Die Einwohner*innen von Tuvalu, einem Inselstaat im Pazifik, erleben bereits jetzt die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise. © Amnesty International
Die Einwohner*innen von Tuvalu, einem Inselstaat im Pazifik, erleben bereits jetzt die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise. © Amnesty International
presse

Aotearoa Neuseeland: Diskriminierendes Migrationssystem lässt von der Klimakrise betroffene Menschen im Pazifik im Stich

8. Oktober 2025

Von klimabezogenen Gefahren bedrohte Menschen von den Pazifikinseln Tuvalu und Kiribati sind von diskriminierenden Migrationspolitiken seitens der Behörden von Aotearoa* Neuseeland betroffen. Diese Migrationspolitiken reißen Familien auseinander und missachten die Rechte von Kindern, so Amnesty International in einem neuen Bericht, der heute, einen Monat vor der UN-Klimakonferenz (COP 30), veröffentlicht wurde.


Der Bericht „Navigating Injustice“ deckt auf, wie die auf einem Lotteriesystem basierenden Migrationsprogramme Aotearoa Neuseelands Menschen, die in von der Klimakrise betroffenen pazifischen Inselstaaten leben aufgrund ihres Alters, ihrer Behinderung und ihres Gesundheitszustands ausschließen. Damit verstoßen sie gegen internationale Menschenrechtsgesetze. Der Bericht beleuchtet zudem die Geschichten von Menschen aus dem Pazifikraum, denen kaum eine andere Wahl bleibt, als ihre Visa in Aotearoa Neuseeland zu „überziehen“ und die dadurch von Abschiebung bedroht sind.
 

Die Menschen im Pazifik werden doppelt bestraft – zuerst durch eine Klimakrise, die sie nicht verursacht haben, und dann durch diskriminierende Migrationssysteme, die ihre Rechte verletzen

Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International

Diskriminierende Migrationspolitiken 

In den letzten Jahren, in denen die Klimakrise die sozialen Ungleichheiten und wirtschaftlichen Schwierigkeiten im gesamten Pazifikraum verschärft hat, sahen viele Menschen in der Migration die beste Möglichkeit für sich. Für viele Tuvaluaner und I-Kiribati ist Aotearoa Neuseeland aufgrund der engen historischen und kulturellen Verbindungen zwischen den beiden Ländern das attraktivste Ziel.

Die Migrationsmöglichkeiten des Landes berücksichtigen jedoch nicht die Auswirkungen der Klimakrise und von Katastrophen. Dazu zählt auch das Pacific Access Category Resident Visa (PAC), das einer begrenzten Anzahl von Staatsangehörigen aus Kiribati, Tuvalu, Tonga und Fidschi eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung gewährt. 

Das PAC-Programm steht nur Personen zwischen 18 und 45 Jahren offen, die ein Stellenangebot vorweisen und nachweisen können, dass sie über einen „akzeptablen Gesundheitszustand“ verfügen. Damit sind alle Menschen ausgeschlossen, die eine Behinderung haben oder unter bestimmten Erkrankungen leiden, welche als Kostenfaktor für Aotearoa Neuseeland gesehen werden. 

Für viele Menschen in Tuvalu und Kiribati ist Bleiben oder Auswandern keine Frage der Wahl, sondern des Überlebens.

Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International

Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International sagt weiter: „Die Gemeinschaften der Pazifikinseln haben bei der Umsetzung von Anpassungs- und Schutzstrategien, die es den Menschen ermöglichen, in ihrer Heimat zu bleiben, eine außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit bewiesen. Aber die Regierung von Aotearoa Neuseeland muss mehr tun, um sie ohne Diskriminierung zu unterstützen.” 

Amnesty International traf mehrere Menschen mit Behinderungen und ihre Familien, die aufgrund der Visabestimmungen getrennt wurden. Alieta, eine Lehrerin und Mutter aus Tuvalu mit einer Sehbehinderung, musste ihren Namen aus dem PAC-Antrag ihrer Familie streichen, damit ihre sechsjährige Tochter und ihr Ehemann 2016 nach Aotearoa Neuseeland ausreisen konnten. Seitdem ist sie von ihnen getrennt.

Als die Flut kam, wurden die ganze Straße und das Haus überflutet ... deshalb möchte ich weg vom Meer ziehen.

Alieta, eine von der Klimakrise betroffene Bewohnerin der Pazifikinsel Tuvalu

Alieta erklärte, dass sie zugestimmt habe, dass ihre Tochter nach Neuseeland geht, weil sie sich ein besseres Leben für sie wünscht. Auch wenn es ihr sehr schwer falle, von ihr getrennt zu sein.  

