende illegale Praxis einstellt, palästinensische Leichen als Verhandlungsmasse festzuhalten.

„Es gibt keine Rechtfertigung für die Entführung von Menschen als Geiseln oder für eine lange willkürliche Inhaftierung von Personen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Die Welt darf sich nicht von der Menschlichkeit abwenden", sagt Agnès Callamard.

Situation im Gazastreifen

Die Militäroffensive, die Israel nach den Angriffen vom 7. Oktober 2023 startete, hat nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums im Gazastreifen mehr als 65.000 Menschen getötet, darunter über 18.000 Kinder, und mehr als 200.000 verletzt. Viele wurden bei direkten Angriffen auf die Zivilbevölkerung oder bei wahllosen Angriffen, die oft ganze Mehrgenerationenfamilien auslöschten, getötet oder verletzt. Zehntausende Palästinenser*innen im Gazastreifen sind nach wie vor unauffindbar; man vermutet ihre Leichen unter den Trümmern zerstörter Gebäude oder in Gebieten, die aufgrund israelischer Militäroperationen unzugänglich sind. Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) wurden 78 % aller Gebäude im Gazastreifen durch die israelischen Militäroperationen zerstört oder beschädigt.

Im November 2024 erließ die Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen des Kriegsverbrechens des Aushungerns von Zivilpersonen und der vorsätzlichen Leitung eines Angriffs gegen die Zivilbevölkerung sowie wegen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, des Mordes, der Verfolgung und anderer unmenschlicher Handlungen.

Im Dezember 2024 kam Amnesty International zu dem Schluss, dass Israel Völkermord an den Palästinenser*innen im Gazastreifen begeht, indem es sie tötet, ihnen schwere körperliche oder seelische Schäden zufügt und ihnen vorsätzlich Lebensbedingungen auferlegt, die auf ihre physische Zerstörung abzielen. Tausende von Palästinenserinnen aus dem Gazastreifen, zumeist Zivilpersonen, wurden während der israelischen Militäroperationen festgenommen und in Gefangenenlager und Gefängnisse innerhalb Israels gebracht.

Während ihrer Inhaftierung haben die israelischen Behörden sie systematisch gefoltert oder anderweitig misshandelt und ihnen den Zugang zu unabhängigen Beobachtern*innen und humanitären Organisationen verwehrt. Seit dem 7. Oktober 2023 sind nach Angaben der palästinensischen Gefangenenkommission mindestens 76 Palästinenser*innen in israelischem Gewahrsam gestorben. Man geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl der palästinensischen Todesopfer in Gewahrsam höher ist.

Die Anschläge vom 7. Oktober 2023 fanden vor dem Hintergrund der anhaltenden israelischen Besatzung der besetzten Gebiete und der weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen statt, die von den israelischen Streitkräften gegen die Palästinenser*innen begangen werden, einschließlich der Auferlegung eines Apartheidsystems gegen die Palästinenser*innen und der seit 2007 bestehenden illegalen Blockade des Gazastreifens.