Sind alle Menschen an der Grenze aus Syrien?
Nein. Es handelt sich um Menschen aus unterschiedlichen Ländern, die sich in der Türkei aufhalten bzw. durch die Türkei gereist sind.
Die meisten in der Türkei lebenden Geflüchteten kommen aus Syrien, viele stammen jedoch auch aus Ländern wie Afghanistan, Irak oder Iran. Es gibt viele Gründe dafür, dass sie die Türkei verlassen und nach Europa weiterreisen möchten. Sie haben vielleicht Familie in anderen Ländern oder wollen sich irgendwo niederlassen, wo sie sicher und legal arbeiten können.
Die Reaktion auf die Krise in Syrien bedeutet, dass für Menschen auf der Flucht in der Türkei weniger Mittel zur Verfügung stehen. So dürfen Geflüchtete, die nicht aus Syrien kommen, sich nicht in den größten Städten der Türkei wie Istanbul, Ankara und Izmir niederlassen. Die Organisation Refugees International äußerte sich 2019 sehr besorgt darüber, wie schwierig es für afghanische Geflüchtete in der Türkei ist, die nötigen Papiere für den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu grundlegenden Leistungen wie Gesundheitsversorgung, Wohnraum und Bildung zu erhalten.
Warum sollte Europa Menschen aufnehmen, die nicht vor Krieg fliehen?
Diese Menschen haben ihr gesamtes Leben hinter sich gelassen – Haus, Familie, Freunde und Bekannte –, um in einem anderen Land neu anzufangen. Die Reise dorthin war lebensgefährlich und die Ankunft nicht garantiert. Niemand trifft eine solche Entscheidung leichtfertig, und sie ist mit sehr viel Mut und Entschlossenheit verbunden.
Egal, was der Grund dafür ist, dass Menschen ihre Heimat verlassen – alle verdienen es, mitfühlend und würdevoll behandelt zu werden. Auch wenn Asylsuchende nicht aus einem Kriegsgebiet kommen, haben sie möglicherweise Verfolgung erfahren, zum Beispiel aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Ansichten oder Mitgliedschaft in einer bestimmten Gruppe.
Die Medien und rechtsgerichtete Politiker*innen greifen gerne auf das toxische Narrativ des gewünschten „einfachen Lebens“ in Europa zurück. In Wirklichkeit haben Regierungen in ganz Europa sehr strenge Maßnahmen zur Abschreckung von Migrant*innen und Geflüchteten ergriffen, was in vielen Fällen ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen zuwiderläuft.
Um Menschen daran zu hindern, aus Nordafrika und der Türkei nach Europa zu gelangen, wurden Rettungsschiffe beschlagnahmt und ehrenamtliche humanitäre Helfer*innen festgenommen. Grenzen wurden geschlossen, was dazu führte, dass viele Geflüchtete unter entsetzlichen Bedingungen auf den griechischen Inseln festsitzen oder in libyschen Hafteinrichtungen Folter ausgesetzt sind.
Was FORDERT Amnesty?
Europa wird seiner Verantwortung gegenüber den Geflüchteten nicht auf angemessene Weise gerecht. Stattdessen hat man eine Festung gebaut, um Menschen abzuwehren, die lediglich Sicherheit oder ein besseres Leben anstreben. Doch Mauern werden Menschen nicht daran hindern, ihre Heimat zu verlassen. Sie führen nur zu mehr Elend und Menschenrechtsverletzungen.
Amnesty fordert die europäischen Regierungen auf, das Völkerrecht zu respektieren und dafür zu sorgen, dass alle Asylsuchenden Zugang zu fairen und wirksamen Asylverfahren haben. Zudem müssen rechtswidrige Grenzkontrollpraktiken eingestellt werden, wie zum Beispiel Push-Backs, Sammelabschiebungen und rechtswidrige Rückführungen.
Die europäischen Länder sollten umgehend ihren Beitrag dazu leisten, dass Asylsuchende aus Griechenland aus- und nach Europa weiterreisen können, z. B. indem sie Familienvisa und humanitäre Visa ausstellen.
Titelbild: Eine Frau trägt ihr Kind im Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos, Griechenland. Die Lebensbedingungen im überfüllten Lager von Moria sind extrem schwierig.