Im Gefängnis, weil sie sich gegen die männliche Vormundschaft auflehnen
Um Frauen in Administrativhaft zu stecken, missbrauchen die Provinzgouverneure in Jordanien ein Gesetz (Crime Prevention Law). Das Büro des Premierministers bestätigte auf Anfrage von Amnesty International, dass sich zu jenem Zeitpunkt 149 Frauen in Verwaltungshaft befanden. 1259 Frauen wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 aus der Verwaltungshaft entlassen. Die Frauen werden aus verschiedenen Gründen inhaftiert: Beispielsweise, weil sie sich der Vormundschaft durch ein männliches Familienmitglied entziehen, oder weil sie von zu Hause fliehen oder außerehelichen Sex (Zina) hatten.
Der Premierminister sagte Amnesty International, dass seit Anfang 2019 bislang 85 Frauen wegen „Zina“ in Verwaltungshaft genommen worden seien. Es sei aber noch niemals eine Frau festgenommen worden, weil sie von zu Hause weglief – es sei denn, sie habe noch einen weiteren Verstoß begangen. Die Recherchen von Amnesty und die Unterlagen von jordanischen Rechtsbeiständen belegen jedoch, dass Gouverneure die Inhaftierung von Frauen wegen „Weglaufens“ anordnen – oftmals nur, weil die Vormunde dies verlangen.
Im Februar 2019 besuchte Amnesty das Gefängnis Juweideh, die größte Hafteinrichtung für Frauen in Jordanien, und sprach mit 22 Frauen, die dort ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren inhaftiert sind. Sie gaben an, sie seien festgenommen worden, weil sie sich der Vormundschaft durch ein männliches Familienmitglied entzogen hätten oder weil man ihnen außerehelichen Sex vorwerfe. Die meisten Frauen sagten, sie seien bereits seit Monaten in Haft und warteten darauf, dass ein männliches Familienmitglied eine Kaution für sie hinterlegt. Noch im September 2019 hatten Quellen gegenüber Amnesty bestätigt, dass weiterhin mindestens 30 Frauen wegen „Weglaufens“ oder außerehelicher sexueller Beziehungen in Juweideh inhaftiert seien.
Fast alle Frauen gaben an, vor Misshandlungen geflohen zu sein. Oder sie seien weggelaufen, weil ihr Vormund ihnen die freie Wahl des Ehepartners untersagt habe. Nach jordanischem Recht müssen Frauen unter 30 die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds (normalerweise der Vater, Bruder oder Onkel) einholen, um heiraten zu können.
Vom eigenen Vater angezeigt
Sawsan* erzählte Amnesty, dass sie seit über einem Jahr im Gefängnis sitze, nachdem ihr Vater sie bei den Behörden angezeigt habe, weil sie mit einem Mann weggelaufen sei. Tatsächlich sei sie aber vor den Misshandlungen ihres Vaters geflohen. Auch Rana*, Mitte zwanzig, berichtete Amnesty International, dass sie wegen außerehelichem Sex festgenommen und strafrechtlich verfolgt wurde, nachdem sie mit einem Mann weggelaufen war, den sie liebte, aber nicht heiraten durfte. Das Strafverfahren hatte ihr Vater gegen sie angestrengt.
Vier Frauen erzählten Amnesty International, wie sie aufgrund einer Schwangerschaft im Gefängnis landeten. Das Krankenhauspersonal habe die Polizei gerufen, weil sie schwanger waren, ohne verheiratet zu sein.
Zwei unverheiratete schwangere Frauen erzählten unabhängig voneinander, dass sie bis zur Geburt ihrer Kinder in Administrativhaft gehalten wurden, damit die Behörden bei den Babys einen DNA-Test vornehmen konnten. So sollten die mutmaßlichen Väter vom Vorwurf des außerehelichen Geschlechtsverkehrs entlastet werden.
Positive Schritte, aber anhaltende Sorge
Angehörige des Innenministeriums berichteten Amnesty International bei einem Treffen im Februar 2019, dass Gouverneure Frauen zu deren eigener Sicherheit inhaftieren würden. Denn sie seien in Gefahr, von ihren Familienangehörigen getötet zu werden, wenn sie ihren Ehemann verlassen oder außerehelichen Sex hatten. Die Beamt*innen fügten hinzu, dass durch das neu eröffnete Frauenhaus Dar Amneh diese „Schutzhaft“ nicht mehr nötig sei.
Zivilgesellschaftliche Organisationen führen es auch überwiegend auf das Frauenhaus Dar Amneh zurück, dass die Zahl dieser Art von „Schutzhaft“ zurückgegangen ist. Bis Mitte September 2019 hatte die Einrichtung 75 Frauen beherbergt. Doch hat Dar Amneh die Praxis der Inhaftierung von Frauen wegen Verlassens ihres Ehemanns und außerehelichem Sex nicht beendet. Viele dieser Frauen scheinen zur Bestrafung inhaftiert zu werden und um sie zu bewegen, zu ihrem männlichen Vormund zurückzukehren.
Frauen können wegen außerehelichem Sex strafrechtlich verfolgt werden. Darauf stehen ein bis drei Jahre Haft. Auch Männer können strafrechtlich verfolgt werden, wenn die Ehefrau ihren Ehemann bei den Behörden anzeigt. Doch eine Frau kann auch dann strafverfolgt werden, wenn ein anderer männlicher Vormund Anzeige erstattet. Dies gibt männlichen Familienmitgliedern eine weitere Möglichkeit, Frauen zu kontrollieren und zu bestrafen.
Demütigende „Jungfräulichkeitstests“
Unverheiratete Frauen, die inhaftiert wurden, weil sie sich der männlichen Vormundschaft entzogen hatten, erzählten Amnesty International, dass sie von der Polizei zu einem Jungfräulichkeitstest gefahren wurden. Mit einer vaginalen Untersuchung soll festgestellt werden, ob die betroffene Frau Geschlechtsverkehr hatte – was wissenschaftlichen Grundlagen entbehrt. Dieses Vorgehen verstößt gegen das völkerrechtliche Verbot von Folter und anderen Formen der Misshandlung.
Hanan*, etwa 20 Jahre alt, berichtete Amnesty International, dass sie dreimal mit ihrer Schwester vor dem Missbrauch in ihrem Elternhaus geflohen sei: „Jedes Mal, wenn wir weggelaufen waren, nahm uns die Polizei fest und brachte uns in ein Spital. Mein Vater bestand darauf, uns einem Jungfräulichkeitstest zu unterziehen. Wir stimmten jedes Mal zu, da wir wussten, dass wir unserem Vater beweisen mussten, dass wir noch ‚Jungfrauen‘ sind. Der Familienschutz [eine Polizeieinheit] stellte aber ohnehin klar, dass wir den Test vornehmen lassen müssten, wenn unser Vater dies wolle. Er hat einfach das Recht dazu.“
Einige Frauen berichteten, dass sie vom Familienschutz oder von Familienangehörigen angewiesen wurden, sich dem Jungfräulichkeitstest zu unterziehen. "Solche rechtswidrigen Praktiken müssen unter allen Umständen beendet werden“, sagte Heba Morayef.