Dass die griechischen Behörden noch immer nicht für die Wahrung der Rechenschaftspflicht für gewaltsame und rechtswidrige Pushbacks an den Grenzen des Landes sorgen, lässt Bedenken hinsichtlich ihrer Fähigkeit und Bereitschaft zur Durchführung unabhängiger und zielführender Untersuchungen aufkommen.
Griechische Behörden unter Druck
Es sollte Lehren gezogen werden aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall des Schiffbruchs der „Farmakonisi“ im Jahr 2014. Damals hatten Überlebende ausgesagt, ihr Boot sei gekentert, weil die griechische Küstenwache mit gefährlichen Manövern versucht habe, sie in türkische Gewässer zu schleppen. Der Gerichtshof verurteilte Griechenland wegen des Fehlverhaltens der Behörden bei der Durchführung der Rettungsoperation sowie wegen Mängeln bei der anschließenden Untersuchung des Vorfalls, unter anderem wegen der Art und Weise, wie mit den Aussagen der Opfer verfahren wurde.
Angesichts der Schwere und internationalen Tragweite der Tragödie von Pylos sollten sich die griechischen Behörden als zusätzliche Garantie für Unabhängigkeit, Wirksamkeit und Transparenz bei der Durchführung nationaler Ermittlungen um internationale und/oder europäische Unterstützung und Zusammenarbeit bemühen.
Eine umfassende und glaubwürdige Untersuchung des Schiffbruchs sollte darauf abzielen, alle Verantwortlichkeiten für den Untergang des Schiffes sowie für Verzögerungen oder Fehler bei den Rettungsmaßnahmen, die zu dem schrecklichen Verlust von Menschenleben beigetragen haben könnten, zu klären. Die Untersuchung sollte die Erfassung von Zeugenaussagen aller Überlebenden unter Bedingungen beinhalten, die deren Vertrauen und Sicherheit gewährleisten.
Alle forensischen Beweise, wie zum Beispiel Nachrichten, Videos und Fotos, müssen gesammelt, ausgewertet und gesichert werden, um Prozesse zur Gewährleistung der Rechenschaftspflicht zu vereinfachen. Wird Überlebenden zu Ermittlungszwecken Eigentum wie ihr Mobiltelefon abgenommen, muss dies entsprechend protokolliert und das Eigentum innerhalb eines angemessenen Zeitraums zurückgegeben werden.
Alle, die an dem Vorfall beteiligt waren oder Kenntnis davon hatten, darunter die griechische Küstenwache, die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, die Kapitäne und Besatzungen der beiden Handelsschiffe sowie andere Personen, die nach dem Schiffbruch an der Rettungsaktion beteiligt waren, müssen bei den Ermittlungen umfassend und umgehend kooperieren.
Parallel zu den Ermittlungen auf nationaler Ebene hat die europäische Ombudsfrau angekündigt, eine Untersuchung zur Rolle von Frontex bei Such- und Rettungsaktivitäten (SAR) im Mittelmeer einzuleiten, zu denen auch der Schiffbruch der Adriana gehört. Dies wirft auch wichtige Fragen zu den Vorgehensweisen und Vorgaben der Grenzschutzagentur im Zusammenhang mit SAR-Einsätzen auf und darüber, welche Maßnahmen sie ergriffen hat, um ihren Verpflichtungen zur Wahrung der Grundrechte und EU-Gesetze bei diesem und anderen Schiffsunglücken nachzukommen.
Amnesty International und Human Rights Watch setzen ihre Untersuchung des Schiffbruchs von Pylos fort und fordern Gerechtigkeit für alle Geschädigten.