
Amnesty schlägt mit neuem Gaza-Bericht Alarm: Israels tödliche Blockade geht weiter
27. November 2025Amnesty International veröffentlicht heute neue Erkenntnisse zur humanitären Lage im besetzten Gazastreifen. Israels fortgesetzter Genozid an Palästinenser*innen wird in neuem Bericht anhand von rechtlicher Analyse, Zeug*innen-Aussagen von Anwohner*innen, medizinischem Personal und humanitären Helfer*innen dokumentiert.
Zusammenfassung
- Anhaltende Gewalt mit mindestens 327 getöteten Menschen, darunter 136 Kinder durch Angriffe des israelischen Militärs
- Israel schränkt die Lieferung von Waren und die Wiederherstellung von Dienstleistungen, die für das Überleben der Palästinenser*innen unabdingbar sind, weiterhin enorm ein. Das umfasst nährstoffreiche Nahrung, medizinische Versorgung und Strom. Medizinische notwendige Evakuierungen werden streng einschränkt.
- Systematische Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung in kaum lebensfähige Gebiete während Israel 54-58 Prozent des Gazastreifens militärisch kontrolliert.
- Keine öffentlich bekannten Untersuchungen oder Strafverfolgungen für Völkermordhandlungen Israels.
- Israel gewährt forensischen Expert*innen und internationale Ermittler*innen weiterhin keinen Zugang zum Gazastreifen.
Eine vermeintliche Waffenruhe ist wertlos, wenn Menschen täglich sterben in Gaza. Schwer zu fassen, dass Israel weiter das Völkerrecht bricht und die Welt dabei zusieht. Es braucht Konsequenzen und ein Ende des Genozids in Gaza. Die österreichische Regierung muss endlich eingreifen. Österreich muss dafür sorgen, dass das Assoziierungsabkommen mit Israel ausgesetzt wird und der Handel mit den illegalen Siedlungen ein Ende hat.
Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Die Realität nach dem Waffenstillstand
„Die internationale Staatengemeinschaft unterliegt der gefährlichen Illusion, dass sich das Leben im Gazastreifen seit dem brüchigen Waffenstillstand normalisiert hätte. Aber während die israelischen Behörden und Streitkräfte das Ausmaß ihrer Angriffe reduziert und begrenzte Mengen an humanitärer Hilfe in den Gazastreifen erlaubt haben, darf sich die Welt nicht täuschen lassen. Israels Völkermord ist nicht vorbei “, sagt Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.
Im Dezember 2024 veröffentlichte Amnesty International einen umfangreichen Bericht, der zu dem Schluss kam, dass Israel im Gazastreifen einen Völkermord begeht. Demnach hat Israel drei nach der Völkermordkonvention verbotene Handlungen begangen, mit der spezifischen Absicht, die Palästinenser*innen in Gaza zu zerstören. Trotz einer Verringerung des Ausmaßes der Angriffe und einiger begrenzter Verbesserungen unterwirft Israel die Palästinenser*innen weiterhin Lebensbedingungen, die auf ihre körperliche Zerstörung abzielen. Israel begeht damit weiterhin eine nach der Völkermordkonvention verbotene Handlung und es gibt keine Hinweise darauf, dass sich Israels Zerstörungsabsicht geändert hätte.
„Israel hat den Palästinenser*innen in Gaza durch seinen Völkermord verheerenden Schaden zugefügt, darunter zwei Jahre unerbittlicher Bombardierung und vorsätzlicher systematischer Hungersnot. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass Israel ernsthafte Maßnahmen ergreift, um die tödlichen Auswirkungen seiner Verbrechen umzukehren, und es gibt keine Hinweise darauf, dass sich seine Absicht geändert hat. Tatsächlich setzen die israelischen Behörden ihre rücksichtslose Politik fort, indem sie den Zugang zu lebenswichtiger humanitärer Hilfe und grundlegenden Dienstleistungen einschränken und damit absichtlich Bedingungen auferlegen, die darauf abzielen, die Palästinenser*innen im Gazastreifen physisch zu zerstören“, sagt Agnès Callamard.
