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Triggerwarnung: Der Text beschreibt physische Gewalt.
Die kambodschanische Regierung ignoriert bewusst eine ganze Reihe von Menschenrechtsverletzungen wie Sklaverei, Menschenhandel, Kinderarbeit und Folter, die von kriminellen Banden in mehr als 50 Betrugszentren im ganzen Land in großem Umfang begangen werden, so Amnesty International in einem neuen Bericht.
Überlebende, die für den Bericht I Was Someone Else's Property befragt wurden, waren davon ausgegangen, sich um echte Arbeitsplätze zu bewerben. Stattdessen wurden sie nach Kambodscha verschleppt, in gefängnisähnlichen Einrichtungen untergebracht und gezwungen, in einer milliardenschweren Schattenwirtschaft, mit der Menschen in aller Welt betrogen werden, Online-Betrügereien ("Scamming") zu begehen.
Ihrer Beschreibung nach waren die Überlebenden dieser Scam-Zentren in einem wahren Alptraum gefangen. Sie wurden getäuscht, verschleppt und versklavt – angeworben von kriminellen Unternehmen, die mit dem offensichtlichen Einverständnis der kambodschanischen Regierung operieren.
Agnès Callamard, Internationale Generalsekretärin von Amnesty International
Arbeitssuchende aus Asien und anderswo werden durch das Versprechen auf gut bezahlte Arbeit in grauenhafte, von gut organisierten Banden geführte Arbeitslager gelockt, wo man sie unter der höchst realistischen Androhung von Gewalt dazu zwingt, Online-Betrügereien zu begehen.
Die Recherchen von Amnesty haben das entsetzliche Ausmaß einer Krise aufgedeckt, gegen die die kambodschanischen Behörden nicht entschieden genug vorgehen. Durch ihr Nichthandeln wurde ein kriminelles Netzwerk möglich gemacht, dessen Tentakel eine internationale Reichweite haben und Millionen von Menschen Betrug aussetzen.
Die Ergebnisse von Amnesty deuten darauf hin, dass es eine Koordinierung und möglicherweise eine geheime Absprache zwischen den Leiter*innen der chinesischen Lager und der kambodschanischen Polizei gegeben hat, denn diese hat die Lager nicht geschlossen, obwohl es dort zu einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen gekommen ist.
In Amnestys 240-seitigem Bericht, der bisher umfassendsten Dokumentation zu diesem Thema, wurden mindestens 53 Betrugszentren in Kambodscha identifiziert und 58 Überlebende aus acht verschiedenen Nationen interviewt, darunter auch neun Kinder. Darüber hinaus hat Amnesty die Unterlagen von 336 anderen Betroffenen aus kambodschanischen Lagern gesichtet. Die Befragten waren entweder aus den Lagern geflüchtet, wurden gerettet oder sind nach einer Lösegeldzahlung durch ihre Familien freigekommen.
Die Aussagen der Befragten geben einen detaillierten Einblick in eine ausgedehnte, von Gewalt geprägte kriminelle Operation, die oft mit vollem Wissen der kambodschanischen Behörden erfolgt. Deren beklagenswert ineffektives – und zuweilen korruptes – Vorgehen zeigt die Duldung des Scamming-Problems und deutet auf eine staatliche Beteiligung bei den stattfindenden Menschenrechtsverletzungen hin.
*Lisa, eine der Überlebenden, war 18, als sie nach einem Job während der Schulferien in Thailand suchte und verschleppt wurde: "[Die Vermittler*innen] sagten, ich würde in der Verwaltung arbeiten ... sie schickten mir Bilder von einem Hotel mit Swimmingpool ... der Verdienst war hoch."
Stattdessen wurde Lisa jedoch nachts über einen Fluss nach Kambodscha gebracht, wo sie elf Monate gegen ihren Willen von bewaffneten Kräften festgehalten und gezwungen wurde, Betrügereien zu begehen. Als sie zu fliehen versuchte, wurde sie schwer verprügelt.
"Da waren vier Männer ... drei von ihnen haben mich festgehalten, während der Boss mir mit einem Metallstab auf die Fußsohlen geschlagen hat ... Sie haben mir gesagt, wenn ich nicht zu schreien aufhöre, würden sie [mich] so lange weiterschlagen, bis ich aufhöre", erzählt sie.
