Bilder von den Folgen der Bombardierungen in Teheran (links) und Israel (rechts) © Reuters
Bilder von den Folgen der Bombardierungen in Teheran (links) und Israel (rechts) © Reuters
news

Schutz der Zivilbevölkerung muss bei der Eskalation zwischen Israel und Iran Priorität haben

20. Juni 2025

Immer mehr Zivilist*innen müssen den grausamen Tribut der Militärschläge im Iran und in Israel seit dem 13. Juni 2025 zahlen. Und während eine weitere Eskalation des Konflikts droht, fordert Amnesty International die israelischen und iranischen Behörden eindringlich auf, ihren Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht zum Schutz der Zivilbevölkerung nachzukommen.

Am 13. Juni 2025 starteten die israelischen Behörden Luft- und Drohnenangriffe auf iranisches Staatgebiet. Kurz darauf gaben israelische Regierungsvertreter bekannt, dass sie die Operation eingeleitet haben, um die iranischen Nuklear- und ballistischen Raketenfähigkeiten zu zerstören und die iranische Militärführung zu entmachten. Die israelischen Angriffe begannen, als der Iran und die USA im Begriff waren, ein neues Abkommen auszuhandeln, um das iranische Atomprogramm und die Anreicherungsaktivitäten im Gegenzug für Sanktionserleichterungen zu begrenzen.

Die iranischen Behörden haben als Vergeltung Hunderte von Raketen und Drohnen auf israelisches Gebiet abgefeuert.

Hunderte Tote, Zivilbevölkerung muss geschützt werden

Ein iranischer Regierungssprecher teilte mit, dass bei den israelischen Angriffen (Stand: 18.6.25) mindestens 224 Menschen getötet worden seien, darunter 74 Frauen und Kinder. Er gab jedoch nicht an, wie viele von ihnen Zivilpersonen waren. Das iranische Gesundheitsministerium erklärte außerdem, dass 1.800 Menschen verletzt worden seien.

In Israel meldete die Israelische Militärische Heimatfront, eines der vier Regionalkommandos der israelischen Streitkräfte, dass bei iranischen Angriffen mindestens 24 Menschen, darunter Frauen und Kinder, getötet wurden, wobei es sich ausschließlich um Zivilpersonen gehandelt habe, und dass es fast 600 Verletzte gab.

„Da die Zahl der Toten und Verletzten weiter steigt, fordert Amnesty International beide Konfliktparteien auf, ihren Verpflichtungen nachzukommen und sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung in beiden Ländern nicht weiterhin den Preis für rücksichtslose Militäraktionen zahlt“, sagte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International. 

„Eine weitere Eskalation der Feindseligkeiten könnte verheerende und weitreichende Folgen für die Zivilbevölkerung in der Region und darüber hinaus haben.“

Anstatt die eine oder die andere Konfliktpartei für militärische Erfolge zu bejubeln, als ob das Leiden der Zivilbevölkerung nur ein Nebenschauplatz wäre, müssen die Staaten den Schutz der Zivilbevölkerung sicherstellen. Die Verhinderung von weiterem Leid muss im Vordergrund stehen – nicht die Verfolgung militärischer oder geopolitischer Ziele.

Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International

Auf der Grundlage des humanitären Völkerrechts müssen alle Parteien jegliche Vorkehrungen treffen, um die Zivilbevölkerung zu schonen und ihre Leiden und Verluste so gering wie möglich zu halten. Das humanitäre Völkerrecht verbietet Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte sowie Angriffe, bei denen nicht zwischen militärischen Zielen und Zivilpersonen oder ziviler Infrastruktur unterschieden wird.

Aus diesem Grund sollten Waffen, die extrem ungenau sind, große Sprengköpfe haben und eine großflächige Wirkung haben, wie z. B. ballistische Raketen, niemals in Gebieten eingesetzt werden, in denen viele Zivilpersonen leben. Angriffe auf militärische Ziele, die wahrscheinlich zu unverhältnismäßigen Opfern unter der Zivilbevölkerung oder zur Zerstörung von zivilen Objekten führen, sind ebenfalls verboten.

