Anlässlich der Prozesseröffnung gegen den Sicherheitsberater Julian Hessenthaler, der maßgeblich an der Produktion des Ibiza-Videos beteiligt war, zeigen sich 15 österreichische und internationale Menschenrechtsorganisationen besorgt darüber, dass dessen ausufernde Strafverfolgung – ganz bewusst – einen abschreckenden Effekt auf zukünftige Aufdecker*innen und die Ausübung der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit in Österreich haben könnte. Julian H. sitzt seit Ende 2020 in Auslieferungs- bzw. Untersuchungshaft, da ihm Drogen- und Urkundendelikte vorgeworfen werden. Expert*innen u.a. von epicenter.works sowie der renommierte Menschenrechtsprofessor Manfred Nowak haben den Fall analysiert und äußern erhebliche Bedenken, dass die Ermittlungen auf teils konstruierten Vorwürfen basieren, die dazu genutzt wurden, den Aufdecker zu diskreditieren und seiner Person habhaft zu werden.
„Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist ein hohes Gut und bildet den Grundstein für jede freie und demokratische Gesellschaft. Sie schützt sowohl das Empfangen von Informationen und Ideen, als auch deren Weitergabe“, betont Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich. Und weiter: „Die Aufnahmen des so genannten Ibiza-Videos zeigen eine sehr bedenkliche Einstellung des ehemaligen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache gegenüber der Pressefreiheit, dem Rechtsstaat und Korruption. Die Veröffentlichung des Videos, die durch Julian Hessenthaler ermöglicht wurde, führte zu einer Debatte von öffentlichem Interesse und ermöglichte der Allgemeinheit, sich ein Bild über die Eignung von Herrn Strache zur Ausübung politischer Ämter zu machen.“ Thomas Lohninger, Geschäftsführer von epicenter.works betont: „Die Weitergabe und Veröffentlichung des Videos waren von der Meinungs- und Informationsfreiheit geschützt – dies wurde sowohl von der österreichischen als auch der deutschen Justiz bereits festgestellt. Es drängt sich daher stark der Eindruck auf, dass die österreichischen Behörden nun andere strafrechtlichen Vorwürfe heranziehen bzw. in ausufernder Weise verfolgen, um Julian Hessenthaler mundtot zu machen. Anscheinend soll damit auch ein Exempel statuiert werden, das zukünftig potenzielle Informant*innen abschreckt, ihre Meinung frei zu äußern.“
Verfolgung in und durch ganz Europa
Die Strafverfolgung von Julian Hessenthaler liest sich ein wenig wie ein dramatischer Krimi: Ausgehend von dem Vorwurf der versuchten Erpressung von HC Strache und Johann Gudenus im Zusammenhang mit dem Ibiza-Video wurde Julian Hessenthaler über mehrere Monate in verschiedenen EU-Ländern gesucht. Obwohl der ursprüngliche Tatvorwurf letztendlich gar nicht zu einer Anklage führte, wurde darauf basierend seine Festnahme angeordnet, ein europäischer Haftbefehl erlassen und Julian Hessenthaler quer durch Europa verfolgt.