Der Krankenpfleger beschreibt auch unbekannte Symptome:
„Der Geruch nach verfaultem Essen war bis in unsere Medizinstation zu riechen. Wir hatten vorher schon Chlorgasopfer, aber dies war ganz etwas ganz Anderes. Den Betroffenen lief Erbrochenes aus Nase und Mund, das eine dunkelgelbe bis braune Farbe hatte. Es gab Atemlähmungen – daran starben die Kinder schneller als die Erwachsenen. Wir haben es mit Injektionen versucht … aber das hat einfach nicht funktioniert. Die Opfer konnten nicht schlucken, sie waren bewusstlos und zeigten absolut keine Reaktion.“
Ein Arzt, der in einer chirurgischen Fachklinik in etwa 50 Kilometer Entfernung vom Angriffsort arbeitet, berichtete ebenfalls über den Vorfall:
„Zuerst wurden die Opfer in die nächstgelegenen Krankenhäuser gebracht. So war es bereits etwa 8:00 Uhr, als sie zu uns kamen. Der Angriff hatte genau gegen 6:42 Uhr stattgefunden. Die Zahl der Opfer, darunter 70 Tote, hat mittlerweile etwa 400 erreicht, die auf die verschiedenen medizinischen Einrichtungen verteilt und zum Teil in die Türkei gebracht wurden. Die meisten Opfer, die zu uns kamen, lebten noch. Die, die bereits gestorben waren, kamen nicht mehr zu uns. Zwei Personen starben hier im Krankenhaus.“
„Die Opfer trafen in unterschiedlichen Stadien ein – einigen von ihnen litten unter Muskel- und Atemlähmungen, und wir haben versucht, sie mit Beruhigungsmitteln und Atropin zu behandeln. Aus Mund und Nase kam weißer Schaum. Einige waren vollkommen bewusstlos oder hatten starke Muskelschmerzen.“
„Kinder sterben als Erstes, sie kommen nicht dagegen an. Wir hatten nur ein Kind; es hat überlebt, Gott sei Dank.“
Mehrere Angriffe mit chemischen Waffen
„Das ist der tödlichste Angriff mit chemischen Waffen in Syrien, seitdem der UN-Sicherheitsrat im September 2013 die Resolution 2118 zur Vernichtung von Syriens Chemiewaffen verabschiedet hat“, sagt Amnesty-Mitarbeiterin Neistat.
„Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen und die UN haben bestätigt, dass es seither sowohl aufseiten der Regierung als auch der anderen Kräfte mehrere Angriffe mit chemischen Waffen gegeben hat. Es ist schrecklich, dass bisher niemand dafür zur Rechenschaft gezogen wurde.“
Hintergrund
Chan Scheichun ist eine Kleinstadt an der Straße nach Damaskus im ländlichen Idlib, eine der wenigen Regionen im Nordosten Syriens, die sich noch unter der Kontrolle der oppositionellen Kräfte befinden. In den vergangenen Monaten ist Idlib zum Sammelpunkt für alle geworden, die vor der Gewalt in Aleppo und anderswo flüchten.
Seit 2012 hat es hier vereinzelte Bombenangriffe durch syrische Artilleriestellungen und Flugzeuge gegeben. In jüngster Zeit haben die Bombenangriffe nach einer Überraschungsoffensive durch bewaffnete oppositionelle Gruppen in Hama zugenommen. Auch Flugzeuge der US-geführten Koalition haben im Gouvernement Idlib Angriffe geflogen.
Amnesty International hat wiederholt an den UN-Sicherheitsrat appelliert, dem Teufelskreis der Straflosigkeit ein Ende zu setzen und die Lage in Syrien zur Strafverfolgung an den Internationalen Strafgerichtshof zu verweisen. Im Februar 2017 legten Russland und China ihr Veto gegen einen Resolutionsentwurf des Sicherheitsrats ein, der die Auferlegung von Maßnahmen nach Kapitel VIII für den „unerlaubten Transfer chemischer Waffen oder jedweden Einsatz chemischer Waffen durch eine beliebige Partei in der Syrischen Arabischen Republik“ vorsah. Dieser Angriff dient auch als düstere und unglückliche Mahnung an die Staaten Europas, die in Brüssel zusammenkommen, um über den Wiederaufbau in Syrien zu beraten, dass im Zentrum aller Diskussionen zur Zukunft des Landes der Einsatz für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht stehen muss.