Eklatante Versäumnisse der kambodschanischen Regierung
In ihrem Bericht stellt Amnesty International fest, dass die kambodschanische Regierung die weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen in den Betrugszentren nicht angemessen untersucht hat, obwohl sie wiederholt darauf aufmerksam gemacht wurde.
"Die kambodschanischen Behörden wissen, was in den Betrugszentren vor sich geht, und schreiten trotzdem nicht ein. Unsere Ergebnisse zeigen systematische staatliche Versäumnisse, durch die die Kriminalität florieren konnte und die Fragen nach den Motiven der Regierung aufwerfen", sagt Montse Ferrer, die für die Region zuständige Recherche-Direktorin von Amnesty International.
Die Regierung behauptet, sie bekämpfe die Betrugskrise über ihren Nationalen Ausschuss zur Bekämpfung des Menschenhandels (NCCT) und eine Reihe ministerieller Sondereinheiten, die einige polizeiliche "Rettungsaktionen" von Betroffenen aus Betrugszentren durchführen ließen. Allerdings sind mehr als zwei Drittel der in dem Bericht genannten Betrugszentren auch nach Polizeirazzien und "Rettungsaktionen" immer noch in Betrieb.
Die Versäumnisse der Polizei sind auf ihre Zusammenarbeit oder Absprache mit den Leiter*innen der Betrugszentren zurückzuführen. So hat die Polizei beispielsweise bei vielen der "Rettungsaktionen" die Einrichtungen gar nicht betreten und überprüft, sondern sich lediglich mit einer verantwortlichen Person oder Sicherheitspersonal am Tor getroffen, wo ihnen die Personen übergeben wurden, die um Hilfe gebeten hatten. Der Geschäftsbetrieb konnte wie gewohnt weitergehen.
In anderen Fällen hieß es vonseiten mehrerer Überlebender, dass ihr Versuch, heimlich die Polizei um Hilfe zu bitten, auf irgendeine Weise von den Leiter*innen entdeckt wurde und man sie daraufhin geschlagen habe. Eine betroffene Person aus Vietnam berichtete Amnesy International, dass die Polizei „für das Zentrum arbeitet und Hilfegesuche an die Zentrumsleitung weitergibt“.
Die aus den Lagern "Geretteten" wurden anschließend oft monatelang unter schlechten Bedingungen in Hafteinrichtungen für Asylsuchende festgehalten, da die kambodschanischen Behörden sie nicht als Opfer von Menschenhandel anerkannten und ihnen nicht die ihnen nach internationalem Recht erforderliche Unterstützung zukommen ließen.
Unterdessen haben die Behörden andere Personen ins Visier genommen, die sich offen über die Betrugseinrichtungen äußerten. Mehrere Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen, die sich mit dem Thema befassen, wurden festgenommen, und das Nachrichtenportal Voice of Democracy wurde 2023 geschlossen, offensichtlich als Vergeltungsmaßnahme dafür, dass es über die Betrugskrise berichtet hatte.
"Die kambodschanische Regierung könnte diesen Menschenrechtsverletzungen ein Ende setzen, hat sich aber dagegen entschieden. Bei den dokumentierten Polizeieinsätzen scheint es sich um reine ‚Show‘ zu handeln", meint Montse Ferrer.
"Die kambodschanischen Behörden müssen sicherstellen, dass keine weiteren Arbeitssuchenden ins Land verschleppt werden, wo sie Folter, Sklaverei oder anderen Menschenrechtsverstößen ausgesetzt sind. Sie müssen dringend alle Scam-Zentren überprüfen und stilllegen und die Betroffenen angemessen identifizieren, sie unterstützen und schützen."
Die Überlebenden, die für den Bericht von Amnesty International befragt wurden, stammten aus China, Thailand, Malaysia, Bangladesh, Vietnam, Indonesien, Taiwan und Äthiopien. Amnesty International hatte jedoch auch Zugang zu Unterlagen von Hunderten weiterer Betroffener, die unter anderem aus Indien, Kenia, Nepal und von den Philippinen stammen.
* Alle Namen von Überlebenden wurden aus Sicherheitsgründen geändert