„Die Proteste, die Hongkong in der zweiten Jahreshälfte 2019 erschüttert haben, sind nicht vorbei. Vielleicht rechnet die Stadtverwaltung damit, dass die Coronavirus-Epidemie den Unruhen ein Ende setzt. Wenn die Behörden aber nicht endlich ihre Pflicht tun, werden die Demonstrationen wieder aufflammen – und es wird zu neuerlichen Missbrauchsfällen kommen,“ sagt Nicholas Bequelin, und sagt weiter:
„Die Gewaltexzesse der Polizei und ihre de-facto Straflosigkeit hat für große Enttäuschung unter den Menschen in Hongkong gesorgt. Eine unabhängige Untersuchung ist notwendig, um die Polizei zur Rechenschaft zu ziehen und Gerechtigkeit für die brutalen Szenen herzustellen, die sich seit letztem Sommer auf den Straßen abspielen. Die Menschen in Hongkong verdient die Wahrheit.“
Vertrauen gegenüber Regierung & Polizei ist dramatisch gesunken
Im Juli 2019 entschied der IPCC, einen Untersuchungsausschuss zu Ereignissen einzurichten, in denen die Polizei zur Wahrung der öffentlichen Ordnung auf den Plan getreten war und lud ein Fachgremium zur Teilnahme ein.
Das Fachgremium trat jedoch im Dezember 2019 zurück und gab an, dass es dem IPCC an Untersuchungskompetenz und der Fähigkeit fehle „auch nur ansatzweise den Standards zu entsprechen, die eine Überwachungsbehörde in Hongkong einhalten muss – einer Stadt, die Freiheiten und Rechte der Menschen hochhält“.
„Das öffentliche Vertrauen gegenüber der Regierung und Polizei ist dramatisch gesunken. Eine Untersuchungskommission ist ein erster wichtiger Schritt, um die Wunden zu heilen, die die Proteste hinterlassen haben. Die Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen, die seit Beginn der Proteste im Juni 2019 verübt wurden, würden so von der Regierung anerkannt werden. Letztere würde sich endlich eingestehen, dass etwas falsch gelaufen ist und dass sie diesem Thema Aufmerksamkeit schenken und Gerechtigkeit üben muss,“ sagt Nicholas Bequelin, und sagt weiter:
„Eine Untersuchungskommission mit den angemessenen Ressourcen und Untersuchungskompetenzen kann die zugrundliegenden Ursachen für die Menschenrechtsverletzungen im größeren Stil erforschen. Das bedeutet, dass ihre Empfehlungen behilflich sein können, um eine Wiederholung derselben Situation zu vermeiden und die Spirale der Gewalt zu durchbrechen – auch jene die von Demonstrant*innen ausgeht.“
Muster aus Grob fahrlässigen und willkürlichen Taktiken
Während der Proteste dokumentierte Amnesty International bei der Hongkonger Polizei ein alarmierendes Muster aus grob fahrlässigen und willkürlichen Taktiken; sie wählte etwa bei der Überwachung von Menschenansammlungen einen Null-Toleranz-Ansatz.
Amnesty dokumentierte zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, darunter unnötige und übermäßige Gewaltanwendung, wie etwa den gefährlichen Einsatz von Gummi- und Beanbag-Geschossen; das Schlagen von Demonstrant*innen, die keinen Widerstand leisteten, und den missbräuchlichen Einsatz von Pfefferspray, Tränengas sowie Wasserwerfern.
Amnesty International dokumentierte zudem einige Berichte von inhaftierten Demonstrant*innen, die in Polizeigewahrsam geschlagen und misshandelt worden waren, was in manchen Fällen Folter gleichkommt.
Es gibt überzeugende Beweise dafür, dass die Polizei nicht nur daran scheiterte, die Spannungen vor der Eskalation zu bewahren, sondern sie im Gegenteil durch den Einsatz von unnötiger und übermäßiger Gewalt und ihrer gleichzeitigen Straflosigkeit noch weiter befeuerte.