Fernanda Doz Costa, Menschenrechtsanwältin aus Argentinien und Direktorin für Geschlechtergerechtigkeit, Racial Justice und die Rechte geflüchteter Menschen bei Amnesty International © Amnesty International / Matias Minahk
Fernanda Doz Costa, Menschenrechtsanwältin aus Argentinien und Direktorin für Geschlechtergerechtigkeit, Racial Justice und die Rechte geflüchteter Menschen bei Amnesty International © Amnesty International / Matias Minahk
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Recht auf sicheren Schwangerschaftsabbruch: „Stigma führt dazu, dass Menschen sterben, die nicht sterben müssten“

28. September 2025

Fernanda Doz Costa ist Menschenrechtsanwältin aus Argentinien und Direktorin für Geschlechtergerechtigkeit, Racial Justice und die Rechte geflüchteter Menschen bei Amnesty International. Anlässlich des Internationalen Aktionstags für sichere Schwangerschaftsabbrüche spricht Fernanda über die Risiken unsicherer Schwangerschaftsabbrüche und über einige der Menschen, die sie über die Jahre hinweg unterstützt hat. Sie gibt Impulse für schnelle und einfache Aktionen, die du setzen kannst, um für den weltweiten Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen einzutreten.

Was ist deine Rolle bei Amnesty und wie bist du dazu gekommen?

Ich leite die Arbeit von Amnesty International im Bereich Geschlechtergerechtigkeit, Racial Justice und die Rechte geflüchteter Menschen (Gender, Racial Justice and Refugee Rights). Mein Hintergrund hat dazu beigetragen, dass ich mich in dieser Rolle wiederfinde. Ich bin in der Zeit der Diktatur in Argentinien aufgewachsen und habe mich während meines Rechtsstudiums für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte eingesetzt.

Mit meinem juristischen Hintergrund interessiere ich mich für die Schnittstelle zwischen Rechtsordnung und Aktivismus – wie können wir beides nutzen, um Unrecht zu bekämpfen und eine Welt zu schaffen, in der alle Menschen glücklich leben und ihre Menschenrechte wahrnehmen können. Man könnte sagen, dass ich Ungerechtigkeit schon immer persönlich genommen habe, und so ich habe mich Amnesty angeschlossen, um dagegen anzukämpfen.

Welche Bereiche liegen dir besonders am Herzen?

Ganz besonders wichtig sind mir reproduktive Gerechtigkeit, Geschlechtergleichstellung und Racial Justice (Gerechtigkeit für rassistisch Diskriminierte). Neben meinem feministischen Aktivismus habe ich auch viel mit indigenen Gemeinschaften gearbeitet und dabei unglaublich viel gelernt.

Diese Bereiche sind eng miteinander verknüpft. Wenn wir über das Recht auf Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch sprechen, geht es dabei nicht nur um Gesundheitsversorgung. Es geht auch um Gleichberechtigung, Würde und Selbstbestimmung. Das Recht auf Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch und zu anderen reproduktiven Gesundheitsleistungen ist kein „Luxus“, sondern ein grundlegendes Menschenrecht, von dem die Lebensqualität und die Zukunft betroffener Menschen und ihrer Angehörigen abhängen kann. 

In meinem Land und in vielen anderen Ländern der Welt hatten jene, die Geld haben, schon immer Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, egal ob sie legal waren oder nicht. Deswegen geht es für mich dabei um soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit.

Fernanda Doz Costa, Menschenrechtsanwältin und Direktorin für Geschlechtergerechtigkeit, Racial Justice und die Rechte geflüchteter Menschen bei Amnesty International.

Das Recht auf Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch ist ein wichtiger Bereich deiner Amnesty-Arbeit – warum ist das so ein dringendes Thema?

Das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch ist ein Menschenrecht. Dennoch sind Menschen, die Abbrüche vornehmen lassen oder durchführen, in vielen Teilen der Welt mit Kriminalisierung, Stigmatisierung und Gewalt konfrontiert. Die Tatsache, dass von religiöser und politischer Seite immer noch über unsere Körper und unsere reproduktive Selbstbestimmung verfügt werden kann, ist ein klares Zeichen dafür, dass das Patriarchat unser aller Leben auf sehr tiefgreifende Weise prägt und dass es noch viel zu tun gibt.

Es gibt keine andere Dienstleistung im Gesundheitswesen, vor allem nicht in der Behandlung von Männern, die auf solch global organisierten und finanzierten Widerstand trifft.

Fernanda Doz Costa, Menschenrechtsanwältin und Direktorin für Geschlechtergerechtigkeit, Racial Justice und die Rechte geflüchteter Menschen bei Amnesty International.

In der weltweiten Amnesty-Kampagne geht es darum, Schwangerschaftsabbrüche sichtbar zu machen und zu entstigmatisieren, und das Recht darauf zu schützen – denn Schweigen verstärkt Unterdrückung und Stigmatisierung. Schwangerschaftsabbrüche sind Teil der Gesundheitsversorgung, und die Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht, das derzeit weltweit stark bedroht ist. Aus diesem Grund, und weil es dabei um strukturelle Ungleichheiten geht, räumt Amnesty diesem Thema Priorität ein.

