Wahllose Angriffe, auch auf Wohngebiete
Während des 34-tägigen Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 gab es 1100 Todesopfer im Libanon und 43 in Israel. Die damaligen Untersuchungen von Amnesty International ergaben, dass die israelischen Streitkräfte während des Konflikts in großem Umfang wahllose und unverhältnismäßige Angriffe durchführten, bei denen auch die zivile Infrastruktur massiv zerstört wurde. Außerdem wurde festgestellt, dass die Hisbollah direkte und wahllose Angriffe auf Zivilpersonen durchführte und offenbar nicht die notwendigen Vorkehrungen traf, um Zivilist*innen im Libanon vor den Auswirkungen israelischer Angriffe zu schützen.
Viele der in den letzten Tagen von israelischen Angriffen betroffenen Gebiete waren belebte Wohngebiete, wie aus von Amnesty International ausgewerteten Videos hervorgeht. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministers gerieten auch medizinische Einrichtungen und medizinisches Personal unter Beschuss, wobei vier Ärzt*innen getötet und mindestens 16 weitere verletzt wurden.
Die Einhaltung des humanitären Völkerrechts setzt voraus, dass nur militärische Ziele angegriffen werden. Wahllose Angriffe, unverhältnismäßige Angriffe und direkte Angriffe auf Zivilist*innen und zivile Objekte müssen vermieden werden und alle möglichen Vorkehrungen müssen getroffen werden, um den Schaden für die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur zu minimieren. Wenn Explosivwaffen mit großflächiger Wirkung in der Nähe von dicht besiedelten Wohngebieten eingesetzt werden, stellt das aller Wahrscheinlichkeit nach einen Verstoß gegen das Verbot wahlloser Angriffe dar.
„Am 25. September gab der israelische Armeesprecher eine öffentliche Warnung in arabischer Sprache heraus, in der er den Menschen riet, ‘bis auf weiteres’ nicht in ihre Häuser zurückzukehren. Er erklärte, dass ‘die Luftangriffe andauern’. Solche Warnungen entbinden Israel nicht von seiner Verantwortung nach dem humanitären Völkerrecht, zwischen militärischen Zielen und Zivilist*innen zu unterscheiden und alle erdenklichen Vorkehrungen zu treffen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung zu minimieren. Nach dem Völkerrecht muss eine Warnung sicherstellen, dass ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Dennoch machen Evakuierungsaufrufe die betroffenen Gebiete nicht zu Freischusszonen“, sagt Erika Guevara Rosas. „Die israelischen Behörden, die Hisbollah und andere bewaffnete Gruppen müssen erkennen, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts unter allen Umständen gelten, unabhängig vom Grund des Konflikts. Nichts kann die unrechtmäßige Tötung und Verletzung von Zivilist*innen entschuldigen.“
Verschärfungen seit dem 7. Oktober 2023
Die israelische Operation „Northern Arrows“ begann am 23. September 2024. Am ersten Tag führten die israelischen Streitkräfte mindestens 1600 Angriffe in Gebieten im gesamten Libanon durch. Außerdem feuerte die Hisbollah mehr als 200 Raketen auf Israel ab.
Die Hisbollah und Israel befinden sich in andauernden grenzüberschreitenden Feindseligkeiten. Die Hisbollah startete nach dem Beginn der israelischen Offensive im besetzten Gazastreifen in Folge des grausamen Angriffs der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen am 7. Oktober 2023 Angriffe auf den Norden Israels. Zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 10. September 2024 wurden bei den israelischen Angriffen auf den Südlibanon und die Bekaa-Region nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums und der Vereinten Nationen mindestens 137 Zivilist*innen getötet. Hunderttausende sind aufgrund der anhaltenden Feindseligkeiten aus dem Südlibanon, der Bekaa und anderen Gebieten vertrieben worden, die meisten von ihnen auf der Flucht vor den jüngsten Angriffen.
Im gleichen Zeitraum haben die Hisbollah und andere bewaffnete Gruppen Geschosse auf Nordisrael abgefeuert und nach Angaben der israelischen Behörden mindestens 14 Zivilist*innen in Israel getötet.
Am 27. Juli 2024 wurden bei einem Angriff auf Majdal Shams auf den besetzten Golanhöhen 12 Zivilist*innen, alles Kinder, getötet.
Seit dem 8. Oktober 2023 wurden rund 63.000 Bewohner*innen aus dem Norden Israels evakuiert.