Vor seiner Verhaftung wurden Julian Assange und seine Besucher*innen in der ecuadorianischen Botschaft bespitzelt. In dieser Woche hat Amnesty International maßgeblich dazu beigetragen, aufzudecken, dass Tausende von Journalist*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und Politiker*innen potentiell von einer Cyberwaffe namens Pegasus, die von dem Unternehmen, NSO Group, verkauft wird, ins Visier genommen wurden. Glauben Sie, dass es Zeit für ein weltweites Moratorium ist?
Ja, wir haben ein Moratorium gefordert, bis ein starker, wirksamer und sinnvoller Rechtsrahmen geschaffen wurde, der die Menschenrechte berücksichtigt. Wir müssen gemeinsam einen Rahmen schaffen, in dem Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Oppositionspolitiker*innen und Anwält*innen nicht zur Zielscheibe dieser Software werden und – falls doch – über Rechtsmittel verfügen. Unsere Forderung dazu ist klar und deutlich.
Es ist an der Zeit, denjenigen, die den Einsatz solcher Instrumente zur Terrorismusbekämpfung verteidigen, klar zu machen, dass es sich dabei um Waffen handelt: so genannte Cyberwaffen.
Ich glaube, das wissen sie bereits. Regierungen kaufen bei diesem Unternehmen, sie können unter dem Vorwand kaufen, nur Kriminelle und mutmaßliche Terrorist*innen zu verfolgen. Aber jedes neue Werkzeug, das ein Staat bekommt, kann dazu genutzt werden, dieses Werkzeug und die Macht für andere Zwecke zu missbrauchen. Es ist sehr klar, was mit dieser Spionagesoftware geschieht. Das ist wirklich ein Weckruf für den Rest der Welt, nicht darauf zu vertrauen dass Regierungen Spionagesoftware nur kaufen, um die so genannten bösen Jungs zu fangen, das ist einfach nicht wahr. Die Arbeit, die wir als technische Partner für den Pegasus-Bericht geleistet haben, und die Arbeit unserer Partner*innen von “Forbidden Stories”, haben das aufgedeckt. Das ist eine so wichtige Geschichte, und wir hoffen, dass die Öffentlichkeit sich damit auseinandersetzen wird, um diese Art der Überwachung zurückzudrängen.
Zwanzig Jahre nach dem 11. September sehen wir, dass in unseren westlichen Demokratien die Kriegsverbrecher*innen und Folterer*innen frei herumlaufen, während Julian Assange im Gefängnis sitzt, weil er diese Verbrechen aufgedeckt hat. Ist es nicht an der Zeit, dass die öffentliche Meinung aufwacht, bevor es für unsere Demokratien zu spät ist?
Genau das versuchen wir mit diesem Bericht über Pegasus, mit der Arbeit über Assange zu tun. Wer ist wirklich der*die Verursacher*in der Menschenrechtsverletzungen, wer verstößt gegen das humanitäre Recht, wer begeht Kriegsverbrechen? Es ist nicht Julian Assange, es sind nicht die engagierten Journalist*innen und Publizist*innen, die Informationen im öffentlichen Interesse an die Öffentlichkeit bringen.
Die Täter*innen dieser Verbrechen sind staatliche Akteur*innen oder Agent*innen des Staates, und deshalb ist Assange für sie eine Bedrohung. Und andere Medienschaffende, die dasselbe tun, sind eine Bedrohung, wenn sie die Staaten zur Rechenschaft ziehen. Das gefällt den Staaten nicht. Assange ist ein so wichtiger Testfall, weil er stellvertretend für all das steht. Wenn das Vereinigte Königreich ihn ausliefert, wenn die USA einen dermaßen langen Arm ausstrecken kann, um einen ausländischen Verleger zu packen und ihn in die USA zu bringen, und sagen kann, dass er keine Rechte nach dem Ersten Verfassungszusatz hat, dann ist dies ein Präzedenzfall, der weit über den Fall Assange hinaus Schaden anrichten wird. Deshalb versuchen wir, das zu verhindern.
Dieses Interview wurde in Il Fatto Quotidiano veröffentlicht.