„Das ist nicht euer Land“
Der myanmarische Bundesstaat Rakhine, der an der Grenze zu Bangladesch liegt, befindet sich derzeit unter der Kontrolle der Arakan Army, während das Militär von Myanmar nach wie vor die Hauptstadt Sittwe kontrolliert, einen zentralen Zugang für Hilfsgüter und Transporte.
Die Arakan Army, die seit dem Staatsstreich 2021 lose mit einer Vielzahl oppositioneller bewaffneter Gruppen verbündet ist, die gegen das myanmarische Militär kämpfen, startete im November 2023 eine Offensive, durch die das Militär aus weiten Teilen im Norden des Bundesstaates vertrieben wurde. Die bewaffnete Gruppe kontrolliert jetzt effektiv die gesamte Grenze Myanmars zu Bangladesch.
Die seit langem bestehenden Spannungen zwischen der buddhistischen Bevölkerung der ethnischen Gemeinschaft der Rakhine im Bundesstaat Rakhine und der muslimischen Bevölkerung der Rohingya wurden vom myanmarischen Militär ausgenutzt, indem dieses mit bewaffneten Gruppen der Rohingya zusammenarbeitete und Rohingya-Zivilisten zwangsrekrutierte, um gegen die überwiegend buddhistische Arakan Army zu kämpfen.
Angesichts des bewaffneten Konflikts sind Zivilist*innen der Rohingya und der Rakhine zwischen die Arakan Army und das myanmarische Militär geraten. Letzteres hat die Lieferung humanitärer Hilfe über die Landeshauptstadt Sittwe blockiert und tödliche, wahllose Luftangriffe durchgeführt. Berichten zufolge wurden Anfang dieses Monats bei einem solchen Luftangriff der Armee mindestens 19 Studierende der Rakhine im Schlaf getötet.
Hunderttausende Rohingya sind Binnenvertriebene, und mehr als 150.000 Männer, Frauen und Kinder der Rohingya sind dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zufolge in den vergangenen 20 Monaten über die Grenze in Lager nach Bangladesch geflüchtet. Damit liegt die Gesamtzahl der Flüchtlinge bei geschätzten 1,2 Millionen.
Amnesty International und andere Organisationen haben Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und zunehmende Menschenrechtsverletzungen der Arakan Army gegen Zivilpersonen dokumentiert, darunter wahllose Angriffe und willkürliche Inhaftierungen.
Für Angehörige der Rohingya erinnert das Leben unter der Herrschaft der Arakan Army im Bundesstaat Rakhine schmerzlich an das Leben unter dem Militärregime in Myanmar. Viele sagen, es sei sogar noch schlimmer, da sie ständig verdächtigt würden, Verbindungen zu militanten Rohingya-Gruppen zu haben. In einem Bericht des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte vom 2. September heißt es, dass „die von früheren Regierungen auferlegten Einschränkungen der Rechte und Freiheiten der Rohingya weiterhin bestehen“ und dass die Arakan Army sich wie schon das myanmarische Militär weigert, die Identität der Rohingya anzuerkennen, indem sie diese ausschließlich als Bengal*innen oder Muslim*innen bezeichnet.
Vertreter*innen der Arakan Army behaupten, ihre Gruppe sei Opfer einer Propagandakampagne, die von Rohingya-Aktivist*innen und bewaffneten Gruppen angeheizt werde.
Nach Zeug*innenaussagen, die Amnesty International zusammengetragen hat, sind Rohingya-Gemeinschaften im Norden des Bundesstaates Rakhine mit starken Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit durch die Arakan Army konfrontiert. Außerdem berichten die Rohingya von diskriminierenden Fischfang- oder anderen Verboten, Einschränkungen ihrer Erwerbsmöglichkeiten, Zwangsarbeit und unzureichendem Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und humanitärer Hilfe. Außerdem werden im Rahmen des fortdauernden Konflikts Rohingya auch immer wieder schwer verletzt oder getötet.
Ein Mann in den Zwanzigern berichtete, dass er und Angehörige seiner Familie von Soldat*innen der Arakan Army zu einem Lager für Binnenflüchtlinge gebracht worden seien und er auf dem Weg mindestens vier Personen gesehen habe, die auf Landminen getreten seien und dabei Gliedmaßen verloren hätten.
Ein 60-jähriger Mann, der im Juli 2025 mit seiner Familie aus Myanmar geflohen war, beschrieb das Leben in einem Lager für Binnenflüchtlinge im Township Buthidaung. Dorthin war er gebracht worden, nachdem die Arakan Army im Mai 2024 das bis dahin unter der Kontrolle des myanmarischen Militärs stehende Buthidaung eingenommen hatte. Nach seinen Angaben suchte die Arakan Army im Lager nach Angehörigen bewaffneter Rohingya-Gruppen und habe „willkürlich Menschen aus der Menge herausgegriffen und verschwinden lassen“.
Die im Lager lebenden Menschen wurden außerdem zur Arbeit gezwungen, auch in Konfliktgebieten an der Front.
„Sie zwangen uns, Steine und Ziegelsteine zu ihren Kontrollpunkten zu tragen und dort zu stapeln, obwohl wir Hunger hatten. Da ich schon alt war, musste ich diese Arbeit nicht machen, aber meine Kinder mussten sie mehr als zehn Mal machen ... Wenn wir uns weigerten zu arbeiten, wurden wir [von Angehörigen der Arakan Army] brutal geschlagen und gezwungen, uns auf dem Bauch hinzulegen. Dann schlugen sie uns.“
Menschen, die vor ihrer Flucht nach Bangladesch in Lagern für Binnenvertriebene in Myanmar lebten, berichteten, dass sie nur selten etwas zu essen bekamen, sich von Reis und Wasser aus einem schlammigen Brunnen ernährten und Kinder an Durchfall starben.