Unzureichende und Angst einflößende „Warnungen“

In den vergangenen Tagen haben israelische Regierungsvertreter, darunter Premierminister Benjamin Netanjahu, Verteidigungsminister Israel Katz und der Sprecher der israelischen Armee Kamal Pinchasi alarmierende Drohungen und überzogene, unwirksame Evakuierungswarnungen an Millionen von Zivilpersonen in Teheran ausgegeben. In Teheran selbst leben 10 Millionen Menschen, in der gesamten Provinz Teheran rund 19 Millionen. In einigen Fällen wurden die Warnungen mitten in der Nacht gesendet, als die Bewohner*innen schliefen, oder es wurde nicht klargestellt, ob sie sich auf die Stadt oder die Provinz Teheran bezogen.

Am 16. Juni drohte der israelische Verteidigungsminister Israel Katz auf X dass „die Bewohner*innen Teherans gezwungen sein werden, den Preis“ für die Aktionen der iranischen Behörden zu zahlen. Stunden später warnte der Sprecher des israelischen Militärs in persischer Sprache die Zivilbevölkerung in einem Video, den dritten Bezirk von Teheran zu evakuieren – ein Gebiet von etwa 30 Quadratkilometern, in dem über 350.000 Menschen leben. Er verwendete dabei ein Video, das unklare Gefahrenzonen zeigt.

Evakuierungswarnungen, selbst wenn sie ausführlich und wirksam sind, entbinden Israel nicht von seinen anderen Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht. Das israelische Militär darf Gebiete, für die eine Warnung ausgesprochen wurde, nicht als Zonen ansehen, in denen sich keine Zivilpersonen mehr aufhalten. Millionen von Menschen in Teheran können die Stadt nicht verlassen, entweder weil sie keine alternativen Wohnorte außerhalb der Stadt haben oder aufgrund eingeschränkter Mobilität, Behinderungen, blockierter Straßen, Treibstoffmangel oder anderer Einschränkungen. Israel ist verpflichtet, alle erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um den Schaden für diese Zivilpersonen zu minimieren.

Den Parteien eines bewaffneten Konflikts ist es untersagt, Gewaltandrohungen auszusprechen, die darauf abzielen, Terror unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten. Sie können sich nicht hinter allzu allgemeinen Warnungen verstecken und behaupten, dass sie damit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen sind. Um eine wirksame Warnung im Sinne des humanitären Völkerrechts darzustellen, müssen die Parteien der Zivilbevölkerung klare und praktische Anweisungen geben, wie sie sich von den anvisierten militärischen Zielen entfernen können, anstatt rechtswidrig zur Massenflucht von Millionen Menschen aufzurufen.

Internetabschaltungen und Medienzensur

Im Iran haben die Behörden den Zugang zum Internet und zu Messenger-Diensten unterbrochen und damit Millionen von Menschen, die von dem Konflikt betroffen sind, daran gehindert, auf wichtige Informationen zuzugreifen und mit ihren Angehörigen innerhalb und außerhalb des Landes zu kommunizieren, was ihr Leiden noch verschlimmert.

Der Zugang zum Internet ist für den Schutz der Menschenrechte unerlässlich, insbesondere in Zeiten bewaffneter Konflikte, in denen Kommunikationsausfälle die Menschen daran hindern, sichere Wege zu finden, auf lebensrettende Ressourcen zuzugreifen und sich zu informieren. Die iranischen Behörden müssen unverzüglich die vollständige Wiederherstellung der Internet- und Kommunikationsdienste im gesamten Iran sicherstellen.

Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International

Genozid in Gaza: Gegen das Schweigen und für die Opfer

Jetzt spenden!