Internetsperren umgehen
Shutdowns sind in jenen Ländern einfacher umsetzbar, wo Regierungen national isolierbare Internetstrukturen aufbauen, etwa unter dem begrifflichen Deckmantel der "Cyber-Souveränität". Chinas "Great Firewall" sperrt Tausende Webseiten, darunter Facebook, Twitter oder die Seiten von Amnesty International. Der Iran verfügt über nur zwei "Gateways" – technische Tore ins globale Netz, die die Regierung leicht kontrollieren kann, ähnlich einer Burgbrücke, die bei Bedarf hochgezogen wird. Je vielfältiger hingegen die technische Infrastruktur und je aktiver eine informierte Zivilgesellschaft ist, desto schwerer ist es, das Netz lahmzulegen.
Anonymisierungs- und Verschlüsselungswerkzeuge ermöglichen es, manche Sperren zu umgehen. Dazu gehören VPN-Netzwerke, die daher in Ländern wie China und Russland kriminalisiert werden, und der Tor-Browser. Weltweit nutzen ihn Medien, Menschenrechtsverteidiger*innen und Bürger*innen, um Zensur und Überwachung zu entgehen. Dabei sind sie davon abhängig, dass die globale technische Infrastruktur des Tor-Netzwerkes von Menschen weltweit zur Verfügung gestellt wird.
Die meisten Tor-Unterstützer*innen aller Länder hat Deutschland. Bei der notwendigen Bekämpfung von Kriminalität im Internet, darunter im durch den Tor-Browser erreichbaren sogenannten Darknet, müssen diese internationalen Zusammenhänge berücksichtigt werden. Gut also, dass das Bundesinnenministerium die von ihm vorgeschlagene Verschärfung des Strafrechts-Paragrafen 126a ("Darknet-Paragraph") zurückgezogen hat. Sie hätte Personen kriminalisieren können, die Werkzeuge wie Tor bereitstellen. Im globalen Netz können scheinbar nationale Vorhaben schnell internationale Folgen haben. Die negativen Auswirkungen träfen dann Menschen weltweit.
Dieser Artikel ist zuerst als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau erschienen.
Text: Lena Rohrbach, Amnesty-Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter, Wirtschaft und Rüstungsexportkontrolle
Bild: Protest gegen Internetsperren in Myanmar