Teilnehmende bei der Istanbul Pride © Emrah Gurel / AP / picturedesk.com
Teilnehmende bei der Istanbul Pride © Emrah Gurel / AP / picturedesk.com
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Gesetzesentwurf in der Türkei würde LGBTQIA+ Personen kriminalisieren und darf niemals Realität werden

20. Oktober 2025

Ein durchgesickerter 66-seitiger Gesetzentwurf zur Änderung des türkischen Strafgesetzbuches und einiger Gesetze würde de facto die Kriminalisierung der LGBTQIA+ Community bedeuten. Bei Trauungszeremonien gleichgeschlechtlicher Paare würde Haft drohen, trans Personen würden kaum noch rechtliche Anerkennung oder medizinische Hilfe bekommen. Amnesty International warnt, dass diese Vorschläge Leben und Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen gefährden. Unter dem fadenscheinigen Deckmantel des Schutzes der „öffentlichen Moral“ und der „Institution Familie“ würden diese Maßnahmen in Wirklichkeit die Struktur der türkischen Gesellschaft bedrohen. Sollten sie in Kraft treten, wäre dies ein schwerer Verstoß gegen die Verpflichtung der türkischen Behörden, die Menschenrechte von LGBTQIA+ Personen und ihren Unterstützer*innen ohne Diskriminierung zu achten, zu schützen und umzusetzen. Sie würden einen enormen Rückschritt bedeuten und müssen entschieden abgelehnt werden.

Der durchgesickerte Entwurf des 11. Justizpakets („11. Yargı Paketi“) beinhaltet Änderungen des türkischen Strafgesetzbuches, des türkischen Zivilgesetzbuches sowie anderer Gesetze. Dies ist das dritte Mal innerhalb der letzten 12 Monate, dass ein Gesetzespaket mit Maßnahmen gegen LGBTQIA+ Personen an die Öffentlichkeit gelangt ist. Die beiden vorangegangenen Vorschläge wurden nicht, wie es das Verfahren im Parlament vorsieht, im Justizausschuss erörtert.

Bis zu vier Jahre Gefängnis für Trauungszeremonien

Die vorgeschlagene Änderung von Paragraf 225 (unmoralische Handlungen) des türkischen Strafgesetzbuches erhöht das Strafmaß für „jede Person, die öffentlich sexuelle Beziehungen oder Exhibitionismus betreibt" auf bis zu drei Jahre und besagt im neuen zweiten Absatz, dass „jede Person, die eine Haltung oder ein Verhalten an den Tag legt, das dem biologischen Geschlecht bei der Geburt und der öffentlichen Moral widerspricht, oder die ein solches Verhalten öffentlich ermutigt, lobt oder fördert, mit Freiheitsentzug von einem bis zu drei Jahren bestraft wird.“

Werden die Vorschläge vorgelegt und vom Parlament angenommen, drohen gleichgeschlechtlichen Paaren, die symbolische Verlobungs- oder Hochzeitszeremonien durchführen, bis zu vier Jahre Gefängnis. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist in der Türkei nicht legal.

Diese Vorschläge stellen eine ernste Bedrohung für die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans, queeren, intergeschlechtlichen, agender und asexuellen (LGBTQIA+) Menschen und derjenigen dar, die sich für LGBTQIA+ Rechte einsetzen, und sie dürfen niemals das Licht der Welt erblicken.

Dinushika Dissanayake, stellvertretende Direktorin für Europa bei Amnesty International

Als Begründung für diese Änderungen wird angegeben, „körperlich und geistig gesunde Individuen und Generationen heranzuziehen und die Institution Familie und die soziale Struktur zu schützen“.

Anerkennung des Geschlechts wird unmöglich gemacht, Geschlechtsangleichung kriminalisiert

Darüber hinaus enthält das durchgesickerte Dokument Vorschläge für Änderungen des Paragrafen 40 des türkischen Zivilgesetzbuchs, die Verfahren zur Anerkennung des Geschlechts extrem erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen und Personen, die eine rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts anstreben, zusätzliche Hindernisse in den Weg legen würden. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehören die Anhebung des Mindestalters für die Durchführung der Verfahren von 18 auf 25 Jahre, die Wiedereinführung der Zwangseinwilligung zur Aufgabe der eigenen Fortpflanzungsfähigkeit und die Einführung weiterer Beurteilungen in staatlich zugelassenen Krankenhäusern, die belegen, dass die Geschlechtsangleichung für das Wohlergehen der Person notwendig ist.

Außerdem wird ein neuer Paragraf für das türkische Strafgesetzbuch vorgeschlagen, der Menschen, die sich einer geschlechtsangleichenden Behandlung unterziehen, kriminalisiert. Der neue vorgeschlagene Paragraf kriminalisiert auch medizinisches Personal, das solche Verfahren durchführt, und sieht Haftstrafen vor.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Türkischen Republik könnten Abgeordnete über die Verabschiedung von Gesetzesänderungen abstimmen, die jeglichen Ausdruck einer LGBTQIA+ Identität, einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten und den Zugang zu lebenswichtiger geschlechtsspezifischer Gesundheitsversorgung kriminalisieren würden.

Dinushika Dissanayake, stellvertretende Direktorin für Europa bei Amnesty International

Dissanayake sagte weiter: „Nach diesen Entwürfen könnten Menschen aufgrund von Geschlechterstereotypen, ihrer Selbstdarstellung und der Wahl ihrer Beziehungspartner*innen Gefängnisstrafen drohen. Sollte der Vorschlag angenommen werden, könnte auch jede positive Diskussion über LGBTQIA+ Themen unter Strafe gestellt werden, wenn sie LGBTQIA+ ‚ermutigt, fördert oder lobt‘.“