Umfangreicher Bericht mit Empfehlungen für internationale Gemeinschaft
Der aktuelle Bericht von Amnesty International und ICJ deckt den Zeitraum von August 2021 bis Januar 2023 ab und basiert auf zahlreichen Belegen aus verschiedenen Quellen, darunter zivilgesellschaftliche Organisationen, Agenturen der Vereinten Nationen und der Amnesty-Bericht Death in Slow Motion aus dem Jahr 2022. Dieser jüngste Bericht bietet zudem eine rechtliche Einschätzung dazu, weshalb Frauen und Mädchen, die vor Verfolgung aus Afghanistan fliehen, als Geflüchtete betrachtet werden sollten, die internationalen Schutz benötigen.
Forderung an die österreichische Bundesregierung: Automatisches Asyl für Frauen aus Afghanistan
Diese Forderung erhebt Amnesty International auch in Österreich: Mit einer Petition appelliert die Organisation gemeinsam mit der Zivilgesellschaft an die Bundesregierung, insbesondere an Innenminister Gerhard Karner und Außenminister Alexander Schallenberg, Frauen und Mädchen aus Afghanistan automatisch Asyl zuzuerkennen – ähnlich wie es bereits Schweden, Dänemark und Finnland gemacht haben. Gefordert werden auch schnelle und unbürokratische Familienzusammenführungen, die Einrichtung eines humanitären Aufnahmeprogramms für besonders schutzbedürftige Personen sowie Resettlement-Programme für afghanische Geflüchtete im Iran und in Pakistan.
Sitzung des UN-Menschenrechtsrats zur Lage von Frauen und Mädchen in Afghanistan
Der aktuelle Bericht enthält spezifische Empfehlungen an die internationale Gemeinschaft, um das System der geschlechtsspezifischen Verfolgung der Taliban zu demontieren und die Rechenschaftspflicht sicherzustellen. Ausdrücklich wird die Arbeit von UN-Expert*innen und Frauenrechtsgruppen als wichtige Grundlage für die nun benötigten entschlossenen Maßnahmen gelobt, um für Gerechtigkeit, Rechenschaftslegung und Wiedergutmachung angesichts der geschlechtsspezifischen Verfolgung zu sorgen.
In Kürze steht mit der 53. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats der erweiterte interaktive Dialog zur Lage von Frauen und Mädchen in Afghanistan an. Dies ist laut den beiden Organisationen eine wichtige Chance für die Staatengemeinschaft, die Zivilgesellschaft und unabhängige Expert*innen, sich über die geschlechtsspezifische Verfolgung und andere mutmaßliche völkerrechtliche Verbrechen unter den Taliban auszutauschen.
Auf seiner 54. Sitzung im Oktober dann ist der UN-Menschenrechtsrat aufgefordert, das Mandat des Sonderberichterstatters über die Lage von Menschenrechtsverteidiger*innen in Afghanistan zu verlängern und zu stärken. Zudem muss der Rat dringend Maßnahmen ergreifen, um einen unabhängigen internationalen Rechenschaftsmechanismus einzurichten, der völkerrechtliche Verbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen untersucht und entsprechende Beweise für künftige Anstrengungen zur Rechenschaftslegung - z. B. faire Prozesse - zusammenträgt.
HINTERGRUND: Systematische Diskriminierung von Frauen in Afghanistan
Seit der Machtergreifung der Taliban im August 2021 sind Frauen aus dem politischen Leben ausgeschlossen und dürfen im öffentlichen Dienst so gut wie keine Tätigkeiten mehr ausüben. Eine Reihe neuer Maßnahmen und Regelungen hat dafür gesorgt, dass Frauen und Mädchen keine weiterführenden Schulen mehr besuchen können, womit ihnen die Chance auf ein Studium genommen wird und ihre beruflichen Möglichkeiten weiter eingegrenzt werden.
Die Taliban schafften zudem den institutionellen Rahmen zur Unterstützung von Überlebenden geschlechtsspezifischer Gewalt ab, was die Rechte afghanischer Frauen und Mädchen weiter untergrub. Am 24. Dezember 2022 und 4. April 2023 ergingen Dekrete, mit denen Frauen daran gehindert werden sollen, für NGOs und die Vereinten Nationen zu arbeiten, was ein weiterer Hinweis auf geschlechtsspezifische Diskriminierung ist. Es gibt zudem die Regel, dass Frauen nur mit einem mahram (männlichen Begleiter) längere Wege zurücklegen dürfen, und dass sie, falls nicht unbedingt nötig, das Haus nicht verlassen sollen. Darüber hinaus sind sie strengen Kleidungsregeln unterworfen. Dies alles verstößt gegen ihr Recht auf Bewegungsfreiheit und die Autonomie, selbst über ihre Kleidung zu entscheiden.
Die diskriminierenden Einschränkungen der Taliban verstoßen gegen menschenrechtliche Garantien aus zahlreichen Menschenrechtsverträgen, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, darunter der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sowie die Kinderrechtskonvention.
Die über Frauen und Mädchen in Afghanistan verhängten Einschränkungen basieren auf Richtlinien, Entscheidungen und Regelungen, die auf Führungsebene der De-facto-Behörden der Taliban getroffen wurden. Die Befolgung dieser Regeln wird mittels zahlreicher repressiver Maßnahmen durchgesetzt wie zum Beispiel Verschwindenlassen und systematische Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen. Hierzu bedienen sich die Taliban des Sicherheitsapparats der früheren Regierung, darunter auch Strukturen zur Polizeiarbeit und staatliche Einrichtungen wie Hafteinrichtungen.