Doch nicht alle in Österreich mögen uns und unsere Arbeit
Die Arbeit für Amnesty International ist in vielen Ländern lebensgefährlich. In einem Land wie Österreich ist sie gefahrlos möglich – doch auch hier kommt es nach wie vor und immer wieder zu Behinderungen. Im Dezember 1974 machten wir ungewollt Schlagzeilen in den oberösterreichischen Medien: Aus fadenscheinigen Gründen wird eine Mahnwache am Linzer Christkindlmarkt untersagt. Ein Jahr zuvor, im Jahr 1973 wurde uns wegen „Bedenken“ des Innenministeriums nicht erlaubt, eine Demonstration anlässlich des Besuches des sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin abzuhalten. 21 Jahre später kommt der chinesische Ministerpräsident Li Peng nach Linz und die Geschichte wiederholt sich: In ganz Österreich werden Kundgebungen verboten. Eine Gruppe engagierter Aktivist*innen kann Regierende offenbar immer wieder nervös genug machen, so dass auch in Österreich unser Recht auf friedliche Versammlung unter Druck geraten kann.
Der Kern unserer Arbeit: Menschen zusammenbringen, um gemeinsam zu verändern
Trotz so mancher Hürden ist es uns in den letzten 50 Jahren gelungen, viele Menschen zu erreichen. Dazu haben auch Multiplikator*innen beigetragen, die wir für unsere menschenrechtlichen Anliegen gewinnen konnten: 1972 gestalten zehn Mitglieder des Landestheaters eine Lesung, 14 Künstler*innen stellen Werke zur Verfügung. Im Jahr 1985 beginnt unsere Konzertreihe im Ursulinenhof, bei der einige Jahre lang Künstler*innen unentgeltlich auftreten. 2012 versteigerten wir eine Originalzeichnung von Gerhard Haderer und beim Amnesty-Popfest traten Clara Luzia und viele weitere namhafte Künstler*innen kostenlos auf. Wir vernetzten Menschen in Gefahr, wie 1974 etwa den sowjetischen Dissidenten Leonid Pljuschtsch, der Opfer des Psychiatriemissbrauchs war, und erreichten für ihn, dass er von der Universität Innsbruck und von der Goethe-Universität Frankfurt am Main zu Gastvorträgen eingeladen wurde. Damit war auch den sowjetischen Behörden klar, dass sein Schicksal im Ausland mit Interesse verfolgt wird. Der öffentliche Druck und die nicht abreißende Briefwelle an die Behörden führen zu seiner Freilassung im Jahr 1976. Im Dezember 2010 war der ehemalige Todeszelleninsasse Juan Melendez (USA) unser Gast in Linz. Wir vermittelten einen Vortrag an der Johannes Kepler Universität. Bereits bei der Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe 1988 unterschrieben allein in Österreich 103.276 Menschen. Das Hauptziel, die weltweite Ächtung der Todesstrafe, haben wir noch nicht erreicht – aber die Tendenz geht seither weltweit sehr stark in diese Richtung.
Und wie weiter?
Am 5. Juni 1973 erfahren meine Gruppen-Kolleg*innen und ich von der Freilassung Abid Syed Husseins, eines der beiden ersten Gewissensgefangenen, für dessen Freiheit sich unsere Gruppe eingesetzt hat. Ein großartiges Gefühl der Freude – ein unschuldig Inhaftierter ist wieder frei – und der Hoffnung: Unsere Arbeit zeigt Wirkung, gemeinsam können wir Leben verändern. Viele weitere solche Momente haben uns über die Jahre immer wieder motiviert, dranzubleiben und für eine Welt zu kämpfen, in der die Rechte aller Menschen geschützt sind. Danke, dass wir gemeinsam dafür einstehen! Dass die Arbeit – heute wie damals – Sinn hat, beweist neben den vielen Erfolgen und deutlichen Anzeichen, dass wir die Mächtigen immer wieder nervös machen, auch eine weitere, einfache Tatsache: Wir alle würden uns nicht mehr für Menschenrechte einsetzen, wenn es keine Fortschritte geben würde und unsere Arbeit sinnlos wäre. Unsere Themen, Mittel und Kanäle sind über die Jahre breiter geworden – seit 2001 sind wir zum Beispiel auch online unterwegs – doch im Kern leisten wir dieselbe Arbeit wie 1972: Wir bringen Menschen zusammen, um gemeinsam Leben zu verändern.