Wie genau werden Menschen stigmatisiert, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen?

Stigmatisierung äußert sich in vielerlei Hinsicht: Scham, Ausgrenzung, Angst, von der Gesellschaft verurteilt zu werden, und sogar in Form von Strafanzeigen. Gesundheitsdienstleister*innen werden geächtet und Menschen, die sich für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch einsetzen, werden bedroht. Gleichzeitig werden jene, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen oder durchführen, als Kriminelle eingestuft, weil sie Entscheidungen über ihren eigenen Körper treffen bzw. andere dabei unterstützen.

Derartige Stigmatisierung ist eine mächtige Hürde beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und den entsprechenden Gesundheitsleistungen. Entsprechend sind Aktivist*innen, Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen und jene, die diese Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen möchten, großem Stress und Diskriminierung ausgesetzt, was sich langfristig auf ihr körperliches Wohlbefinden und ihre psychische Gesundheit auswirkt. 

In vielen Fällen führt dieses Stigma dazu, dass die medizinische Versorgung verweigert wird und dass Menschen sterben, die nicht hätten sterben müssen. Ein Beispiel dafür ist die 28-jährige Mutter Josseli Barnica, die 2024 in Texas nach einer Fehlgeburt starb, nachdem die Ärzte sie wegen der strengen Abtreibungsgesetze des Bundesstaats erst zu spät behandelten. Wie kann sich so etwas „pro-life“ (Lebensschutz) nennen?

Wie sieht es mit dem Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch weltweit aus? Welche Länder sind am fortschrittlichsten, welche am rückschrittlichsten?

Die Lage ist durchmischt. Länder wie Argentinien, Mexiko, Kolumbien und Frankreich haben historische Fortschritte dabei gemacht, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren und sie im Gesetz und in der Verfassung zu verankern. Andererseits herrschen in Ländern wie El Salvador, Malta und in Teilen der USA weiterhin vollständige oder nahezu vollständige Abtreibungsverbote. In Namibia ist das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch stark eingeschränkt, und in Marokko sind Schwangerschaftsabbrüche strafbar, was für Frauen, Mädchen und alle Menschen, die schwanger werden können, verheerende Konsequenzen nach sich zieht. In vielen Ländern geht das Ringen um den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter.

Was hat dabei geholfen, das Recht auf Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch voranzubringen? Und wo liegen die Gefahren für dieses Recht?

Fortschritte wurden erzielt durch feministische Basisbewegungen, mutige Menschenrechtsverteidiger*innen und internationale Solidarität. Die Grüne Welle in Lateinamerika ist ein eindrucksvolles Beispiel.

Allerdings gab es auch Rückschläge, wie die Entscheidung des Obersten Gerichtshof der USA, das gesetzlich verankerte Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch aufzuheben. Dies spielte Gegner*innen in die Hände, ließ die Finanzmittel für regressive Kampagnen in die Höhe schnellen, reduzierte die Mittel für reproduktive Gesundheitsleistungen in bedürftigen Ländern, und führte zur Zensur von Informationen über Abbrüche im Internet.

Dabei lassen sich Schwangerschaftsabbrüche nicht „verhindern“ – ein Verbot führt lediglich dazu, dass sie mit unsicheren Mitteln und unter gefährlichen Bedingungen vorgenommen werden. Diese rechteverachtenden Vorstöße werden daher nur zu mehr menschlichem Leid und zu weiterem Verlust an Menschenleben führen.

Gibt es Schicksale von Menschen, denen ein Schwangerschaftsabbruch verweigert wurde, die dich berührt haben?

Ich denke da besonders an den Fall von Belén. Sie wurde wegen Mordes angeklagt, nachdem sie 2014 in einem staatlichen Krankenhaus im argentinischen Tucuman eine Fehlgeburt erlitten hatte. Erst 2017 wurde sie endlich aus dem Gefängnis entlassen und kurz danach von allen Vorwürfen freigesprochen.

Der Fall rief sowohl in Argentinien als auch weltweit große Empörung hervor und trug letztlich dazu bei, dass Argentinien Schwangerschaftsabbrüche Ende 2020 legalisierte.

Das Schicksal von Belén führt uns deutlich vor Augen, was auf dem Spiel steht.

Gibt es auch Schicksale von Frauen, die du unterstützt hast und die dir in Erinnerung geblieben sind?

Absolut. Der Fall von Vannesa Rosales, einer venezolanischen Lehrerin, die einer 13-Jährigen nach einer Vergewaltigung zu einer sicheren Abtreibung verholfen hat, ist sehr berührend. Vannesa wurde festgenommen und angeklagt, weil sie beim Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch geholfen hatte, doch sie stand tapfer für Gerechtigkeit ein. Nach einer wirkungsvollen Amnesty-Kampagne wurde sie am 21. Juli 2021 aus dem Gefängnis entlassen, nachdem sie neun Monate im Gewahrsam verbracht hatte, sechs davon im Hausarrest. Ihr Mut und die weltweite Unterstützung, die sie erhielt, verdeutlichen die Wirkung von Solidarität.

