Wir als Amnesty International Österreich haben damals eine Prozessbeobachtung durchgeführt und geholfen, die Einschüchterungsklage von ICMPD auch in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Es war deswegen eine sehr einfache Entscheidung, als Pero mich gefragt hat, ob wir von Amnesty International Österreich ihn zum Lager Lipa begleiten wollen, um uns ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Nicht nur, weil ich die Arbeit von SOS Balkanroute unterstützenswert finde, sondern auch, weil ich wissen wollte, wie dieses berüchtigte Camp Lipa, das ich bis dato nur aus Medienberichten kannte, tatsächlich aussieht, woher die Menschen kommen, die dort untergebracht sind und ob es tatsächlich eine von Österreich maßgeblich mitfinanzierte Hafteinrichtung ohne Rechtsgrundlage gibt.
Ende Mai war es dann soweit. Gemeinsam mit dem Völkerrechtsexperten Ralph Janik und dem bekannten Aktivisten Daniel Landau, sind wir für drei Tage nach Bihać gereist. Bihać ist eine 40.000-Einwohner-Kleinstadt im Nordwesten Bosniens, nahe der kroatischen Grenze und direkt am Fluss Una gelegen.
Faustschläge, Hundebisse und weggenommene Schuhe
Seit einigen Jahren ist Bihać eine jener Städte in Bosnien und Herzegowina, die von Geflüchteten und Migrant*innen als Transitzone auf dem Weg in die Europäische Union genutzt wird.
Direkt nach unserer Ankunft in der Stadt haben wir zunächst die von SOS Balkanroute aufgebaute und mittlerweile von der österreichischen Diakonie betriebene Gemeinschaftsküche besucht. Aus dieser Küche, die von österreichischen Spendengeldern finanziert wurde, hat man 2019 eine Zeitlang das Lager Lipa mit Essen beliefert. Mittlerweile hat Lipa selbst eine Kantine und die Gemeinschaftsküche steht sozial benachteiligten Familien aus Bihać zur Verfügung. Wir hatten dort gleich die Gelegenheit, Gespräche zu führen mit Menschen, die seit Monaten in der Stadt sind und immer wieder beim Versuch, über die kroatische Grenze in die EU zu gelangen, abgewiesen wurden. Die Herkunftsländer der Personen waren sehr unterschiedlich: Syrien, Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten. Ihre Geschichten waren allerdings ähnlich. Alle waren auf der Suche nach einem Leben mit Perspektiven, auf der Suche nach Arbeit, von der man leben kann, auf der Suche nach bürgerlichen Freiheiten.
Wir haben alle, die dazu bereit waren, nach ihren Erfahrungen mit Pushbacks an der kroatischen Grenze befragt. Zwei junge Marokkaner, beide eindeutig minderjährig, haben uns Fotos und Videos gezeigt von ihren eigenen Verletzungen und jenen ihrer Begleiter.