„Es ist ein System aus weitgehend rechtswidrigen Haftzentren, das von systematischen unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen, rechtswidrigen Tötungen und der weit verbreiteten Anwendung von Folter geprägt ist. Die USA müssen nun ihren Teil dazu beitragen müssen, dieses System wieder zu ändern. Zwar haben die USA Unterstützung geleistet, um die Haftbedingungen zu verbessern oder Menschenrechtsverstöße zu mildern, doch sind diese Interventionen weit hinter dem zurückgeblieben, was nach dem Völkerrecht erforderlich ist,“ sagt Shoura Zehetner-Hashmi, und sagt weiter:
„Dieses Strafvollzugsystem verstößt gegen die Rechte der Menschen, denen Verbindungen zum Islamischen Staat vorgeworfen werden, und hat auch den Opfern und Überlebenden von IS-Verbrechen keine Gerechtigkeit und Rechenschaft gebracht.“ Und weiter: „Vor dem Hintergrund der weltweit anhaltenden Bedrohung durch den IS führen die fortlaufenden Menschenrechtsverletzungen im Nordosten Syriens nur zu weiteren Missständen und dazu, dass eine Generation von Kindern nichts als systematische Ungerechtigkeit kennenlernt. Die Autonomiebehörden, die Mitglieder der von den USA angeführten Koalition und die Vereinten Nationen müssen handeln, um gegen diese Verstöße vorzugehen und dem Kreislauf aus Missbrauch und Gewalt ein Ende zu setzen.“
Amnesty International fordert unter anderem juristische Lösungen, um die Schuldigen für die vom Islamischen Staat begangenen Gräueltaten zur Verantwortung zu ziehen und einen Überprüfungsprozess, um zu bestimmen, welche der inhaftierten Personen sofort freizulassen sind. Besonderes Augenmerk sollte dabei den Opfern von IS-Verbrechen und gefährdeten Gruppen gelten.
„Jedenfalls muss dafür gesorgt werden, dass die Menschenrechtsverstöße sofort gestoppt und Berichte über Folter und Todesfälle unabhängig untersucht werden“, so Shoura Hashemi.
Die Rolle der von den USA angeführten Koalition
Zu den Inhaftierten gehören Syrer*innen, Iraker*innen und ausländische Staatsangehörige aus schätzungsweise 74 anderen Ländern. Der Mehrheit der inhaftierten Personen gelangte Anfang 2019, während der letzten Kämpfe mit dem IS, in den Gewahrsam der Autonomiebehörden. Diese Menschen werden jetzt in zwei verschiedenen Einrichtungen gefangen gehalten – in geschlossenen, hier als „Hafteinrichtungen“ bezeichneten Gebäuden, sowie in geschlossenen Lagern, sogenannten „Internierungslagern“.
Betrieben werden die Hafteinrichtungen von den Autonomiebehörden der Region Nord- und Ostsyrien, bestehend aus den Demokratischen Kräften Syriens (SDF), anderen, mit den SDF verbundenen Sicherheitskräften und dem zivilen Flügel der SDF, der Demokratischen Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien (DAANES).
2014 gründete das US-Verteidigungsministerium eine von den USA angeführte Koalition, um den IS „zu schwächen und zu vernichten“. Zwar besteht diese Koalition grundsätzlich aus 29 Mitgliedstaaten, doch hat die US-Regierung bei weitem den größten Einfluss hinsichtlich der Strategie, Planung, Ressourcenbeschaffung sowie der Umsetzung ihrer Mission. Die von den USA angeführte Koalition hat mit finanzieller Unterstützung des US-Kongresses bestehende Hafteinrichtungen renoviert und neue gebaut und ist auch häufig vor Ort. Das US-Verteidigungsministerium hat die SDF und die mit ihnen verbundenen Sicherheitskräfte mit Hunderten von Millionen US-Dollar unterstützt. Die von den USA angeführte Koalition spielt auch eine wesentliche Rolle bei den laufenden gemeinsamen Operationen, in deren Folge Personen in den Gewahrsam der SDF überführt werden und Personen, die im Nordosten Syriens festgehalten werden, einfacher in Drittländer wie den Irak zurückgeführt werden können.
Folter und Todesfälle in Sicherheitseinrichtungen
Die von den SDF geführte Hafteinrichtung Sini befindet sich am Rand der Stadt Al-Shaddadi im Gouvernement Hasakah. Amnesty International hat acht Männer befragt, die zwischen 2019 und 2023 in Sini inhaftiert waren. Nach ihren Aussagen wurden Häftlinge regelmäßig gefoltert oder anderweitig misshandelt, unter anderem durch Schläge, das Auspeitschen mit Stromkabeln, das Aufhängen an den Handgelenken in schmerzhaften Positionen, durch sexualisierte Gewalt und durch Elektroschocks.
Die zweite wichtige Einrichtung der SDF, in der Männer und Jungen inhaftiert sind, ist Panorama in der Stadt Hasakah. Die Einrichtung wurde im Rahmen eines Projekts der von den USA geführten Koalition speziell zu diesem Zweck gebaut. Häftlingen in Panorama wurde der Zugang zu angemessener Nahrung und medizinischer Versorgung verweigert, was zu Krankheiten und Seuchen führte. So kam es zu einem schweren Ausbruch von Tuberkulose, der seit Jahren andauert. Eine unbehandelte Tuberkulose führt in 50 Prozent der Fälle zum Tode.
Amnesty International stellt fest, dass in Hafteinrichtungen der SDF und damit verbundener Sicherheitskräfte systematisch Folter zum Einsatz kommt. Die Organisation befragte 46 Männer, Frauen und Kinder, die in anderen Hafteinrichtungen der Sicherheitskräfte als Sini und Panorama inhaftiert waren und ebenfalls Folter oder andere Misshandlungen erlebt hatten. Die meisten von ihnen waren syrische Staatsangehörige und wurden gefoltert, um ein „Geständnis“ zu erzwingen. Amnesty International hat zwei Personen befragt, die unmittelbar nach ihrer Übergabe aus dem Gewahrsam der von den USA angeführten Koalition an die SDF und damit verbundene Sicherheitskräfte gefoltert wurden.
Minderjährige in Hafteinrichtungen
Schätzungen zufolge befinden sich 1.000 syrische und ausländische Jungen und als Minderjährige inhaftierte junge Männer in den Hafteinrichtungen, zu denen auch „Rehabilitationszentren“ für Jugendliche gehören. Sie sind den gleichen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wie die Erwachsenen, in manchen Fällen auch Folter und anderen Misshandlungen. Nach Schätzungen wird nur jeder Zehnte von ihnen beschuldigt, ein Verbrechen begangen zu haben.
Die Zahl der Jungen in den Hafteinrichtungen nimmt zu. Nach wie vor werden syrische Jungen wegen ihrer mutmaßlichen Verbindungen zum IS festgenommen, manchmal auch mit Unterstützung der von den USA angeführten Koalition.
Darüber hinaus werden Jungen mit ausländischer Staatsangehörigkeit von den Autonomiebehörden in den Internierungslagern auch gewaltsam von ihren Müttern oder Erziehungsberechtigten getrennt und in Hafteinrichtungen verlegt. Die Verlegungen scheinen nicht auf der Grundlage individueller Beurteilungen im besten Interesse der Jungen zu erfolgen, sondern vielmehr als Vorsichtsmaßnahme der Autonomiebehörden angesichts einer wachsenden und älter werdenden Zahl Jugendlicher in den Lagern, die ihrer Ansicht nach in Zukunft eine Gefahr darstellen könnten.