Welche unerwarteten Hürden gibt es beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen?

Selbst wenn der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen legal ist, kann er untergraben werden: durch Wartezeiten, obligatorische Beratungsstunden, vorgeschriebene Genehmigungen durch Dritte oder die Notwendigkeit eines Polizeiberichts. Wenn Beschäftigte des Gesundheitswesens sich z. B. aus Gewissensgründen weigern, die Leistung zu erbringen, schränkt dies den Zugang in der Praxis ein, wie sich bei unserer Arbeit in Südafrika gezeigt hat.

Dank Zensur im digitalen Bereich und Fehlinformationen auf großen Plattformen fehlt es an verlässlichen Informationen zum Thema. Stigmatisierung sowie religiöser und sozialer Druck halten Menschen oftmals davon ab, entsprechende Leistungen in Anspruch zu nehmen. Besonders in ländlichen Gegenden ist der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch häufig dadurch eingeschränkt, dass die Entfernung zu groß ist oder die Kosten zu hoch sind. Hinzu kommen mangelnde Privatsphäre und unzureichende Infrastruktur. Wenn kein offizieller Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen besteht, greifen die Betroffenen oft auf unsichere Methoden zurück, was zu vermeidbaren Gesundheitsschäden führen kann.

Ein Hindernis, das sehr häufig übersehen wird, ist die Online-Zensur. Social-Media-Plattformen wie Meta und TikTok entfernen abtreibungsrelevante Inhalte und erschweren damit den Zugang zu lebensrettenden Informationen.

Fernanda Doz Costa, Menschenrechtsanwältin und Direktorin für Geschlechtergerechtigkeit, Racial Justice und die Rechte geflüchteter Menschen bei Amnesty International.

Wie können wir alle das Recht auf Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch unterstützen?

Indem wir detaillierte und korrekte Informationen weitergeben, das Stigma bekämpfen und jenen den Rücken stärken, die sich in unserem Land für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch stark machen. Indem wir ein Lied oder ein Theaterstück über das Recht auf einen sicheren Schwangerschaftsabbruch schreiben. Indem wir einen „pro-choice“ Button tragen oder einen entsprechenden Aufkleber auf unser Auto oder Laptop kleben. Jede Handlung zählt.

Es gibt so viele Möglichkeiten. Amnesty International führt in Polen, Marokko, Sierra Leone, Nordirland, den USA und anderswo Kampagnen durch, denen man sich anschließen kann. Nehmt Kontakt mit unseren Kolleg*innen auf und schließt euch uns an. Unterschreibt diese Petition zum Schutz des Rechts auf Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch in den USA. Hier könnt ihr mehr darüber erfahren, wie ihr Menschenrechtsverteidiger*innen unterstützen könnt, die das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch verteidigen.

Wichtig ist auch, korrekte Informationen weiterzugeben und Irrglauben zu hinterfragen, um der Stigmatisierung entgegenzuwirken. Direkter Einsatz ist möglich durch Petitionen, Kampagnen und Dialog mit Entscheidungsträger*innen (in Afrika hatten wir z. B. in Malawi Erfolg damit, Parlamentsabgeordnete anzusprechen). Und Tech-Plattformen müssen angehalten werden, verlässliche lokale Informationen verfügbar zu machen.

Wie hat sich dein Hintergrund in Jus bei deiner Amnesty-Rolle bewährt?

Er gibt mir die Möglichkeit, Unterdrückungssysteme zu analysieren und für Veränderungen einzutreten. Juristische Kenntnisse helfen uns, Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen, politische Empfehlungen zu formulieren und klarzumachen, dass das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch ein Menschenrecht ist. Allerdings geht es nicht nur um juristisches Fachwissen, sondern auch darum, die Rechtsordnung zu nutzen, um bestimmten Stimmen Gehör zu verschaffen und ungerechte Strukturen zu beseitigen.

Wie entspannst du dich nach solchen bedrückenden Themen?

Meine Gemeinschaft und die kollektive Solidarität spenden mir Trost – der Austausch mit Kolleg*innen, Freund*innen und Aktivist*innen, die meine Werte und mein Ziel teilen. Ich nehme mir auch Zeit für die Natur, Musik und Lesen. Es ist wichtig, zwischendurch Kraft zu tanken, denn der Kampf für die Menschenrechte ist ein Marathon und kein Sprint.

Was tut Amnesty International für die Unterstützung des Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch?

Derzeit läuft eine globale Kampagne mit dem Titel 1000 Ways to Support Abortion Rights, mit der wir uns in Ländern wie Sierra Leone, Polen, den USA, Marokko und Nordirland für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch einsetzen.

Wir veröffentlichen Berichte, diskutieren das Thema in Podcasts, unterstützen Menschenrechtler*innen und machen uns für Gesetzesänderungen stark.

Unser Ziel ist es, ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem Schwangerschaftsabbrüche sicher, legal und für alle zugänglich sind.