Mindestens 327 Menschen, darunter 136 Kinder, wurden bei israelischen Angriffen getötet, seit der Waffenstillstand am 9. Oktober verkündet wurde. Israel schränkt weiterhin den Zugang zu lebenswichtigen Hilfsgütern und Hilfslieferungen ein, darunter medizinische Güter und Ausrüstung, die für die Instandsetzung lebenswichtiger Infrastruktur erforderlich sind. Damit verstößt Israel in dem von Südafrika angestrengten Verfahren zur Verhinderung des Völkermords durch Israel gegen mehrere Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH), wonach Israel den Palästinenser*innen Zugang zu humanitären Hilfsgütern gewähren muss.
Einschätzung des Internationalen Gerichtshofs
Bereits im Jänner 2024 stellte der IGH fest, dass die Rechte der Palästinenser*innen nach der Völkermordkonvention, nämlich ihr Überleben, plausibel gefährdet waren. Die objektive Wahrscheinlichkeit, dass die derzeitigen Lebensbedingungen zur Zerstörung der Palästinenser*innen in Gaza führen würden, besteht nach wie vor, insbesondere angesichts der erhöhten Anfälligkeit der Bevölkerung für Krankheiten und der Ausbreitung von Krankheiten nach Monaten der Hungersnot, die durch die jahrelange rechtswidrige Blockade und die monatelange totale Belagerung zu Beginn dieses Jahres verursacht wurde. Dies hat Umstände geschaffen, die zu einem langsamen Tod der Palästinenser*innen führen würden, was auf den Mangel an angemessener Nahrung, Wasser, Unterkunft, Kleidung und sanitären Einrichtungen zurückzuführen ist. Während es einige sehr begrenzte Verbesserungen gab, schränkt Israel weiterhin den Zugang zu Lieferungen und die Wiederherstellung von Dienstleistungen, die für das Überleben der Zivilbevölkerung unerlässlich sind, stark ein. Dies geschieht unter anderem durch die Blockade des Zugangs zu Ausrüstung und Material, die für die Reparatur lebenserhaltender Infrastrukturen und zur Entfernung von nicht explodierten Kampfmitteln, kontaminiertem Schutt und Abwasser erforderlich sind. Dies stellt ernsthafte und potenziell irreversible Risiken für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt dar.
Israel blockiert weiterhin Hilfe und Hilfsgüter
Israel schränkt auch die Verteilung von Hilfe ein, unter anderem indem es bestimmt, welche Organisationen im Gazastreifen Hilfe leisten dürfen. Die bloße Erhöhung der Zahl der Lastwagen, die in den Gazastreifen einfahren, reicht nicht aus. Laut OCHA (Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten) nehmen Haushalte jetzt zwei Mahlzeiten pro Tag zu sich (im Vergleich zu einer täglichen Mahlzeit im Juli). Trotzdem bleibt die Ernährungsvielfalt gering, da der Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln wie Gemüse, Obst und Eiweiß für viele Familien immer noch unerreichbar ist. Produkte wie Eier und Fleisch sind kaum zu finden oder für viele unerschwinglich. Israels systematische Vertreibung von Palästinenser*innen aus fruchtbarem Land hat sich unvermindert fortgesetzt, wobei das israelische Militär derzeit in etwa 54-58 Prozent des Gazastreifens stationiert ist. Israel hat nicht aufgehört, den Zugang der Palästinenser*innen zum Meer einzuschränken. Es hat zudem keine Maßnahmen ergriffen, um den Auswirkungen der umfangreichen Zerstörung von Ackerland und Vieh in den letzten zwei Jahren entgegenzuwirken. Insgesamt bedeutet das, dass Palästinenser*innen keinen unabhängigen Zugang mehr zu grundlegenden Lebensmitteln und anderen Formen der Versorgung haben.
„Die Palästinenser*innen halten sich in weniger als der Hälfte des Territoriums des Gazastreifens in den Gebieten auf, die am wenigsten lebensfähig sind. Die humanitäre Hilfe ist immer noch stark eingeschränkt. Auch heute noch, selbst nach wiederholten Warnungen durch internationale Gremien, drei rechtsverbindlichen Anordnungen des IGH und zwei Gutachten des IGH, und trotz der Verpflichtungen Israels nach dem humanitären Völkerrecht und den internationalen Menschenrechtsnormen, sowohl als Besatzungsmacht als auch als Partei eines bewaffneten Konflikts, stellt Israel absichtlich keine notwendigen Lieferungen zur Verfügung oder lässt sie nicht zu, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu erreichen“, sagt Agnès Callamard.