Im Rahmen einer 18-monatigen Recherche besuchte Amnesty International bis auf eine Ausnahme alle der 53 Betrugszentren, die auf 16 Städte in ganz Kambodscha verteilt sind, sowie 45 vergleichbare Einrichtungen, die ebenfalls unter Verdacht stehen, als Scam-Zentren zu operieren. Häufig handelte es sich bei den Gebäuden um ehemalige Kasinos und Hotels, die von kriminellen, meist aus China stammenden Banden genutzt wurden, nachdem Online-Glücksspiele 2019 in Kambodscha verboten worden waren.
Die Einrichtungen wurden offenbar so konzipiert, die Menschen innerhalb der Gebäude zu halten, mit Überwachungskameras, Stacheldraht an den Außenmauern und einer großen Zahl von Sicherheitsleuten, die häufig elektrische Schlagstöcke und in einigen Fällen auch Schusswaffen trugen. Überlebenden zufolge war "ein Entkommen unmöglich".
Die meisten der Betroffenen waren durch falsche Arbeitsangebote auf Sozialen Medien wie Facebook und Instagram nach Kambodscha gelockt worden. Nachdem sie verschleppt wurden, zwang man sie nach eigenen Angaben, über Soziale Medien Kontakt mit Menschen aufzunehmen und mit diesen ins Gespräch zu kommen, um sie zu betrügen. Dazu gehörte die Vortäuschung von Liebesbeziehungen oder Investitionsmöglichkeiten, der Verkauf von Produkten, die nie geliefert werden würden, oder der Aufbau von Vertrauen bei den ausgesuchten Personen, um diese dann finanziell auszubeuten, auch bekannt als „Pig-Butchering“.
Bis auf eine Person waren alle Befragten Überlebende von Menschenhandel, und alle waren ohne Ausnahme von Zwangsarbeit unter Androhung von Gewalt betroffen. In 32 Fällen kam Amnesty International zu dem Schluss, dass es sich bei den Überlebenden um Opfer von Sklaverei im Sinne des Völkerrechts handelte, da die Leiter*innen der Betrugszentren sie de facto wie Eigentum kontrollierten. Überlebende berichteten auch, an andere Einrichtungen verkauft worden zu sein oder den Verkauf anderer Personen erlebt zu haben. Vielen weiteren wurde gesagt, sie hätten der Einrichtung gegenüber Schulden, die sie abarbeiten müssten.
40 der 58 Befragten hatten Folter oder andere Misshandlungen erlebt, die fast immer von den Leiter*innen der Einrichtungen begangen wurden. Einige der Betrugszentren besaßen bestimmte Räume – oft als "Dark Rooms" bezeichnet –, die für die Folter von Personen vorgesehen waren, die nicht arbeiten konnten oder wollten, die die vorgegebenen Ziele nicht erfüllten oder die sich an die Behörden gewandt hatten.
Überlebende berichteten häufig über Todesfälle in den Zentren oder deren Nähe; eine Person erzählte, sie habe gehört, wie ein Körper auf dem Dach eines Gebäudes aufgeschlagen sei. Amnesty International bestätigte auch den Tod eines chinesischen Kindes innerhalb einer der Einrichtungen.
Einer der Überlebenden, *Siti, erzählte, er habe gesehen, wie eine Person aus Vietnam von den Leitungspersonenn des Zentrums 25 Minuten lang geschlagen worden sei. Er sagte: "Sie haben [die vietnamesische Person] einfach weiter geschlagen, bis ihr Körper ... lila war ... und dann den elektrischen Schlagstock benutzt. Sie haben den Vietnamesen geschlagen, bis er nicht mehr schreien und nicht mehr aufstehen konnte ... dann hat mir der Boss gesagt, sie würden warten, bis ein anderes Zentrum ihn kaufen will."
Von den neun Kindern, die befragt wurden, wurden fünf gefoltert oder anderweitig misshandelt. *Sawat, ein 17-jähriger thailändischer Junge, wurde von mehreren Zentrumsleiter*innen geschlagen, bevor man ihm sagte, man würde ihn ausziehen und zwingen, vom Gebäude zu springen.
