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Hongkong: Amnesty-Recherche zum Nationalen Sicherheitsgesetz zeigt Ausmaß ungerechtfertigter Festnahmen

30. Juni 2025

Mehr als 80% der nach dem Hongkonger Nationalen Sicherheitsgesetz (National Security Law) verurteilten Personen wurden zu Unrecht strafrechtlich verfolgt und hätten gar nicht erst angeklagt werden dürfen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Untersuchung von Amnesty International, die am fünften Jahrestag des Inkrafttretens des Gesetzes veröffentlicht wurde.

Seit der Verabschiedung des Nationalen Sicherheitsgesetzes am 30. Juni 2020 hat sich die Menschenrechtslage in Hongkong in alarmierendem Tempo verschlechtert. Die Zivilgesellschaft wurde faktisch demontiert, und universelle Rechte – darunter die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit – wurden stark beschnitten.

Die Untersuchung von Amnesty International umfasste die Fälle von 255 Personen, die zwischen dem 30. Juni 2020 und dem 31. Mai 2025 wegen Verstößen gegen das Nationale Sicherheitsgesetz festgenommen und/oder angeklagt wurden. Ebenfalls untersucht wurden strafrechtliche Verfolgungen im Zusammenhang mit Teil 1 und 2 der städtischen Straftatenverordnung, in denen der aus der Kolonialzeit stammende Straftatbestand der „Aufwiegelung“ definiert ist; und das Gesetz Artikel 23 (auch bekannt als Verordnung zum Schutz der nationalen Sicherheit), das Teil 1 und 2 der Straftatenverordnung ersetzte, als es am 23. März 2024 in Kraft trat.

Amnesty untersuchte die Fälle von 255 Personen, gegen die seit dem 30. Juni 2020 in Hongkong auf der Grundlage des Nationalen Sicherheitsgesetzes vorgegangen wurde. Diese Analyse ergab, dass in fast 90% der Fälle, in denen Anklage erhoben wurde, eine Freilassung gegen Kaution verwehrt wurde, und dass diejenigen, denen eine Kaution verweigert wurde, im Durchschnitt elf Monate in Haft verbringen mussten, bevor sie vor Gericht gestellt wurden. 

Fünf Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes über die nationale Sicherheit in Hongkong zeigen unsere alarmierenden Ergebnisse, dass die Befürchtungen, die wir im Jahr 2020 über dieses Gesetz geäußert haben, sich bewahrheitet haben. Die Regierung von Hongkong muss aufhören, den Vorwand der ‚nationalen Sicherheit‘ zu benutzen, um legitime Meinungsäußerungen zu bestrafen.

Sarah Brooks, für China zuständige Direktorin bei Amnesty International

„Dieses drakonische Gesetz und die damit einhergehenden Vorschriften zur nationalen Sicherheit haben wichtige rechtliche Garantien ausgehöhlt, die einst die Grundlage für den Schutz der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in Hongkong bildeten. Das Ergebnis ist, dass die Hongkonger nicht mehr die Möglichkeit haben, sich ohne Angst vor einer Festnahme zu äußern.“

Festnahmen für legitime Äußerungen

Die Amnesty-Recherche analysiert die Muster bei Festnahmen, Kautionsentscheidungen und Strafverfolgungen im Rahmen des Hongkonger Nationalen Sicherheitsgesetzes und anderer Gesetze zur nationalen Sicherheit. Die Untersuchung hebt insbesondere drei Hauptprobleme hervor: die Kriminalisierung der legitimen Ausübung des Menschenrechts auf freie Meinungsäußerung, die niedrigen Raten an Freilassungen gegen Kaution in diesen Fällen, und die de facto langfristige Inhaftierung der meisten Angeklagten.

Die Analyse ergab, dass von den 78 abgeschlossenen Verfahren unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz mindestens 66 (84,6%) legitime Äußerungen betrafen, die nach internationalen Standards nicht hätten strafrechtlich verfolgt werden dürfen, da es keine Beweise für gewalttätiges Verhalten oder Aufwiegelung gab.

Zählt man die abgeschlossenen Verfahren auf Grundlage des Gesetzes Artikel 23 und der vor der Verabschiedung dieses Gesetzes geltenden Rechtsvorschriften über „Aufwiegelung“ hinzu, so ging es in mindestens 108 von insgesamt 127 Fällen (85%) um ähnlich legitime Formen der Meinungsäußerung, die zu Unrecht strafrechtlich verfolgt wurden. Diese Fälle liegen weit unter der hohen Schwelle, die nach internationalen Standards für eine strafrechtliche Verfolgung erforderlich ist.

Den Daten von Amnesty zufolge lehnten die Gerichte in 129 Fällen, in denen es um die nationale Sicherheit ging, eine Freilassung gegen Kaution ab, das sind 89% der Fälle, in denen Personen angeklagt waren.

In den 129 Fällen, in denen eine Kaution abgelehnt wurde, betrug die durchschnittliche Dauer der Inhaftierung 328 Tage. In 52 Fällen (40,3%) waren die Betroffenen ein Jahr lang oder länger inhaftiert, bevor es zu einem Gerichtsverfahren oder einem Schuldbekenntnis kam.

Hongkong wurde zur Stadt der Unterdrückung und Selbstzensur

In fünf Jahren hat das Nationale Sicherheitsgesetz Hongkong von einer Stadt der Toleranz und der offenen Debatte in eine Stadt der Unterdrückung und Selbstzensur verwandelt. Unsere Analyse zeigt, dass Hongkongs nationaler Sicherheitsrahmen nicht nur auf dem Papier eine eklatante Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards darstellt, sondern dass die Behörden ihn missbrauchen, um oppositionelle Stimmen ins Visier zu nehmen und ein Klima der Angst zu schaffen.

Sarah Brooks, für China zuständige Direktorin bei Amnesty International

„Diese Untersuchung zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Personen, die wegen Verstößen gegen die nationale Sicherheit angeklagt sind, völlig rechtmäßig gehandelt haben. Die Anklagebehörden strengen weiterhin Verfahren im Rahmen dieser mangelhaften nationalen Sicherheitsarchitektur an und legen Rechtsmittel gegen die seltenen Freisprüche der Gerichte ein. Andere Regierungen sollten ihren Einfluss geltend machen, um die Behörden in Hongkong und China zu drängen, das Gesetz aufzuheben.

In der Zwischenzeit sollte die Regierung von Hongkong die Anwendung des Nationalen Sicherheitsgesetzes sofort einstellen. Zumindest müssen sie wieder die Möglichkeit der Freilassung gegen Kaution bis zum Prozess einführen. Niemand darf aufgrund der friedlichen Wahrnehmung des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Gefängnis festgehalten werden.“

Regierung von Hongkong tat Ergebnisse der Recherche ab

Amnesty International übermittelte ihre Rechercheergebnisse an die Regierung von Hongkong, die die Ergebnisse als „Verzerrung der Realität“ abtat und erklärte, das Nationale Sicherheitsgesetz habe „die Wahrnehmung der Rechte und Freiheiten“ in Hongkong wiederhergestellt.

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