„Anfangs war ich nicht wütend auf Neuseeland. Ich habe immer wieder um ein Visum gebeten ... Aber ich bin traurig wegen meiner Tochter. Ich wollte nicht von meiner Tochter getrennt werden. Das ist schwer für Kinder.“

Agnès Callamard sagt: „Es ist einfach inakzeptabel, dass ein Land mit hohen Emissionen wie Aotearoa Neuseeland behauptet, es könne Menschen offenbar aufgrund der Kosten, die sie verursachen könnten, nicht aufnehmen. Zumal bekannt ist, dass Menschen mit Behinderungen bei klimabedingten Extremwetterereignissen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.“ 

Verschlechterung der Lebensbedingungen in Tuvalu und Kiribati 

Tuvalu und Kiribati – durchschnittlich zwei Meter über dem Meeresspiegel gelegen – sind besonders stark von den Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs betroffen. Küstenerosion, Überschwemmungen und Dürren sowie Wasser- und Bodenverschmutzung sowie Versalzung schränken die Verfügbarkeit von Trinkwasser und Land für den Anbau von Nahrungsmitteln und den Bau von Häusern dramatisch ein. Dies hat besonders schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, insbesondere auf ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen.

Aleki, die mit ihrem Mann, ihren vier Kindern und der Familie ihrer Schwester in Funafuti, der Hauptstadt von Tuvalu, lebt, berichtete Amnesty International, dass die Beschaffung von sauberem Trinkwasser zu einer Herausforderung geworden ist: „Wir nehmen Kübel mit und holen jeden Tag gefiltertes Trinkwasser aus dem Regierungsgebäude.“ 

Die Verschmutzung des Bodens durch Salzwasser ist in Kiribati ein sehr großes Problem. Dadurch wird der Boden für den Anbau der meisten Nutzpflanzen unbrauchbar. Die Insel ist mittlerweile fast vollständig von importierten Lebensmitteln abhängig, die oft nur in begrenzter Auswahl erhältlich und unerschwinglich teuer sind. 

Eine 56-jährige Frau aus Kiribati berichtete Amnesty International: „In Kiribati findet man kaum gutes Essen. Es gibt nur Reis und Konserven. Gemüse oder ähnliches gibt es nicht. Wir bauen unsere Lebensmittel nicht selbst an. Hitzewellen, Dürren und Springfluten haben alle Pflanzen zerstört.“

Amnesty International fordert Aotearoa Neuseeland auf, seine Einwanderungspolitik dringend zu reformieren und sie an einem rechtsbasierten Vorgehen in Bezug auf klimabedingte Vertreibung auszurichten

Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International

Risiko, aus Aotearoa Neuseeland abgeschoben zu werden 

Auch für Menschen, die es schaffen, nach Aotearoa Neuseeland zu gelangen, ist die Lage prekär. Viele geraten nach Ablauf ihres Visums in einen irregulären Status. Da sie keinen Zugang zu entsprechenden Schutzmechanismen haben, leben sie in ständiger Angst vor Abschiebung und können keine öffentlichen Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung in Anspruch nehmen. 

Nach den internationalen Menschenrechtsbestimmungen hat jeder Mensch das Recht, vor einer zwangsweisen Abschiebung an einen Ort geschützt zu werden, an dem er einem realen Risiko schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Dazu zählen Verletzungen aufgrund der Klimakrise und von Katastrophen.

„Amnesty International fordert Aotearoa Neuseeland auf, seine Einwanderungspolitik dringend zu reformieren und sie an einem rechtsbasierten Vorgehen in Bezug auf klimabedingte Vertreibung auszurichten. Dabei muss die Regierung Maßnahmen entwickeln und umsetzen, die mit dem Vertrag von Waitangi und den Rechten indigener Völker im Einklang stehen“, sagt Agnès Callamard. 

Dazu gehört die Vergabe spezieller humanitärer Visa vorrangig an Personen, die die bestehenden Einwanderungsvoraussetzungen nicht erfüllen können. Die Rechte von Migrant*innen, einschließlich des Rechts auf Familienzusammenführung, müssen gewährleistet werden. Außerdem sind spezielle Schutzmechanismen gegen Abschiebung erforderlich, darunter die Aussetzung von Abschiebungen für Staatsangehörige von Tuvalu und Kiribati.

„Aotearoa Neuseeland – und die internationale Gemeinschaft insgesamt – müssen jetzt handeln, um die Rechte und die Würde der Menschen im Pazifik angesichts der Klimakrise sowohl in ihrer Heimat als auch in ihren Zielländern zu schützen, zu achten und zu fördern. Alles andere wäre ein Verrat an unserer gemeinsamen Verantwortung, die Menschenrechte zu wahren und Klimagerechtigkeit zu gewährleisten. Der Pazifik schlägt Alarm. Wenn die Welt hier nicht handelt, wird sie überall versagen “, sagt Agnès Callamard. 

Maßnahmen gegen die Klimakrise und gegen Vertreibung sind keine politischen Entscheidungen mehr, sondern eine rechtliche Verpflichtung.

Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International

*Aotearoa ist der Māori-Name für Neuseeland.