Darüber hinaus haben die israelischen Behörden es verabsäumt, mutmaßliche Verantwortliche für den Völkermord zu ermitteln, strafrechtlich zu verfolgen oder Beamt*innen zur Rechenschaft zu ziehen, die diesbezügliche Erklärungen abgegeben haben. Selbst der Waffenstillstand ist auf internationalen Druck, auch seitens der Vereinigten Staaten, und nicht auf eine explizite Änderung der Haltung Israels zurückzuführen.
„Israel muss seine unmenschliche Blockade aufheben und den ungehinderten Zugang zu Nahrungsmitteln, Medikamenten, Treibstoff, Wiederaufbau- und Reparaturmaterialien gewährleisten. Israel muss auch konzertierte Anstrengungen unternehmen, um kritische Infrastrukturen zu reparieren, wesentliche Dienstleistungen wiederherzustellen, den Vertriebenen eine angemessene Unterkunft zu bieten und sicherzustellen, dass sie in ihre Häuser zurückkehren können “, sagt Agnès Callamard.
Druck auf Israel muss steigen statt nachzulassen
In den letzten Wochen haben sich die Anzeichen gemehrt, dass die internationale Gemeinschaft den Druck auf Israel verringert, seine Verstöße zu beenden. Die kürzlich verabschiedete UN-Resolution zur Zukunft des Gazastreifens enthält keine klaren Verpflichtungen zur Wahrung der Menschenrechte oder zur Gewährleistung der Rechenschaftspflicht für Gräueltaten. Zuletzt berief sich die deutsche Bundesregierung auf den Waffenstillstand, als sie die Wiederaufnahme bestimmter Waffenlieferungen an Israel ab dem 24. November bekannt gab. Eine geplante Abstimmung über die Aussetzung des Handelsabkommens zwischen der EU und Israel wurde ebenfalls gestoppt.
„Jetzt ist nicht die Zeit, den Druck auf die israelischen Behörden zu verringern. Die Staats- und Regierungschefs der Welt müssen zeigen, dass sie sich wirklich dafür einsetzen, ihrer Pflicht nachzukommen, Völkermord zu verhindern und die Straflosigkeit zu beenden, die jahrzehntelange israelische Verbrechen im gesamten besetzten palästinensischen Gebiet ermöglicht haben. Sie müssen alle Waffentransfers nach Israel einstellen, bis Israels völkerrechtliche Verbrechen aufhören. Sie müssen die israelischen Behörden dazu drängen, Menschenrechtsbeobachter*innen und Journalist*innen Zugang zu Gaza zu gewähren, um eine transparente Berichterstattung über die Auswirkungen der israelischen Maßnahmen auf die Bedingungen in Gaza zu gewährleisten“, so Agnès Callamard.
„Israelische Beamt*innen, die für die Orchestrierung, Überwachung und materielle Begehung von Völkermord verantwortlich sind, bleiben an der Macht. Solange sie oder ihre Regierung nicht zeigen, dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wirkt das wie ein Freibrief den Genozid fortzusetzen und weitere Menschenrechtsverletzungen im Gazastreifen und in der Westbank, einschließlich Ost-Jerusalem zu begehen. Der Waffenstillstand darf nicht zum Deckmantel für Israels anhaltenden Völkermord werden. Israels Verhaltensmuster im Gazastreifen, einschließlich der absichtlichen, rechtswidrigen Verweigerung lebensrettender Hilfe für Palästinenser*innen, von denen viele verletzt, unterernährt und von schweren Krankheiten bedroht sind, bedroht weiterhin ihr Überleben. Die internationale Gemeinschaft kann es sich nicht leisten, selbstgefällig zu sein: Die Staaten müssen den Druck auf Israel aufrechterhalten, um einen uneingeschränkten Zugang zu humanitärer Hilfe zu ermöglichen, die rechtswidrige Blockade aufzuheben und den anhaltenden Völkermord zu beenden. Unternehmen müssen sofort alle Aktivitäten einstellen, die zum Völkermord an Israel beitragen oder direkt damit verbunden sind“, betont Agnès Callamard.