In ihrem Bericht stellt Amnesty International fest, dass die kambodschanische Regierung die weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen in den Betrugszentren nicht angemessen untersucht hat, obwohl sie wiederholt darauf aufmerksam gemacht wurde.
"Die kambodschanischen Behörden wissen, was in den Betrugszentren vor sich geht, und schreiten trotzdem nicht ein. Unsere Ergebnisse zeigen systematische staatliche Versäumnisse, durch die die Kriminalität florieren konnte und die Fragen nach den Motiven der Regierung aufwerfen", sagt Montse Ferrer, die für die Region zuständige Recherche-Direktorin von Amnesty International.
Die Regierung behauptet, sie bekämpfe die Betrugskrise über ihren Nationalen Ausschuss zur Bekämpfung des Menschenhandels (NCCT) und eine Reihe ministerieller Sondereinheiten, die einige polizeiliche "Rettungsaktionen" von Betroffenen aus Betrugszentren durchführen ließen. Allerdings sind mehr als zwei Drittel der in dem Bericht genannten Betrugszentren auch nach Polizeirazzien und "Rettungsaktionen" immer noch in Betrieb.
Die Versäumnisse der Polizei sind auf ihre Zusammenarbeit oder Absprache mit den Leiter*innen der Betrugszentren zurückzuführen. So hat die Polizei beispielsweise bei vielen der "Rettungsaktionen" die Einrichtungen gar nicht betreten und überprüft, sondern sich lediglich mit einer verantwortlichen Person oder Sicherheitspersonal am Tor getroffen, wo ihnen die Personen übergeben wurden, die um Hilfe gebeten hatten. Der Geschäftsbetrieb konnte wie gewohnt weitergehen.
In anderen Fällen hieß es vonseiten mehrerer Überlebender, dass ihr Versuch, heimlich die Polizei um Hilfe zu bitten, auf irgendeine Weise von den Leiter*innen entdeckt wurde und man sie daraufhin geschlagen habe. Eine betroffene Person aus Vietnam berichtete Amnesy International, dass die Polizei „für das Zentrum arbeitet und Hilfegesuche an die Zentrumsleitung weitergibt“.
Die aus den Lagern "Geretteten" wurden anschließend oft monatelang unter schlechten Bedingungen in Hafteinrichtungen für Asylsuchende festgehalten, da die kambodschanischen Behörden sie nicht als Opfer von Menschenhandel anerkannten und ihnen nicht die ihnen nach internationalem Recht erforderliche Unterstützung zukommen ließen.
Unterdessen haben die Behörden andere Personen ins Visier genommen, die sich offen über die Betrugseinrichtungen äußerten. Mehrere Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen, die sich mit dem Thema befassen, wurden festgenommen, und das Nachrichtenportal Voice of Democracy wurde 2023 geschlossen, offensichtlich als Vergeltungsmaßnahme dafür, dass es über die Betrugskrise berichtet hatte.
"Die kambodschanische Regierung könnte diesen Menschenrechtsverletzungen ein Ende setzen, hat sich aber dagegen entschieden. Bei den dokumentierten Polizeieinsätzen scheint es sich um reine ‚Show‘ zu handeln", meint Montse Ferrer.
"Die kambodschanischen Behörden müssen sicherstellen, dass keine weiteren Arbeitssuchenden ins Land verschleppt werden, wo sie Folter, Sklaverei oder anderen Menschenrechtsverstößen ausgesetzt sind. Sie müssen dringend alle Scam-Zentren überprüfen und stilllegen und die Betroffenen angemessen identifizieren, sie unterstützen und schützen."
Die Überlebenden, die für den Bericht von Amnesty International befragt wurden, stammten aus China, Thailand, Malaysia, Bangladesh, Vietnam, Indonesien, Taiwan und Äthiopien. Amnesty International hatte jedoch auch Zugang zu Unterlagen von Hunderten weiterer Betroffener, die unter anderem aus Indien, Kenia, Nepal und von den Philippinen stammen.
* Alle Namen von Überlebenden wurden aus Sicherheitsgründen geändert