Wie haben die österreichischen Gerichte, insbesondere der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) und das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), auf das EuGH-Urteil reagiert? Welche konkreten Leitlinien oder Anpassungen wurden infolgedessen für die Asylverfahren formuliert?
In den beiden Anlassfällen, in welchen der VwGH dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte, sowie in weiteren ähnlichen Fällen wurden die Verfahren ausgesetzt, d.h., mit der Entscheidung bis zur Erlassung des Urteils des EuGH zugewartet. Nach Erlassung dieses Urteils hob der VwGH die in den beiden Anlass- sowie in weiteren Fällen bei ihm angefochtenen Erkenntnisse des BVwG auf, weshalb das BVwG jeweils eine neue Entscheidung zu treffen hatte. Dies führte – jedenfalls in den mir bekannten Fällen – bisher ohne weitere Prüfung oder Verhandlung zur Zuerkennung des Status der Asylberechtigten. Der VwGH hat in den beiden Anlassfällen insbesondere klargestellt: „Es ist nicht erforderlich zu prüfen, ob die Asylwerberin eine ‚verinnerlichte westliche Orientierung‘ aufweist, weil es angesichts dessen, dass im Herkunftsstaat eine Situation gegeben ist, die in ihrer Gesamtheit Frauen zwingt, dort ein Leben führen zu müssen, das mit der Menschenwürde unvereinbar ist, darauf nicht ankommt.“
In Reaktion auf das Urteil wurde vielfach die Sorge geäußert, das Urteil könnte dazu führen, dass Österreich letztlich alle verfolgten und entrechteten frauen aufnehmen muss. Schlagwörter der Debatte waren Verlust der Steuerung von Migration und Überforderung der Aufnahme Gesellschaften. das Urteil gehe zu weit. halten sie diese Aussicht für realistisch, die sorge für berechtigt?
Ich halte diese Szenarien für konstruiert. Im Diskurs nach Erlassung des Urteils des EuGH kamen alle möglichen „Expert*innen“ zu Wort, aber keine betroffene Frau und auch nicht meine Kollegin und ich, die sie im Verfahren vor dem EuGH vertreten hatten. Nicht die existenzielle Bedrohung von Frauen wurde als bedenklich bezeichnet, sondern deren Schutz. Ich halte das für unwürdig. Mitten im sicheren und reichen Europa den gefährdetsten Frauen der Welt ihren Schutzanspruch und ihr Recht auf Familienleben verwehren zu wollen, um rechten Wähler*innen zu gefallen, ist schäbig und zeigt einmal mehr, dass das von so vielen politischen Entscheidungsträger*innen behauptete Anliegen des Schutzes von Frauen und Kindern völlig unglaubwürdig ist.
Frauen hatten aufgrund ihres verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Achtung ihres Familienlebens schon bisher die Möglichkeit, nach der Zuerkennung von Schutz – der betreffend Afghanistan in der einen oder anderen Form ohnehin wahrscheinlich war – ihren Ehemann und ihre Kinder nach Österreich zu holen und sie damit in Sicherheit zu bringen. Die Vorstellung, dass nun alle Frauen aus Afghanistan, die dort nicht einmal alleine außer Haus gehen dürfen, plötzlich selbständig die gefährliche Flucht nach Europa antreten, ist realitätsfremd. Das war schon vor dem Urteil des EuGH so und wird es – bedauerlicherweise – auch danach sein. Den meisten Frauen ist es schlicht nicht möglich, Afghanistan zu verlassen.