Staaten müssen Urteil respektieren
In seinem Urteil ordnete der IGH sechs vorläufige Maßnahmen an. Dazu zählt die Verpflichtung Israels, Handlungen im Sinne der Völkermordkonvention zu unterlassen, die direkte und öffentliche Aufstachelung zum Völkermord zu verhindern und zu bestrafen sowie sofortige und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Bereitstellung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza zu gewährleisten. Das Gericht wies Israel außerdem an, Beweise für Völkermord zu sichern und dem Gericht innerhalb eines Monats einen Bericht über alle Maßnahmen vorzulegen, die es in Übereinstimmung mit seiner Anordnung ergriffen hat.
Die vorläufigen Maßnahmen des IGH zeigen, dass nach Ansicht des Gerichts das Überleben der Palästinenser*innen in Gaza gefährdet ist. Die israelische Regierung muss der Entscheidung des IGH unverzüglich nachkommen. Alle Staaten – auch diejenigen, die Südafrikas Einreichung der Völkermordklage kritisch gegenüberstanden oder sich ihr widersetzten – haben die klare Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Maßnahmen umgesetzt werden. Die Staats- und Regierungschefs der USA, Großbritanniens, Deutschlands und anderer EU-Staaten müssen signalisieren, dass sie die rechtsverbindliche Entscheidung des Gerichtshofs respektieren und alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihrer Verpflichtung zur Verhinderung von Völkermord nachzukommen. Tun sie dies nicht, wäre dies ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die internationale Rechtsordnung.
Waffenstillstand weiterhin notwendig
Die heutige Entscheidung ist eine maßgebliche Erinnerung an die entscheidende Rolle des Völkerrechts bei der Verhinderung von Völkermord und dem Schutz aller Opfer von Gräueltaten. Sie sendet die klare Botschaft, dass die Welt nicht schweigend zusehen wird. Die Entscheidung des IGH allein kann jedoch den Gräueltaten und der Verwüstung, die die Menschen im Gazastreifen erleben, kein Ende setzen. Ein sofortiger Waffenstillstand aller Konfliktparteien ist nach wie vor unerlässlich und – auch wenn er nicht vom Gerichtshof angeordnet wurde – die wirksamste Voraussetzung für die Umsetzung der vorläufigen Maßnahmen und die Beendigung des beispiellosen Leidens der Zivilbevölkerung.
Mehr als 26.000 Palästinenser*innen, zumeist Zivilist*innen, sind bei Israels Bombardement des Gazastreifens getötet worden, und etwa 10.000 werden unter den Trümmern noch vermisst. Mindestens 1,8 Millionen Palästinenser*innen wurden vertrieben und haben keinen Zugang zu angemessener Nahrung, Wasser, Unterkünften, sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung.
Amnesty International fordert Israel, die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen auf, alle militärischen Operationen im Gazastreifen sofort einzustellen. Israel muss seine illegale Besatzung aufheben und den ungehinderten und bedingungslosen Zugang zu dringend benötigter humanitärer Hilfe für die Palästinenser*innen ermöglichen, um das menschliche Leid zu verringern. Wir fordern die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen auf, alle verbleibenden zivilen Geiseln freizulassen.